Flexible Lebensziele für das Altern

Erstes Taubblindenforum in Bern diente dem organisatorischen und fachlichen Austausch

Von Norbert Schmuck

Das erste vom SZB organisierte Taubblindenforum lockte im vergangenen November über 40 Fachpersonen nach Bern. Fünf Organisationen präsentierten ihre Angebote für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen. Ein Referat über Lebensziele und –aufgaben im Erwachsenenalter von Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ergänzte die Tagung, die dazu beitragen soll, im Taubblindenwesen gemeinsame Ziele zu formulieren, zu koordinieren und Synergien zu nutzen.

Teilnehmende beim Ersten Taubblindenforum in Bern.

Teilnehmende beim Ersten Taubblindenforum in Bern. Bild: SZB

Die beiden Selbsthilfeorganisationen „tactile“ und „GERSAM“ wurden mit Unterstützung des SZB 1998 gegründet. Für Anita Rothenbühler, Präsidentin von tactile, ist der Selbstausdruck und die Kommunikation ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Oberstes Ziel sei deshalb, aus der Anonymität der doppelten Sinnesbehinderung herauszutreten. Seit Bestehen der Selbsthilfeorganisation haben sich die Aktivitäten enorm entwickelt. Heute reichen sie von Haptik- und Lormkursen über vielfältige gesellschaftliche Anlässe bis zu gemeinsamen Projekten mit dem SZB, zum Beispiel beim Gebärdensprachkurs oder der Öffentlichkeitsarbeit. GERSAM in der Westschweiz, so Catherine Hutter, verfolge als „kleine Schwester“ von tactile die gleichen Ziele.

Breite Freizeit- und Kursangebote
Hans Bühlmann stellte die Arbeit der Caritas-Aktion der Blinden CAB vor. Insbesondere im Internationalen Blindenzentrum in Landschlacht am Bodensee würden verschiedene Kurse und spezielle Freizeitangebote, teils mit christlichem Hintergrund, für taubblinde Menschen angeboten und Betroffene begleitet. Die Fondation Romande en faveur des personnes Sourdaveugles in Monthey ist seit 1999 ein Wohnort sowie Kompetenzzentrum speziell für taubblinde Menschen, wobei auch gehörlose Menschen mit zusätzlichen Behinderungen aufgenommen werden. Die Leiterin, Françoise Gay, stellte anhand von zwei Bewohnerinnen konkret die vielfältigen Aktivitäten und Angebote des Zentrums vor, das auch eine Produktionsabteilung besitzt.
Muriel Blommaert, Ressortleiterin der Taubblinden-Beratung des SZB, präsentierte schliesslich das Beratungsangebot und die Aktivitäten der Animation für hörsehbehinderte Menschen. Der SZB biete Beratung an sieben Stellen und in den beiden Zentren in Lenzburg und Lausanne, sowie Kurse, Freizeitaktivitäten und Ferienangebote in der ganzen Schweiz an. Aktuelle Themen sind die Sensibilisierung älterer Menschen und ihres Umfelds auf die Thematik der Hörsehbehinderung. Bei allen Organisationen zeigte sich, dass die Förderung der Kommunikation, der Erhalt der Selbständigkeit, sowie die Selbstbestimmung und -verantwortung grosses Gewicht in der Arbeit mit betroffenen Menschen hat.

Was dient dem „Guten Altern“?
Zur Frage „Was bedeutet Älterwerden“ referierte am Nachmittag Prof. Hans-Werner Wahl vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. In seinen Ausführungen, die unter dem Titel „Lebenszeit und Lebensaufgaben im Erwachsenenalter und hohen Alter: Bedeutung bei Seh- und Höreinbussen“ standen, wies er auf die Tatsache hin, dass 25 Prozent unserer Lebensspanne die Lebensphase des „Alterns“ sei. Man gewinne heute einerseits Lebensjahre, müsse aber andererseits damit auch Verluste beim Seh- und Hörvermögen oder bei der Mobilität in Kauf nehmen. Man möchte neue Technologien, um selbständig zu leben, werde aber auf der anderen Seite mit „Gefährdungen“ und Einschränkungen konfrontiert. Neben anderen Aspekten hob er in seinem Referat einen Aspekt besonders hervor: „Gutes Altern“ heisse, Ziele zu haben. Ziele seien quasi „motivationale“ Energie des Lebendigseins. Allerdings seien berufliche, soziale oder materielle Lebensziele im hohen Alter vielfach bereits erreicht. Durch Krankheit, funktionale Behinderungen oder zunehmend weniger Zeit seien sie aber auch gefährdet. Prof. Wahl erläuterte, dass es zwar keine speziellen Untersuchungen in Bezug auf hörsehbehinderte Menschen gebe, doch gehe er davon aus, dass sich der Zielregulationsprozess bei diesen Menschen nicht grundlegend von demjenigen anderer Gruppen älterer Menschen ohne Behinderung unterscheide. Wesentliche Lebensziele seien im Alter der Erhalt der Selbständigkeit, gute soziale Einbindung, anderen nicht zur Last fallen oder das Gefühl, gebraucht zu werden. Es stellen sich immer die Fragen: Welche Ziele können noch erreicht werden? Welche müssen aufgrund der Lebenssituation angepasst oder aufgegeben werden? Je älter wir würden, umso mehr gehe es Richtung flexibler Zielanpassung, die mit höherem Wohlbefinden und geringerer Depressivität zusammenhänge. Im Zusammenhang mit den Zielregulationsanforderungen hörsehbehinderter Menschen ortete er einen psychosozialen Interventions- und Handlungsbedarf und forderte eine Psychoophthalmologie und Psychoaudiologie als Ergänzung zum klassischen Behandlungs- und Rehabilitationsprogramm.

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Für sehbehindertengerechte Beleuchtung

Ansicht eines Merkblatts für BeleuchtungDie Koordinationsstelle für Beleuchtungsfragen des SZB hat in Zusammenarbeit mit Lichtbau GmbH neue Merkblätter für eine sehbehindertengerechte Beleuchtung für den Umgebungsbereich „Kind und Schule“ sowie „Hauseingang und Treppe“ erarbeitet. Die Merkblätter geben Low Vision-Fachpersonen, Fachleuten an Beratungsstellen, Betreuerinnen im Sehbehinderten- oder Altersheimbereich, Betroffenen und deren Angehörigen, Lichtplanerinnen und Elektrikern wertvolle Hinweise zu Lichtbedarf, Blendungsbegrenzung, Anforderungen an Leuchten und Licht sowie Platzierung von Lichtquellen.

www.szblind.ch/angebot/optische-hilfsmittel-low-vision