Tatenlose Träumerei
tactuel_02_Lesetipps_oblomowIvan Goncarovs «Oblomow» ist der Inbegriff der Antriebslosigkeit. Seiner Lethargie kann er frönen, weil er ein Landgut und ein Vermögen geerbt hat. Jedes Ziel, das er sich setzt, geht unter in tatenloser Träumerei. In unserer hektischen, auf Effizienz fixierten Zeit wird die «Oblomowerei» mittlerweile als Krankheitsbild gesehen. Die Neuübersetzung von Vera Bischitzky aber zeigt, dass neben der Tragik der Figur auch pralle Sinnlichkeit und Witz in diesem russischen Klassiker stecken.

Ivan A. Goncarov, Oblomow, München: Hanser, 2012. SBS-Ausleihe: DS 26485

Hoch spannende Langeweile
tactuel_02_Lesetipps_buzzatiDino Buzzati gilt als der italienische Kafka. Die Sinnlosigkeit eines Lebensentwurfs exerziert er in seinem Roman «Die Tatarenwüste » anhand strenger militärischer Rituale vor. Mit der «Gewissheit, dass alles Gute des Lebens erst noch kommen werde» rückt ein junger Offizier in eine weit entfernte Festung ein. Allein die Hoffnung auf kriegerischen Heldenruhm hält ihn dort gefangen. Dass die Langeweile ein literarisch hoch spannendes Phänomen ist, belegt dieses 1940 erstmals erschienene Meisterwerk.

Dino Buzzati: Die Tatarenwüste, Berlin: AB – Die Andere Bibliothek, 2012. SBS-Ausleihe: DS 26461

Der Kampf um Macht und Glück
tactuel_02_Lesetipps_jamesDie unter dem Titel «Wie alles kam» zusammengefassten fünf Erzählungen von Henry James erschienen 2012 zum ersten Mal auf Deutsch. James ist hierzulande vor allem bekannt wegen seiner Romane «Porträt einer Dame» und «Washington Square». In der angelsächsischen Welt aber wird er in erster Linie wegen seiner über hundert Erzählungen hoch geschätzt. Dort ist er immer noch ein Kultautor und als Vorläufer zu Schriftstellern wie Joyce und DosPassos angesehen. Der Kampf der Geschlechter um Macht und vermeintliches Glück war das bevorzugte Thema dieses grossen amerikanischen Autors.

Henry James: Wie alles kam, Zürich: Manesse-Verlag,2012. SBS-Ausleihe: DS 26599

Neuer Anfang aus der Katastrophe (Braille-Tipp)
Peter Stamm hat, anders als der Grossteil der deutschsprachigen Schriftsteller, auch im angelsächsischen Kulturraum ein Publikum. Mit seinem Debüt «Agnes» wurde Stamm zum Star, seitdem sind drei gefeierte Romane und drei Erzählbände erschienen, die laut NZZ «zum Bemerkenswertesten gehören, was man gegenwärtig lesen kann». «Nacht ist der Tag» heisst sein neuer Roman. Gewohnt schnörkellos und lakonisch erzählt er die Geschichte einer schönen Fernsehmoderatorin, deren Gesicht bei einem schweren Autounfall zerstört wird. Sie muss den Weg zurück ins Leben finden und schliesslich erweist sich der Schicksalsschlag sogar als Chance. Ein leiser Roman, der beschreibt, wie aus einer Tragödie ein neuer Anfang werden kann.

Peter Stamm: Nacht ist der Tag, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 2013. SBS-Ausleihe: BG 22022