Muriel Blommaert leitet neu die Taubblinden-Beratung des SZBLIND
von Denise Cugini

Muriel BlommaertSeit dem 1. Januar 2012 leitet Muriel Blommaert die Taubblinden-Beratung des SZBLIND. Im März 1998 wurde sie als Sozialarbeiterin ein gestellt, und 2008 übernahm sie die Leitung der Taubblinden-Beratung für die Romandie. Ihr berufl icher Werdegang entspricht ganz ihrem Image: solide und kohärent. Dank eines glücklichen Zufalls antwortete Muriel Blommaert, die erste weibliche und erste französischsprachige Leiterin des Ressorts SZBLIND Taubblinden-Beratung, am 8. März auf die folgenden Fragen:

tactuel: Liebe Frau Blommaert, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer neuen Mission. Sie sind jetzt Leiterin des grössten Ressorts des SZBLIND. Wie lauten Ihre wichtigsten Ziele?
Muriel Blommaert: Da muss man zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen unterscheiden. 2012 werde ich mich vor allem dafür einsetzen, dass der funktionierende Betrieb des Ressorts gewährleistet bleibt, und dass die laufenden Projekte fortgeführt werden. Konkret geht es vor allem darum, dass die bereits existierenden Leistungen weiter erbracht werden und dass unser Vertrag mit dem BSV weiterläuft. Aufgrund interner Änderungen müssen wir ausserdem neue Mitarbeitende einstellen.

Und mittelfristig?
Unsere Strategie wird sich auch in den nächsten Jahren stark an den Leistungen für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen orientieren. Wir werden diese noch genauer defi nieren und entscheiden, was wir selbst bereitstellen müssen und was wir delegieren können. Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen muss deshalb fortgesetzt und noch weiter ausgebaut werden.

Arbeiten Sie mit vielen Einrichtungen zusammen?
Ja, natürlich. Auf nationaler Ebene sind unsere wichtigsten Partner die Fachstellen für Seh- und Hörbehinderte. Ausserdem stehen wir in enger Verbindung mit dem Centre de Marmettes und der Tanne, die auf die Beratung und Betreuung von taubblinden Menschen spezialisiert sind. Da zu kommt, dass die Taubblinden-Beratung Mitglied verschiedener Netzwerke und internationaler Organisationen ist. Zum einen haben wir dadurch die Möglichkeit, uns auf Studien und Erfahrungen zu stützen, die im Ausland durchgeführt bzw. gesammelt werden, und profi tieren dabei von den Ergebnissen. Zum anderen informieren wir auch unsere internationalen Partner über die Ergebnisse unserer eigenen Arbeit. Interessant ist dabei die Feststellung, dass es bei den Leistungen für taubblinde und hörsehbehinderte Personen in den verschiedenen Ländern grosse Unterschiede gibt. Deshalb müssen wir uns Fragen über das «Warum» und das «Wie» unserer Arbeit stellen.

«Schlecht sehen und hören im Alter ist ein öffentliches Thema»

Können Sie das konkretisieren?
In der Schweiz haben sich die Leistungen für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen auf der Grundlage derjenigen für sehbehinderte Menschen entwickelt. Deshalb konzentrierten sich diese Leistungen lange Zeit auf die Mobilität und Sehbehinderung. In anderen Ländern sind die Dienstleistungen aus dem Bereich der Taubheit hervorgegangen und waren stärker auf die Kommunikation ausgerichtet. Wir haben deshalb unser Rehabilitationsangebot mit kommunikationsorientierten Leistungen ergänzt. Ausserdem haben wir in Zusammenarbeit mit Sonos 2006 eine Schulung für Kommunikations-Assistenten und -Assistentinnen eingerichtet. Dieses System gibt es auch – in einer etwas anderen Form – in anderen europäischen Ländern und fördert die Integration und Beteiligung von taubblinden Menschen.

