Es geht vorwärts – mit kleinen Verzögerungen: Podiumsveranstaltung zum Thema „Sehbehinderte Menschen im öffentlichen Verkehr“

Die Podiumsveranstaltung vor der Delegiertenversammlung des SZB beleuchtete das Thema „Sehbehinderte Menschen im öffentlichen Verkehr“. In der Diskussionsrunde waren hochrangige Personen vertreten, die die aktuelle Situation in der Schweiz aus Sicht des Gesetzgebers, der Transportunternehmer und der betroffenen Menschen beleuchteten.

Von Norbert Schmuck

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) stehe vor einer grossen Herausforderung, meinte Peter Füglistaler. Ihm als Direktor des Bundesamtes erteilte Podiumsleiter Gerd Bingemann, Interessenvertreter beim SZB, zuerst das Wort. Es müsse nämlich das Prinzip der Verhältnismässigkeit beachtet werden: Während die behinderten Nutzerinnen und Nutzer rasch und vollständig autonomen Zugang zum öffentlichen Verkehr (öV) haben möchten, müsse das Ganze zusammenpassen und den betrieblichen Möglichkeiten sowie den Sicherheitsanforderungen entsprechen. Das BAV habe nun aber beschlossen, die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) verstärkt voranzutreiben. Dies soll mit einer vorzeitigen Anpassung der Infrastruktur, der Fahrzeuge und mit konformen Einstiegen bei den Zügen geschehen. Bis 2024 soll jede Stunde ein Zug mit Niederflur-Einstieg verkehren. Insbesondere will das BAV per 1. Juli 2016 die im Zuge der Bahnreform ins Schweizerische Recht übernommene Interoperabilitätsrichtlinie der EU umsetzen.

Technische Vorgaben teurer als geschätzt
Thomas Küchler-Lehmann, Präsident der Kommission Infrastruktur des Verbands öffentlicher Verkehr und Geschäftsleitungs-Vorsitzender der Schweizerischen Südostbahn AG, gestand, dass die meisten Bahnen in der Umsetzung des BehiG im Rückstand seien. Zu den Verzögerungen hätten Unsicherheiten und Missverständnisse bezüglich des Prinzips der Verhältnismässigkeit beigetragen. Die im Gesetz und in der Verordnung definierten technischen Vorgaben führten zu massiv höheren Kosten als ursprünglich geschätzt. Die vollständige Umsetzung des BehiG bis 2023 sei aus heutiger Sicht ohne zusätzliche finanzielle Mittel und ohne kapazitätsmässige Einschränkungen des Angebots kaum zu schaffen.

Bis jetzt hätten die Südostbahnen 20 ihrer 33 Bahnhöfe bereits gemäss BehiG saniert. Küchler-Lehmann rechnet damit, dass in acht Jahren alle Stationen den Anforderungen entsprechen. Ebenfalls werden ab dem 2023 nur noch Züge eingesetzt, die den Anforderungen des BehiG gerecht werden. Das heutige Tarifsystem und der wenig kundenfreundliche Zugang zum Ticket seien für ihn nicht mehr akzeptabel. Er selber scheitere regelmässig an den Ticketautomaten. Aktuell werde auf dem Voralpen-Express ein neues System getestet, um kundenfreundlichere Lösungen, zum Beispiel via App, zu erreichen.

Live vom Terrain berichtete Markus Koller, Fachmitarbeiter für öV-Technik bei Integration Handicap. Einiges sei bereits erreicht: Er erwähnte die Fahrgastinformation und Fahrplantafeln auf Augenhöhe sowie die Optimierung der Lesbarkeit. Viele Projekte, wie die baulichen Anpassungen der Bushaltestellen oder die Perronerhöhungen, würden aktuell entwickelt. Probleme würden die taktil-visuellen Bodenmarkierungen bereiten, da das BAV diesbezügliche Vorgaben geändert habe. Auch bei grossen Beschaffungsprojekten, wie den Fernverkehrsdoppelstockzügen DOSTO der SBB, arbeite Integration Handicap aktiv mit, wobei die Zusammenarbeit der Interessenvertretungen von behinderten Menschen mit der SBB teils schwierig sei. Grundsätzlich funktioniere die Zusammenarbeit mit den Behörden, dem SBB Behindertenrat oder der überkantonalen Koordination für den Umbau der Bushaltestellen aber gut. Teilweise komplexe Probleme würden sich bei der Schifffahrt und den Seilbahnen ergeben. Für die Infosysteme der dortigen Monitore gebe es Vorgaben, die nicht sehr weit gehen.

Für eine schlagkräftige Interessenvertretung
Olivier Maridor, Interessenvertreter beim Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband SBV, sprach über die verschiedenen Interventionsmöglichkeiten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene. Er betonte, dass die Koordination gerade in der Interessenvertretung wichtig sei und hob die Bedeutung der „Operativen Führung Interessenvertretung (OFI) hervor, die die Interessenvertretung im Sehbehindertenwesen koordiniert. Es gebe auch Projekte, die von einem einzelnen Verband verantwortet würden, wie PAVIP. In einzelnen Kantonen existierten Behindertenforen oder -konferenzen, die Vorstösse einreichten. Er bedauerte, dass es keine nationale Behindertenkonferenz gebe, die auf Politik und Behörden einwirken könne.

Iris Glockengiesser, Gleichstellungsjuristin bei Integration Handicap, unterstützte den Willen des BAV, die Umsetzung des BehiG voranzutreiben. Sie brach zudem für die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) eine Lanze. Die BRK ist seit Mai 2014 Teil des Schweizer Rechts und hält fest, dass die Zugänglichkeit zum öffentlichen Raum gewährleistet sein muss. Dazu gehört auch der Zugang zum öffentlichen Verkehr. Mobilität sei die Grundvoraussetzung, um überhaupt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Zwar könne ein internationaler Menschenrechtsvertrag die Welt nicht von heute auf morgen ändern. Doch er präge mittel- und langfristig die Gesetzgebung und unterstreiche die Verantwortung des Gesetzgebers, bestehende Gesetze auch umzusetzen.

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DV mit über 100 Teilnehmenden
An der Delegiertenversammlung des SZB vom 13. Juni nahmen über 100 Delegierte und Gäste teil. Die vom Präsidenten des SZB Stefan Zappa geleitetet DV verlief in entspannter Atmosphäre. Sowohl die positiv ausgefallene Jahresrechnung, wie auch der Jahresbericht und der Revisionsbericht wurden von den Delegierten ohne Gegenstimme genehmigt. Auch die Wahlen verliefen ohne Überraschung: Der Vorstand wurde einstimmig und mit Applaus wiedergewählt. Matthias Bütikofer präsentierte einen Auszug aus der neuen Strategie des SZB, die anerkennende Worte fand und ebenfalls ohne Gegenstimme verabschiedet wurde.