Politische Satire, Rassismus und Sehnsucht nach „erfüllter Zeit“

Von Valentin Arens

tactuel_02_2016_ZeitAm 19. Februar verstarb Umberto Eco. Er war einer der bekanntesten Schriftsteller und Intellektuellen Italiens. Seit seinem Sensationserfolg mit „Der Name der Rose“ hat er weitere, überwiegend historische Romane veröffentlicht. Als Bürger und politischer Autor war Eco zudem ein aktiver und vehementer Gegner von Silvio Berlusconi. In zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln kritisierte er dessen Politik scharf. In seinem letzten Roman „Nullnummer“ lässt er den Cavaliere in der Figur des Commendatore Vimercate auftreten, der nur zu Erpressungszwecken eine Zeitung plant, die nie veröffentlicht werden soll: Der Niedergang Italiens als bittere Mediensatire.

Ebenfalls am 19. Februar verstarb die US-amerikanische Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin Harper Lee in Alabama. Bis vor kurzem galt ihr millionenfach verkaufter Roman „Wer die Nachtigall stört“ als ihr einziges Werk. 55 Jahre nach dem Welterfolg, im Februar letzten Jahres erschien „Gehe hin, stelle einen Wächter“.Allerdings handelt es sich nicht um einen neuen Text, sondern um eine bereits 1957 entstandene Vorfassung von der „Nachtigall“, die aber 20 Jahre später spielt. Das bis dato unbekannte Erstlingswerk enthält den Keim zum Welthit, aber es ist ein radikal anderes Buch, denn Harper Lee zeigt darin ihren Helden Atticus Finch in einem wesentlich düstereren, realistischeren Licht.

„Wenn man nicht an den eigenen Tod erinnert werden will, sollte man vorsichtig sein mit dem Versuch, Zeit für sich zu gewinnen“ und sich über Beschäftigung ablenken, schreibt der Literaturwissenschaftler und Philosoph Rüdiger Safranski in seinem neuen Buch „Zeit“. Die profunde Abhandlung ist in zehn Kapitel gegliedert, die sich mit verschiedenen Aspekten der Zeit und des Zeitempfindens auseinandersetzen. Das beginnt mit der „Zeit der Langeweile“ und führt bis zu „erfüllte Zeit und Ewigkeit“: Wobei Ewigkeit nicht endlose Zeit, sondern etwas völlig anderes als Zeit ist, nämlich ein „Sehnsuchtsbild der Menschheit“.

  • Eco, Umberto: Nullnummer. München: Hanser, 2015. Ausleihe: DS 32081.
  • Lee, Harper: Gehe hin, stelle einen Wächter. München: Der Hörverl., 2015. Ausleihe: DS 31160.
  • Safranski, Rüdiger: Zeit. Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen. München: Hanser, 2015. Ausleihe: DS 32025

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Der erste fiese Typ (Braille-Tipp)

tactuel_02_2016_Miranda-JulyMiranda July ist ein viel beschäftigtes Multitalent. Als Performancekünstlerin bespielt sie die grossen Museen, als Filmregisseurin ist sie mehrfach preisgekrönt, zudem ist sie Tänzerin und App-Erfinderin. Sie ist auch Schriftstellerin. Für ihren Erzählband „Zehn Wahrheiten“ wurde sie mit dem Frank O’Connor International Short Story Award ausgezeichnet. Nun hat sie ihren ersten Roman veröffentlicht: „Der erste fiese Typ“. Das äusserst skurrile Buch dürfte alle Erwartungen erfüllen, die feministisch geschulte Fans von July erwarten: Ein 40-jähriges, dickliches Mauerblümchen findet einen schmerzvollen aber glücklichen Ausweg aus seiner Misere. Bis dahin aber zerstört das Buch alle Tabus, die sich irgendwo festgesetzt haben könnten. Zunächst ist es peinlich und unappetitlich, dann rabiat und gewalttätig, letztendlich aber zutiefst menschlich und versöhnlich.

  • July, Miranda: Der erste fiese Typ. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2015. Ausleihe: BG 24613