Delegiertenversammlung mit Podiumsgespräch zur beruflichen Integration

Soll die berufliche Integration sehbehinderter Menschen in Zukunft Erfolg haben, sind Innovation, Inklusion und Professionalisierung von den Sehbehindertenorganisationen gefordert, insbesondere von den Beratungsstellen. Ausserdem erhöhen sich die Chancen für sehbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt, wenn die Selbstkompetenz gefördert wird, wirkungsvolle Hilfsmittel zur Anwendung kommen und kompensatorische Arbeitstechniken gezielt erlernt werden.

Von Norbert Schmuck

Martin Kaiser, Leiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen beim Schweizerischen Arbeitgeberverband und Präsident des Vereins „Compasso"

Martin Kaiser, Leiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen beim Schweizerischen Arbeitgeberverband und Präsident des Vereins „Compasso“

Anlass des angeregten Podiumsgesprächs, das am Vormittag der diesjährigen Delegiertenversammlung des SZBLIND stattfand, war die Studie «Arbeitsleben von Menschen mit Sehbehinderung» (SAMS), die im Dezember 2015 vom SZBLIND publiziert wurde. Auf dem Podium, das vom SZBLIND-Forschungsbeauftragten Stefan Spring geleitet wurde, ging es vor allem um die Frage, wer welchen Beitrag dazu leisten kann, um eine Arbeitsstelle auch mit einer Sehbehinderung zu erhalten. Denise Gehrig, Leiterin Beratung beim Blindenbund, brachte es mit ihrem engagierten Statement auf den Punkt: Damit sehbehinderte Arbeitskräfte am Arbeitsplatz bestehen können, müssen deren Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit gezielt gefördert und trainiert werden. Gefordert seien insbesondere die Beratungsstellen. Sie täten zwar das Beste – aber die Frage müsse erlaubt sein: Ist es auch das Beste für potenzielle sehbehinderte Arbeitskräfte? Dringend nötig seien Innovation, Inklusion und Professionalität sowie Personal, das die Mechanismen der Berufswelt kennt und sehbehinderte Arbeitskräfte gezielt unterstützen und fördern könne. Die IV-Stellen benötigen fachspezifische Unterstützung, da sie viel zu wenig Erfahrung auf diesem Gebiet hätten. Sie erwähnte, dass der Blindenbund dieses Jahr für seine Beratungsstellen bereits eine neue Fachperson mit spezifischen Kompetenzen in Job-Coaching angestellt habe, die Empfehlung aus der SAMS-Studie also bereits aktiv umsetze.

Martin Kaiser, Leiter Sozialpolitik und Sozialversicherungen beim Schweizerischen Arbeitgeberverband und Präsident des Vereins „Compasso“, meinte, die meisten Arbeitgeber seien mit Behinderungen am Arbeitsplatz nach wie vor nicht vertraut. Besonders mittlere und kleinere Betriebe müssten auf die Möglichkeiten einer Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sensibilisiert werden, grosse Betriebe seien da weiter. Die Sehbehinderung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin würde zuerst einmal als „zusätzliches Problem“ wahrgenommen. Information und Sensibilisierung täten Not. Die Webseite www.compasso.ch sei von Seiten des Arbeitgeberverbands ein erster Schritt dazu. Aber auch die Sehbehindertenorganisationen und die Betroffenen selber seien gefordert. Er machte darauf aufmerksam, dass in den nächsten 30 Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung eine halbe Million Vollzeitstellen nicht durch nachkommende Jugendliche besetzt werden können. Diese Chance müsse für Menschen mit Behinderung ergriffen werden.

