Was die Beratungsstellen für die Arbeitssituation sehbehinderter Menschen tun können

Von Ann-Katrin Gässlein

Was leisten die verschiedenen Akteure im Sehbehindertenwesen? Wie sind ihre Programme und Dienstleistungen ausgerichtet? Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Stellenverluste verhindern: Denkt das Sehbehindertenwesen präventiv?“ brachten verschiedene Akteure ihre Sichtweisen und Erfahrungen zum Ausdruck.

„Ich kann absolut bestätigen: Der proaktive Dialog über die Behinderung ist sehr wichtig“, erklärte Marie-Pierre Assimacopoulos. Sie ist Psychologin und Berufsberaterin in Genf und selbst blind. Allerdings gestalte sich die Realität immer etwas schwieriger als die Theorie: um über die eigene, womöglich fortschreitende Sehbehinderung sprechen zu können, ist Vertrauen nötig. Und es braucht immer wieder Kraft, den Schritt zur Offenlegung des eigenen Gesundheitszustands zu wagen: Denn „die Situation bleibt ja nicht gleich, es kommen neue Direktiven, neue Chefs, neue Mitarbeitende. Man muss immer wieder von vorne anfangen.“

Professionelle Unterstützung kann bei der proaktiven Unterstützung helfen: zum Beispiel, wenn man den Kolleginnen und Kollegen erklären will, wie das Vorleseprogramm Jaws funktioniert. Dass man es beispielsweise nicht nötig hat, in der täglichen Routine bei jedem Schritt begleitet zu werden, aber auf eine Begleitung und Unterstützung während einer beruflichen Weiterbildung angewiesen ist.

„Es braucht Leistungsbereitschaft“

Einen anderen Akzent setzte Denise Gehrig, Leiterin Beratung beim Schweizerischen Blindenbund in Zürich. Aus ihrer Sicht ist es dem Sehbehindertenwesen im Moment aufgrund seine „verstaubten Eindrucks“ kaum möglich, die arbeitsfähige sehbehinderte oder blinde Bevölkerung überhaupt zu erreichen. Selbst wenn die Menschen, die durchaus Unterstützung in Anspruch nehmen könnten, Mitglied einer Selbsthilfeorganisation seien, würden sie doch „praktisch nie eine Beratungsstelle aufsuchen“. Um insbesondere auch jüngere sehbehinderte Menschen zu erreichen, brauche das Sehbehindertenwesen eine grundsätzliche Erneuerung: zu thematisieren sei der Genderaspekt – die Feststellung, dass Frauen weniger verdienen als Männer, wird auch in der SAMS-Studie für sehbehinderte Frauen bestätigt –, aber auch das Thema Belastbarkeit. „Belastbarkeit muss rechtzeitig und intensiv trainiert werden, wenn man im Arbeitsmarkt bestehen will“, so Denise Gehrig. Es führe nicht weiter, von der Gesellschaft oder vom Arbeitsmarkt Anpassungen zu verlangen. Im Moment sei Integration, auch Arbeitsintegration immer noch etwas, was der Integrationswillige leisten müsse. Mit Hilfe eigener Leistungsbereitschaft und auch Überkompensation.

„Nicht jedes Problem im Job ist der Sehbehinderung geschuldet“

Stefan Kaune, Geschäftsführer der Sehbehindertenhilfe Basel, zeigte konkret auf, wie eine Zusammenarbeit mit der IV geschieht: Insgesamt bietet das Ressort SBHprofessional 16 standardisierte Angebote an. Berufliche Weiterbildung ist eines davon. Auch werden Personen, die an diesen beruflichen Massnahmen teilnehmen, nach dem Abschluss regelmässig befragt, um die Wirkung der Massnahmen zu evaluieren, von zukünftigem Unterstützungsbedarf zu erfahren und so auch die Angebote selber optimal weiterentwickeln zu können.

In SBHprofessional werden vor allem blinden- und sehbehinderungsspezifische „skills“, also spezifische Fertigkeiten trainiert. Dazu gehören etwa der flexible Einsatz von Hilfsmitteln und die Beherrschung kompensatorischer Arbeitstechniken. Auch betonte er, dass etwa Effizienz und Geschwindigkeit ein relevanter Aspekt sei, der aber etwa in der Low Vision-Ausbildung keine Rolle spiele, im LV-Training für den Arbeitsmarkt aber ausserordentlich wichtig ist. Was berufliche Massnahmen nicht zur Aufgabe haben, sind Lösungen für ganz alltägliche Schwierigkeiten im Arbeitsleben: Konflikte, die in der Interaktion von Arbeitnehmern und ihren Vorgesetzten oder innerhalb eines Teams entstünden, seien ja nicht zwingend immer auf die (Seh-)Behinderung zurückzuführen. Hier sieht er (wie bei der eigenen Beratungsstelle in Basel umgesetzt) Aufgaben für alle Beratungsstellen des Sehbehindertenwesens: „soft skills“ für die Arbeitswelt trainieren. Ohne ein klares Eigenverständnis der Behinderung und seiner Auswirkungen wird es schwer am Arbeitsplatz. Gleichzeitig sollten Klientinnen und Klienten ermutigt werden, sich über Fort- und Weiterbildungen Gedanken zu machen, um bessere Qualifikationen zu erreichen um den Arbeitsplatz dann auch erhalten zu können.