Haben Sie auf nationaler Ebene Projekte für das Gesundheitswesen?
Ja. Dank einer Studie über die Lebensbedingungen von taubblinden und hörsehbehinderten Menschen in der Schweiz konnten wir feststellen, dass die Zahl der betroffenen Menschen zwischen 10’000 und …200’000 liegt! Die grosse Mehrheit der von dieser Problematik betroffenen Personen sind alte und sehr alte Menschen. Schlecht hören und schlecht sehen im Alter ist meiner Meinung nach ein öffentliches Gesundheitsthema, das wenig angesprochen wird. In den kommenden Jahren müssen wir Mittel finden, um die betroffenen Personen und ihr Umfeld, die Beschäftigten im Gesundheitswesen sowie die breite Öffentlichkeit besser zu informieren.

Und sind Sie bereit, 10’000 bis 200’000 neue Klienten zu beraten?
Das wird nicht möglich sein! Deshalb ist es wichtig, dass die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die mit diesen Personen in Kontakt stehen, sensibilisiert und geschult werden. Diese Thematik muss in der Ausbildung des Pflegepersonals angesprochen werden, was derzeit nicht der Fall ist. Ich gehe davon aus, dass die Lebensqualität älterer Menschen, die schlecht sehen und hören, durch die Sensibilisierung und Schulung der Beschäftigten im Gesundheitswesen erheblich verbessert werden könnte. Unsere Informationspflicht hat Vorrang, und wir hoffen, diesen Aspekt unserer Arbeit in den kommenden Jahren noch weiter in den Vordergrund rücken zu können.

Kommen wir zurück zu Ihnen. War es für Sie ein Ziel, Leiterin des Departements zu werden?
Keineswegs. Ich habe mich nie in dieser Rolle gesehen. In der Taubblinden-Beratung des SZBLIND ist jeder Mitarbeiter dazu aufgefordert, seine Ideen und Ansichten zum Ausdruck zu bringen. Deshalb habe ich mich immer aktiv an den Entscheidungen beteiligt. Als mich einige Personen aus meinem privaten und beruflichen Umfeld gefragt haben, ob ich mich für die Stelle bewerben wür de, habe ich nur gelacht. Das hörte sich für mich nach reinster Science Fiction an! Dann habe ich mir schliesslich Zeit zum Nachdenken genommen, und nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschlossen, mich für die Stelle zu bewerben.

«Ich bleibe mit den Bedürfnissen unserer Klienten auf Tuchfühlung»

Was verstehen Sie unter «reiflicher Überlegung»?
Als Frau und Mutter einer Familie mit zwei noch kleinen Kindern ist das eine schwerwiegende berufliche Entscheidung, die Konsequenzen für die Organisation des Privatlebens hat. Die Beratung für taubblinde Menschen zählt siebenundzwanzig Mitarbeiter – also fast die Hälfte aller SZBLIND-Mitarbeiter. Ich musste analysieren, was die-se Arbeit für mich und meine Familie bedeutet, und ob ich die notwendigen beruflichen und persönlichen Kompetenzen besitze. Mir muss die Arbeit Freude bereiten, und die Motivation ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Die Unterstützung, die ich von verschiedener Seite erhalten habe und das mir entgegengebrachte Vertrauen haben mich zusätzlich ermutigt. Und schliesslich muss man sich vor Augen halten, dass sich eine solche Gelegenheit nicht jeden Tag bietet.

Sie arbeiten heute nicht mehr als Sozialarbeiterin. Sind Sie nicht weg von der Praxis?
Nein, ich glaube nicht. Meine praktischen Erfahrungen, die ich in vierzehn Jahren gesammelt habe, werden nicht plötzlich verblassen, und ich bleibe mit den betroffenen Personen über das Benutzerforum und über die Zusammenarbeit mit den Selbsthilfegruppen in Kontakt. Es ist sehr wichtig, mit den tatsächlichen Bedürfnissen unserer Klienten auf Tuchfühlung zu bleiben, aber die Tatsache, nicht direkt in die Hilfebeziehung eingebunden zu sein, hat auch Vorteile. Ich bin der Meinung, dass eine gewisse Distanz die Sichtweise unterstützt und die Entscheidungsfindung vereinfacht.

Herzlichen Dank Muriel und viel Glück für Ihre neuen Aufgaben.