Was die IV für die berufliche Eingliederung leistet

Von Ann-Katrin Gässlein

Seit der IVG-Revision 6a steht der Gedanke der beruflichen (Wieder-)Eingliederung im Mittelpunkt: Wo immer möglich, sollen Menschen mit Behinderungen einen Zugang zur Arbeitswelt zu erhalten – über Eingliederungs- oder Umschulungsmassnahmen. Eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielt die Invalidenversicherung (IV). Ein Gespräch mit Donald Locher und Franziska Eder von der IV Luzern.

Herr Locher, ist es nicht ganz einfach? Ob eine berufliche Eingliederung stattfindet oder nicht, liegt allein am Arbeitgeber…

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„Unser Ziel ist eine möglichst gute Ausbildung!“ Donald Locher und Franziska Eder im Gespräch
Bild: akg

An sich schon, aber es ist immer noch viel zu wenig bekannt, wie viel Unterstützung Arbeitgeber gerade auch von der IV erhalten, wenn sie junge Menschen mit Behinderung einstellen: Es gibt beispielsweise Zuschüsse für die Einarbeitung, den so genannten „Arbeitsversuch“ – sechs Monate lang kann ein Unternehmen einen  potenziellen Arbeitsnehmer „gratis“ beschäftigen.

Die IV zahlt also einen Lohnbeitrag?

Nicht nur. Andere interessante Punkte für die Arbeitgeber sind zum Beispiel Rückvergütungen bei der Krankentaggeld-Versicherung. Viele Arbeitgeber befürchten, dass Menschen mit Behinderung häufiger krankheitsbedingt ausfallen – doch mit dieser Rückvergütung entstehen keine zusätzlichen Kosten.

Und gibt es noch andere Unterstützung?

Wir beauftragen Coaches, welche die sehbehinderten Jugendlichen während der Ausbildung und der anschliessenden Stellensuche beraten und begleiten.  Denn das Ziel ist ja, möglichst viele Jugendliche in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Die Unterstützung reicht dabei von einer psychologisch-pädagogischen Hilfe über Hilfsmittel bis zu „supported education“. Diese Instrumente sind äusserst wirksam. Wir können heute viel mehr Lehrabschlüsse im ersten Arbeitsmarkt erreichen, die früher nur im geschützten Rahmen möglich gewesen wären.

Arbeiten Sie dabei mit externen Partnern zusammen?

In erster Linie kooperieren wir während der Berufswahl mit den Schulen, wo die Jugendlichen ihren Abschluss machen. Ein Case Management während der  Ausbildungsphase leistet z.B. der Ambulante Begleitdienst von Bern, die SAH Basel bietet ein Ausbildungscoaching an und verschiedene andere Organisationen vernetzen zwischen allen Beteiligten – also zwischen dem Jugendlichen, der Berufsschule, dem Hilfsmittelanbieter und dem Arbeitgeber.

Was hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren verbessert?

Das Bewusstsein dafür, wie wichtig die berufliche Eingliederung für junge Menschen mit Behinderung ist, steigt – bei den Arbeitgebern, aber auch bei uns, bei der IV. Wir suchen heute zum Beispiel geeignete Module aus, die für die individuelle Ausbildung eines Jugendlichen passend sind. Und wir können auf die Berufsschulen Druck ausüben: Wenn ein Jugendlicher mit Sehbehinderung eine Ausbildung macht, müssen sie besser planen, Lehrmaterialien entsprechend aufbereiten und zum Beispiel Prüfungsfragen früher schicken.

Frau Eder, wo sehen Sie die grösste Hürde für eine erfolgreiche berufliche Eingliederung?

Franziska Eder: Ich denke, junge sehbehinderte oder blinde Menschen müssen früh lernen, sich durchzusetzen. Sie müssen die vorhandenen Hilfsangebote prüfen und die Hilfe auch abholen. Ausserdem müssen sie sich vernetzen und ein Unterstützungsfeld aufbauen. Als Einzelgänger kommen sie nicht weit. Sie müssen aktiv werden und sich trauen, überall nachzufragen!

Damit sprechen Sie aber Kompetenzen an, auf welche die IV keinen grossen Einfluss hat.

Franziska Eder: Es geht um Empowerment, das schon im Elternhaus anfangen muss.

Donald Locher: Meiner Erfahrung nach – und ich konnte bei meiner letzten Stelle als Direktor einer Krankenkasse sechs sehbehinderte junge Menschen in der Ausbildung erleben – spielen Familie, Schule und Umfeld eine gleichermassen wichtige Rolle. Dort findet Ermutigung statt. Natürlich stehen auch die Arbeitgeber in der Pflicht: Sie müssen sich auf das Abenteuer einlassen und bei ihren Mitarbeitenden eventuell Vorbehalte und Ängste abbauen. Wir haben damals eine Blindenschule besucht, waren in der „Blindenkuh“ zum Essen und haben uns über Hilfsmittel informiert. Das hat viel zur Sensibilisierung beigetragen – und zuletzt gewann das ganze Team soziale Kompetenz. Für unseren Betrieb waren die sechs Auszubildenden ein grosser Gewinn, und ich freue mich sehr, dass sie alle heute im Ersten Arbeitsmarkt tätig sind.

Haben Sie einen guten Rat für sehbehinderte Jugendliche?

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Eine junge Frau vor einem Dokumentenordner: Die Jugendlichen selbst müssen bei ihrer Ausbildung die grösste Arbeit leisten.
Bild: simonthon, photocase.com

Franziska Eder: Für junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist es sehr hilfreich, wenn sie sich gut mit IT-Hilfsmitteln auskennen. Hier öffnet sich heute eine ganz neue Welt! Dank geeigneter Programme können Informationen umgewandelt und auf tablets übertragen oder umgewandelt werden. Wer dort versiert ist, hat es sicher leichter, schon bei den Bewerbungen!

Scheut die IV für die berufliche Eingliederung weder Kosten noch Mühen?

Franziska Eder: Die IV leistet sicher bei jungen Menschen eine intensive Unterstützung, denn sie haben tendenziell bessere Chancen, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Die Kosten sind mitunter sehr hoch, aber sie scheinen uns gut investiert. Aktuell betreuen wir einen blinden Studenten, der alle Lehrmittel an der Universität übersetzen lassen muss – da die dortigen Materialien nicht barrierefrei sind, kostet das die IV mehrere Zehntausend Franken. Aber unser Ziel ist eine möglichst gute Ausbildung!

Mit der UN-Behindertenrechtskonvention stehen die Zeichen auf Inklusion im gesamten gesellschaftlichen Leben. Dann stehen zahlreiche Organisationen und Institutionen, die Inhalte für die Öffentlichkeit anbieten, in der Verantwortung…

Donald Locher: Ich bin zuversichtlich, dass sich in den nächsten Jahren viel bewegen wird. Schon jetzt hat man erkannt, wie wichtig barrierefreie Websites sind – die IV Luzern ist auch gerade dabei, die eigene Homepage diesbezüglich zu optimieren. Die Universität Luzern hat bereits ein System der Tonverstärkung über Kopfhörer eingerichtet – nun müssen nur noch alle Dozierenden die dazugehörenden Mikrophone in die Hand nehmen.

Besten Dank für das Gespräch!

Donald Locher ist Direktor der IV Luzern. Franziska Eder leitet das Team „Berufsberatung Jugendliche“.