Diskussionsleiter Stefan Spring, SZB-Forschungsbeauftragter

Diskussionsleiter Stefan Spring, SZBLIND-Forschungsbeauftragter

Hier setzte auch Gregor Wadenpohl, Leiter SBH-professional in Basel, an: Wenn die vorgesehene Aufgabe zur Zufriedenheit erfüllt werde, stehe die Sehbehinderung nicht mehr im Vordergrund. Wichtig seien aber eine hohe Selbstkompetenz der Arbeitskraft, und dass sie über sinnvolle und gute Hilfsmittel sowie kompensatorische Arbeitstechniken verfüge. Würden Probleme auftauchen, gehe es darum, diese rasch zu erkennen, um zu verhindern, dass Schwierigkeiten nicht als fehlende fachliche Kompetenz interpretiert würden, sondern als Folge des schlechter werdenden Sehvermögens. In solchen Situationen sei es entscheidend, eine fundierte Abklärung vorzunehmen, einen Hilfsmitteleinsatz gut zu erlernen und genügend Unterstützung bei einer Rückkehr an den Arbeitsplatz zu gewährleisten. Er betonte, dass eine Leistungsabklärung für die IV erst nach der Befähigung, mit Hilfsmitteln zu arbeiten, vorgenommen werden sollte!

Die Diskussion zeigte auch, dass es sehr wichtig, aber oft schwierig ist, alle betroffenen Partner an einen Tisch zu bringen. Ismael Tahirou, im Vorstand des SBV zuständig für Interessenvertretung, machte darauf aufmerksam, dass der SBV ebenfalls den Grundsatzentscheid getroffen habe, zwei Job-Coachs anzustellen. Sie seien Ansprechperson für das gesamte Netzwerk, für Betroffene, Arbeitgeber, IV-Stellen, HR-Abteilungen etc. Er erinnerte daran, dass die nun von der Schweiz ratifizierte UNO-Behindertenrechtskonvention ein Recht auf Arbeit für alle fordere. Eine „inklusive Gesellschaft“ heisse auch Zugang zu Arbeit für Menschen mit Behinderung. Leider sei in der Schweiz seit der Ratifizierung nicht viel passiert.

Nationalrätin Marina Carobbio Guscetti

Nationalrätin Marina Carobbio Guscetti

Auf zwei Vorstösse im Parlament machte Nationalrätin Marina Carobbio Guscetti aufmerksam: Ein Vorstoss erfolgte von Ständerätin Pascale Bruderer und bezieht sich auf eine nationale Arbeitsmarktkonferenz mit Einschluss behinderter Menschen, der andere stammt von Nationalrat Christian Lohr und setzt sich für eine kohärente Behindertenpolitik. Auf Seiten der Politik passiert also einiges. Was die 7. IV-Revision betreffe, hoffe sie, dass sie nicht zu einer Sparrevision verkomme. Sie forderte die Organisationen dringend auf, sich aktiv einzubringen und Druck zu machen – nicht nur bei Gesetzesrevisionen oder die IV allgemein betreffend, sondern auch bei Themen, die auf den ersten Blick nicht direkt mit Behinderungen in Verbindung gebracht werden. Sie erwähnte die berufliche Weiterbildung, bei der die SAMS-Studie offensichtliche Zugangsprobleme offengelegt hat. Die Politik müsse unbedingt Inputs von den Verbänden bekommen.

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Neue Mitgliedorganisationen beim SZBLIND

An der Delegiertenversammlung vom 18. Juni 2016 stimmten die Delegierten für die Aufnahme von drei neuen Mitgliedorganisationen:

  • Stiftung Compaterra, Wabern/BE, als assoziiertes Mitglied (www.compaterra.ch)
  • Zentrum für körper- und sinnesbehinderte Kinder (ZKSK) Solothurn, als assoziiertes Mitglied (www.zksk-so.ch)
  • Verein Blind-Jogging, Basel als ordentliches Mitglied (www.blind-jogging.ch)

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Empfehlungen der SZBLIND-Kommission Berufseingliederung

Die SZBLIND-Kommission Berufseingliederung hat aufgrund der SMAS-Studie Empfehlungen an die Beratungsstellen im Sehbehindertenwesen, bzw. deren Trägerorganisationen sowie an den SZBLIND-Vorstand formuliert. Das Dokument mit dem vollen Wortlaut kann auf der Webseite www.szblind.ch/aktuell heruntergeladen werden.

Podiumsgespräch hören

Wollen Sie das Podiumsgespräch nachhören? Sie finden die Audiodatei mit dem gesamten Gespräch auf www.szblind.ch/aktuell