Entscheide des BRK-Ausschusses in Genf zum Recht auf Arbeit

Von Ann-Katrin Gässlein

Das Bild zeigt ein eher familiär eingerichtetes Arbeitszimmer mit leerem Bürostuhl.

Es braucht wirksame Massnahmen, um ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen.
Bild: brezelwurst, photocase.com

In Genf arbeitet der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung (BRK-Ausschuss). Er ist ein Organ, von der UNO auf internationaler Ebene geschaffen, um die Behindertenrechtskonvention (BRK) zu überwachen. Seine Aufgabe ist es unter anderem, über Individualbeschwerden zu entscheiden. Einzelne Personen können, wenn sie eine Verletzung eines Rechts der BRK vermuten, eine Beschwerde einreichen, falls der Vertragsstaat das Fakultativprotokoll zur BRK ratifiziert hat.

Rechtlich bindend und vollstreckbar sind die Urteile des Ausschusses nicht. Doch sie entfalten politische Wirksamkeit, da sie Empfehlungen an den jeweiligen Staat enthalten. Entscheidungen des Ausschusses werden von den Staaten häufig akzeptiert.

Die BRK schafft in Artikel 27 kein Recht auf einen konkreten Arbeitsplatz für Menschen mit Behinderung, sondern das Recht auf gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Menschen mit Behinderungen müssen die Möglichkeit erhalten, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und barrierefrei zugänglichen Arbeitsmarkt frei gewählt werden kann. Die Vertragsstaaten ihrerseits müssen notwendige Massnahmen ergreifen, um ein inklusives Arbeitsumfeld sicherzustellen, wirksamen Schutz vor Diskriminierungen bieten und Massnahmen ergreifen, um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im privaten Sektor zu fördern. Das verlangt die BRK.

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Wie gestaltet sich das „Recht auf gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt“, wie es in der Behindertenrechtskonvention (BRK) festgelegt ist, in den Ländern Europas? Was können Menschen mit Behinderung von Arbeitgebern erwarten? Wo liegen Grenzen? In unregelmässiger Folge präsentiert tactuel Beispiele, wie Menschen mit Behinderung in Europa für einen Zugang zum Arbeitsmarkt streiten, und was die Gerichte entscheiden.

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Fall: Liliane Gröniger gegen Deutschland

Ein Jugendlicher mit körperlicher Behinderung hatte erfolgreich eine Berufsausbildung abgeschlossen und im Anschluss mit Hilfe der Arbeitsagentur (Arbeitsamt) erfolglos versucht, eine Arbeitsstelle zu finden. Er, bzw. seine Eltern, klagten auf nationaler Ebene ein, dass die staatlichen Stellen ihn nicht ausreichend bei der Arbeitssuche unterstützt hätten und gelangten schliesslich an den Ausschuss in Genf.

Die Beschwerde stand in engem Zusammenhang mit dem sogenannten Eingliederungszuschuss im deutschen Recht (Paragrafen 88 bis 92 Sozial Gesetzbuch III). Dieser kann in Deutschland von Arbeitgebenden beantragt werden, wenn sie Arbeitnehmer/innen anstellen, deren Vermittlung aufgrund ihrer Behinderung erschwert ist. Sie erhalten dann einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt für den Ausgleich der Minderleistung. Der Eingliederungszuschuss kann bis zu 70 Prozent des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts und die Förderdauer bis zu 24 Monate betragen.

Zu viel Administration, zu wenig Wirksamkeit

Der Ausschuss befand die grundsätzliche Stossrichtung des Systems des Eingliederungszuschusses, das die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt fördern soll, als positiv. Allerdings hätten sich im konkreten Fall diverse Probleme gezeigt, welche dennoch zu einer Verletzung des gleichberechtigten Zugangs von Menschen mit Behinderungen zum Arbeitsmarkt im Sinne der Vorgaben des Art. 27 BRK führen:

  • Der administrative Aufwand für Arbeitgebende zur Beantragung des Eingliederungszuschusses sei zu hoch. Dies wirke sich in der Praxis negativ auf die Chancen für Menschen mit Behinderungen aus, eine Anstellung zu finden.
  • Der Eingliederungszuschuss könne nur von Arbeitgebern beantragt werden, Menschen mit Behinderungen könnten sich nicht daran beteiligen.
  • Das Konzept hinter dem Zuschuss basiere immer noch auf dem alten medizinischen Verständnis von Behinderung.

Deutschland wurde vom Ausschuss daher aufgefordert, das System auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen und Schritte zu ergreifen, um den Eingliederungszuschuss in Einklang mit den Vorgaben der BRK zu bringen.

Der Text ist eine leicht geänderte Fassung des Kapitels von Dr. Iris Glockengiesser: „Entscheide des BRK-Ausschusses in Genf zum Recht auf Arbeit“, erschienen in fokus, Abteilung Gleichstellung, von Inclusion Handicap. Die Veröffentlichung geschieht mit freundlicher Genehmigung der Fachstelle.