Portraitbild von Ann-Katrin GässleinEs war während der Weihnachtsfeiertage, als ich mit einem guten Bekannten in ein längeres Gespräch verwickelt wurde: Er arbeitet in einer grossen kantonalen Bibliothek, die im nächsten Jahr vor einem gewaltigen Umbau steht. Neben einer Komplettsanierung der Aussenfassade werden nun alle Ein- und Ausgänge erweitert, Lifte mit Sprachausgaben eingebaut, ein modernes, deutliches Beschilderungssystem installiert und zahlreiche weitere Schritte unternommen, um das Gebäude barrierefrei zu gestalten. Aus seiner Sicht seien all diese Bemühungen „unnötig“ und „unwirtschaftlich“. Es gebe nur wenige Mitarbeitende mit einem Handicap – und diese könnten ja stets jemanden fragen, wenn sie Hilfe bräuchten. Schliesslich sollte die Gesellschaft vielmehr Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit entwickeln, statt Barrierefreiheit für viel Geld zu verwirklichen.

Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit – ja, das sind sicher Tugenden, die unserer Gesellschaft nötig hat. Aber es reicht nicht. Das ständige Angewiesensein auf andere Menschen ist keine Lösung auf Dauer. Es ignoriert die Selbstbestimmung von Menschen und setzt eine Ungleichbehandlung fest, die es wirklich nicht braucht. Seit ich selbst im öffentlichen Verkehr mit einem unförmigen Kinderwagen unterwegs bin und mich das letzte Mal über unlesbare Passcodes bei einer Online-Bezahlung geärgert habe, sehe ich die Welt mit anderen Augen. Eine barrierefreie Welt ist fair, schafft für alle die gleichen Voraussetzungen – und eine hohe Lebensqualität. Daher haben wir das Schwerpunktthema der ersten tactuel-Ausgabe der Barrierefreiheit gewidmet. Wir beleuchten verschiedene Aspekte – die gesetzlichen Grundlagen, die heutige Situation im öffentlichen Verkehr, die Herausforderungen beim Programmieren einer Website – und werfen auch einen Blick auf Film und Fernsehen. Auch hier zieht Barrierefreiheit mithilfe von Audiodeskriptionen allmählich ein.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre!

Ann-Katrin Gässlein, Redaktorin