Meine Augenprobleme haben schon bei der Geburt angefangen. Ich bin als Kind offenbar lange nicht gelaufen. Meine Tante, die neben den Gleisen wohnte, sagte immer: „Lueg, da kommt das Bähnli aus Pontresina!“ – und sie machte als erste meine Eltern darauf aufmerksam: „Das Kind sieht fast nichts!“ Ein Bruder von mir hatte auch eine Brille, und so ging es dann auch mir. Richtige Sehabklärungen gab es damals ja nicht, ich habe einfach jedes Jahr eine noch dickere Brille bekommen und habe gehofft, dass ich irgendwann mal klar sehen würde. Das ist ein Traum geblieben.

Mit 19 habe ich mir den Kopf angeschlagen, als ich in einen Jeep eingestiegen bin. Das führte zu einer Netzhautablösung. Auch die wurde nicht richtig erkannt und behandelt. Erst später kam ich nach Winterthur zu Prof. Landolt. Er hat mich operiert, aber mir nur geringe Chancen eingeräumt, besser zu sehen.

Es folgten Jahre mit Verletzungen und Entzündungen der Iris. Eine Star-Operation, aber ohne Linse, da ich viel zu kurzsichtig war, als dass eine Linse viel bewirkt hätte. Einen Nachstar, der gelasert wurde. Dann gab es eine Blutung im linken Auge, da habe ich jetzt in der Mitte Gesichtsfeldausfall und kann hier gar nichts lesen. Und dann plötzlich stieg der Augendruck. Ich hatte ein Glaukom. Beide Augen wurden operiert. Meine Augen sind wirklich eine Herausforderung für die Ärzte, weil der Augapfel sehr lang ist, die Netzhaut vernarbt und gerissen ist aufgrund des Augendrucks und ich zusätzlich noch Hornhautverkrümmung habe.

Auf dem linken Auge sehe ich in der Mitte nur grau. Dafür ist der Augendruck in Ordnung und liegt immer zwischen 10 und 15 Torr (mmHg). Auf dem rechten Auge, das mit der verletzten Netzhaut, ist der Druck so hoch, dass ich morgens und abends Tropfen nehmen muss.

Ich habe lange als Kindergärtnerin und dann als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache für ausländische Kinder in Schulen gearbeitet. Damit musste ich zu Beginn dieses Jahres aufhören. Seit Februar bin ich pensioniert. Manchmal macht es mich etwas traurig, dass ich viele Menschen erst spät oder schwer erkenne. Wenn meine Enkelkinder auf der anderen Strassenseite stehen und „Noni!“ schreien, merke ich erst, dass es ja MEINE Enkelkinder sind. Auf der anderen Seite kennen sie mich ja, und das ist wunderbar. Meine Enkel sind superherzig, sie nehmen mich an die Hand und helfen mir auch bei Sachen, die ich noch sehe – aber das lasse ich zu. Wenn man sein Leben lang so gesehen hat wie ich, ist die Seheinschränkung nicht so schlimm. Meinen Haushalt und meine Küche kann ich gut führen und meine Familie ist wunderbar. Mein Mann zum Beispiel unterstützt mich beim Chorsingen: Er schneidet für mich die Sopranstimme aus den Noten aus und vergrössert sie mit Hilfe von Kopien, dass ich die Noten „quer“ mit dem rechten Auge lesen kann.

Giovanna Reubi

Aufzeichnung: Ann-Katrin Gässlein