Wie technologische Hilfsmittel das Reisen erleichtern

Die Mobilität hat in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Trotz digitaler Vernetzung und wachsendem Online-Angebot gibt es nach wie vor gute Gründe, die eigenen vier Wände zu verlassen und eine Reise anzutreten. Und damit beginnen für uns blinde und sehbehinderte Personen die speziellen Herausforderungen.

Von Urs Kaiser*

Smartphones mit ihren zahlreichen Apps erleichtern die Orientierung sehr. Bild: shutterstock.com

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Nebst der Informationsaufnahme ist es vor allem die Orientierung und Mobilität, die durch eine Sehbehinderung beeinträchtigt und erschwert wird. Dass sich dennoch viele blinde und sehbehinderte Personen erstaunlich selbständig zurechtfinden können, ist das Resultat eines intensiven Trainings, der Aneignung erfolgreicher Strategien, einer barrierearmen und die Orientierung erleichternden Umweltgestaltung, der spontanen Hilfsbereitschaft aufmerksamer Mitmenschen und nicht zuletzt des Einsatzes von technischen Hilfsmitteln. Und um diese technischen Hilfsmittel soll es in diesem Beitrag gehen.

Informationszugang und Wahrnehmung der Umwelt

Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sind für blinde und sehbehinderte Menschen deshalb von so grosser Bedeutung, weil sie genau dort Unterstützung bieten, wo die Sehbehinderung ihre Grenzen setzt: bei der Informationsaufnahme und der Orientierung an unbekannten Orten. Mit der Digitalisierung von Informationen und deren Verfügbarmachung im Internet haben nun auch blinde und sehbehinderte Personen direkten und autonomen Zugang zu einer fast unbegrenzten Fülle von Informationen. Mit dem Aufkommen der Smartphones ist eine weitere Dimension hinzu gekommen: Diese handlichen kleinen Geräte gewähren nicht bloss den ortsunabhängigen Informationszugang, sie verfügen darüber hinaus über Kommunikationskanäle, Kameras, GPS, Kompass und weitere Funktionen, welche blinde und sehbehinderte Personen bei der Wahrnehmung der Umwelt und dem Erreichen eines Ziels ganz erheblich unterstützen. Dass damit nicht zuletzt auch das Reisen erleichtert wird, liegt auf der Hand.

Das Smartphone als Reiseassistent

Jede Reise beginnt mit der Reiseplanung. Den Fahrplan studieren und die Verbindung zu einem beliebigen Reiseziel heraus suchen, gehört heute für blinde und sehbehinderte Personen schon fast zu den alltäglichen Selbstverständlichkeiten. Von grosser Wichtigkeit ist dabei, dass im elektronischen Fahrplan auch die Ankunfts- und Abfahrtsgeleise angegeben werden. Dank den optisch-taktilen Leitlinien und den in Blindenschrift und Reliefschrift angebrachten Geleisenummern auf den Handläufen zu den Perron-Aufgängen ist ein selbstständiges Umsteigen ohne allzu grossen Stress möglich. Selbst die Fahrkarten können mit dem Smartphone gelöst werden und das mühsame Auffinden des Billett-Automaten entfällt. Der barrierefreie Billett-Automat ist somit stets und überall zur Hand.

Steht das Reiseziel einmal fest und die Fahrkarten sind gekauft, dann muss die passende Unterkunft gefunden werden. Auch diese Aufgabe kann heute von blinden Personen problemlos erledigt werden. Die meisten Reservationsplattformen und die Webseiten der Hotels sind mit den Screen Readern recht gut zugänglich. Und das Bezahlen mit der Kreditkarte geht online fast einfacher, als mit Bargeld. Wobei es natürlich auch für das Erkennen von fremdländischen Währungen eine entsprechende App gibt.

Und während des Aufenthalts findet man im Internet alles Wissenswerte über den betreffenden Ort: Sehenswürdigkeiten, kulturelle Angebote, kulinarische Spezialitäten usw. Selbst ein Reiseführer kann für zahlreiche Orte barrierefrei heruntergeladen werden. Und vor Ort führt einen das Navigationsgerät zuverlässig zum reservierten Hotel, zu einer Sehenswürdigkeit oder einem Geschäft.

Neue Perspektiven, neue Chancen

Kaum eine Technologie verzeichnet raschere Fortschritte als die Informations- und Kommunikationstechnologie. Und darin liegt für uns blinde und sehbehinderte Personen eine grosse Chance. Von den Entwicklungen, aus denen für uns ein spezieller Nutzen resultieren dürfte, seien hier als Beispiele die folgenden drei erwähnt:

a) Der 3D-Druck: Durch dieses Verfahren lassen sich taktile Pläne und Modelle einfacher herstellen. Für uns ermöglicht das die taktile Erfassung räumlicher Dimensionen, was die Orientierung und damit auch die Mobilität erheblich vereinfacht.

b) Die Bluetooth Low Energy Technologie (Beacons): Diese kleinen Sender, „Beacons“ (Leuchtfeuer) genannt, finden zunehmend Verbreitung für die KundInneninformation in Ladengeschäften, für den bargeldlosen Zahlungsverkehr und für die Indoornavigation (zum Beispiel in grossen Bahnhöfen oder Warenhäusern). Der Nutzen für uns besteht darin, dass wir die Meldungen, die von solchen Beacons in ihrer unmittelbaren Umgebung ausgelöst und auf den Smartphones der Passanten angezeigt werden, ebenfalls selbständig lesen bzw. hören können.

c) Die optische Navigation: Das GPS-Signal, welches für die Navigation heute in erster Linie verwendet wird, ist an Örtlichkeiten mit schlechtem Satellitenempfang für eine zuverlässige Ortung zu ungenau. Deshalb wird zunehmend auch die optische Navigation eingesetzt, bei der die Umgebung mittels Kamera erfasst und anhand einer „intelligenten“ Bilderkennungssoftware analysiert wird. Diese Technologie wird bei der Steuerung selbstfahrender Objekte wie Autos, Roboter oder Drohnen eingesetzt. Und der Nutzen für uns liegt auf der Hand! Stellen wir uns vor, wie angenehm es wäre, wenn wir von einem zuverlässigen System vor Gefahren gewarnt und sicher um Hindernisse herum geführt würden und dieses System auch Hauseingänge, Lifttüren oder Treppen erkennen könnte…

Mehr Autonomie, grösseres Selbstbewusstsein

In den neuen Technologien steckt für blinde und sehbehinderte Personen ein grosses Potential. Sie erhöhen nicht bloss die Autonomie und erweitern im wahrsten Sinne des Wortes den Horizont; sie führen auch zu einem neuen Selbstbewusstsein: „Yes, we can“ wird mehr und mehr zur grundlegenden Erfahrung. Wir tun deshalb gut daran, uns gegenüber den neuen Technologien nicht zu verschliessen, auch wenn ihre Nutzung mit einem zum Teil nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist und von uns ein ständiges Neulernen und Umlernen erfordert. Packen wir diese Chance! Wir werden es nicht bereuen.

*Urs Kaiser ist Gründer und Leiter der Apfelschule, einem Netzwerk von blinden und sehbehinderten Personen zur gemeinsamen Erschliessung und Nutzbarmachung der neuen mobilen Informations- und Kommunikationstechnologien. www.apfelschule.ch