Ein Handbuch für die Kommunikation mit taubblinde und hörsehbehinderten Menschen

Die Haptik ist eine aus Skandinavien stammende Kommunikationsform, die auf Körperberührungen beruht. Um die schnelle und leichte Methode auch in der Schweiz fest zu verankern, haben die beiden Selbsthilfeorganisationen tactile Deutschschweiz und GERSAM nun das erste Haptik-Handbuch der Schweiz entworfen.

von Anette Ryser

„Haptische Zeichen sind schnelle und praktische Signale, die für fast jeden gut zugänglich sind. Sie öffnen und erweitern deshalb Kommunikationshorizonte“, erklärt Anita Rothenbühler, die Präsidentin von tactile, der Selbsthilfeorganisation für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen. Gemeinsam mit ihrer WestschweizerSchwesterorganisation GERSAM hat tactile 2012 das erste Schweizer Haptik-Handbuch herausgegeben. Ziel ist, die Haptik als ergänzende Kommunikationsmethode auf nationaler Ebene einzuführen. Das Handbuch erschien auf Deutsch, Französisch und Italienisch.

Skandinavische Pioniere

Die haptische Kommunikation basiert auf Berührungen innerhalb neutraler Körperzonen, wie etwa an den Händen, Armen oder Schultern. Dies spiegelt sich im Begriff „Haptik“, der auf das griechische Wort „haptos“ für „fühlbar“ zurückgeht. 35 definierte Berührungszeichen werden mit der Hand auf den zugeordneten Körperzonen taubblinder oder hörsehbehinderter Menschen ausgeführt. Für die Haptik „Ich bin wieder da“ gilt etwa folgende Beschreibung: „Vom Handgelenk der empfangenden Person mit den Zeige- und Mittelfingerspitzen Richtung Unterarm laufen. Auf Bestätigung der wartenden Person warten“.

Dies kann besonders an einem lauten und unübersichtlichen Ort, wie einem Bahnhof, praktisch sein. Ebenso können haptische Zeichen helfen, sich im Raum zu orientieren – beispielsweise, wenn einem jemand ein Schema des Raums auf den Rücken zeichnet. Diese Haptiks, die auf den Rücken ausgeführt werden, sind in der Schweiz noch nicht eingeführt worden, aber Standard in Skandinavien.

Als Pioniere der haptischen Kommunikation gelten das Ehepaar Riitta Lahtinen und Russ Palmer aus Helsinki. Russ Palmer ist taubblind und lebt heute mit einem Cochlea-Implantat. Am Anfang standen die eigenen Kommunikationsschwierigkeiten der beiden – um sie zu überwinden, wurden sie erfinderisch im Anwenden von Körperzeichen. Dank Riita und Russ ist die haptische Kommunikation in Skandinavien bereits weit verbreitet. „Mit der Herausgabe unseres Handbuchs hat die Haptik nun aber auch in der Schweiz Einzug gehalten“, freut sich Anita Rothenbühler.

Der Zweck der haptischen Zeichen ist in erster Linie, dass taubblinde und hörsehbehinderte Menschen rasch Zugang zu wichtigen Informationen bekommen. Sie ermöglichen, Zeit zu gewinnen und erleichtern den Informationsfluss. Gerade in hektischen oder gefährlichen Situationen kann dies wichtig sein. Damit ergänzt die Haptik bestehende Kommunikationsformen wie Lormen, Gebärdensprache, Visual Frame, Brailleschrift oder Lautsprache.

Beliebte Kurse

„In unserer Lormlehrerinnen-Erfahrungsgruppe suchten wir Möglichkeiten, um das Lormen effizienter zu gestalten“, blickt Anita Rothenbühler zurück. „So entstand schliesslich die Idee für das Handbuch.“ Inspiriert von den skandinavischen Ländern organisieren die beiden Selbsthilfeorganisationen sowie der SZB zudem bereits seit 1999 Workshops, Seminare und Kurse zum Thema, auch mit Riitta Lahtinen und Russ Palmer als Referenten. Eine gute Einführung in die haptische Kommunikation lohne sich, weiss Anita Rothenbühler, auch wenn sie, verglichen etwa mit der taktilen Gebärdensprache oder dem Lormen, relativ einfach zu lernen sei. Rothenbühler: „Das Erlernen der Haptik ist aber vor allem eine spannende Reise, die taubblinden und sehbehinderten Menschen sowie ihrer Umgebung neue Möglichkeiten eröffnet.“