Alles begann im Mai 2003. Von meinem Balkon aus blickte ich auf eine Pappel, in der sich ein Vogelnest befand. Als ich abwechslungsweise ein Auge schloss und wieder öffnete, bemerkte ich, dass ich mit dem linken Auge nichts sah. Ich suchte sofort die Augenklinik auf, in der man mir ein Glaukom am linken Auge diagnostizierte. Erst 2011, nach einer langen Zeit der Unsicherheit, wurde dann auch ein Glaukom am rechten Auge diagnostiziert. Dank einer 2012 erfolgten Operation ist es gelungen, das noch verbleibende Sehvermögen im rechten Auge aufrechtzuerhalten. Heute kann ich mit dem linken Auge nur noch Hell und Dunkel wahrnehmen und auf dem Rechten hat sich das Gesichtsfeld tunnelförmig eingeengt. Überdies leide ich unter der Horton-Krankheit, die zu einer ungenügenden Durchblutung der Gefässe, einschliesslich der Blutgefässe im Auge, führt.

Trotz einer stark eingeschränkten Sehfähigkeit ist mein Leben erfreulicherweise recht angenehm. Natürlich hatte ich mit einigen Schwierigkeiten und Frustrationen zu kämpfen. Ich musste mich zum Beispiel damit abfinden, mich nicht mehr im Spiegel betrachten oder Gesichter erkennen zu können. Ich musste lernen damit umzugehen, mich inmitten von Menschen allein zu fühlen oder auch erleben, wie gewisse Freunde auf Distanz gingen, weil sie nicht wussten, wie sie auf meine Krankheit reagieren sollten. Tagsüber zwischen 10.00 und 15.00 Uhr leide ich unter starken Sehstörungen – alles ist wie in dichten Nebel gehüllt. Während dieser Zeit vermeide ich es deshalb, alleine nach draussen zu gehen.

Insgesamt kann ich jedoch sagen, dass ich das alles kommen sah. Ich hatte Zeit, um den Umgang mit dem weissen Stock zu üben, als ich noch gut sah und konnte so lernen, mich selbständig fortzubewegen. Ich habe auch das Glück, eine Freundin zu haben, die mir bei meinen Einkäufen hilft, mich zu Arztterminen begleitet oder mit mir kommt, wenn ich beispielsweise meine Cousinen besuchen möchte. Ich führe nach wie vor ein aktives Leben. So spiele ich jeden Donnerstag mit einer Freundin Riesenscrabble, nehme an Ausflügen mit dem Chor teil, in dem ich früher Mitglied war, arbeite für den Samariterverein des Hôpital de Lavaux, wo ich auch die Gottesdienste gestalte, und spiele vor allem Klavier, was mir dank vergrösserter Musiknoten möglich ist. Das alles bedeutet mir sehr viel! Zwischen 22.00 Uhr abends und 2.00 Uhr morgens habe ich meine besten Stunden. Die Gefässe in den Augen sind dann besser durchblutet und auch das künstliche Licht wirkt sich positiv aus, sodass ich schreiben, lesen und zeichnen kann. Das sind für mich vier Stunden des Glücks, für die ich dankbar bin.

Anonym

Aufzeichnung: Carol Lagrange