Eine Studie fragt nach aktueller Situation und künftigem Bedarf

von Ann-Katrin Gässlein

Wie sieht die Situation in der Schweiz bei den sehpädagogischen Institutionen aus? Und wie wird sich die Zahl ihrer Schüler entwickeln? Erstmals hat die Blindenschule Zollikofen eine Studie beim Forschungsunternehmen Ecoplan in Auftrag gegeben und eine Situations- und Bedarfsanalyse für die Deutschschweiz erhalten.

Reine Fakten vorweg: Im Schuljahr 2010 / 2011 wurden in der Deutschschweiz total 1’120 Kinder ambulant betreut. 392 nahmen an den Programmen der Früherziehung teil, und 263 Kinder besuchten eine Sonderschule. Insgesamt stieg der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die ein sonderpädagogisches Angebot in Anspruch nahmen, seit dem Schuljahr 2007 / 2008 um 12 Prozent – dabei nahmen vor allem die ambulanten Angebote zu, während die Kinderzahlen der Sonderschulen vergleichsweise konstant blieben.
Früherziehung ist in fast allen Institutionen mit sehpädagogischen Angeboten verankert. Im Anschluss an die Früherziehung entscheidet sich, welchen Bildungsweg ein seh- oder mehrfachbehindertes Kind einschlagen wird: Drei Viertel der Kinder und Jugendlichen (728) besuchen die Volksschule und nutzen ambulante Angebote der sehpädagogischen Einrichtungen. In der deutschsprachigen Schweiz führen die Blindenschule Zollikofen, der Sonnenberg Baar und die Stiftung für Taubblinde Tanne in Langnau a.A. ein Internat – in Lausanne auch das CPHW, das in der Ecoplanstudie aber nicht erfasst wurde. Sonderschulangebote für sehbehindert-mehrfachbehinderte Kinder bieten in der Deutschschweiz Zollikofen und Sonnenberg, TSM Münchenstein, visoparents Schweiz, die Schule für Sehbehinderte Zürich und die Stiftung für Taubblinde Tanne.

Mit Frühgeburten steigen Sehschädigungen
Um den Bedarf an sonderpädagogischen Angeboten abzuschätzen, muss man auch eine Prognose zu den Zahlen seh- und mehfachbehinderter Kinder wagen. Aus medizinischer
Sicht ist der Trend feststellbar, dass mehr Frühgeborene überleben – ein Teil davon jedoch mit Behinderungen. Mit zunehmendem Alter der Mütter bei der Geburt und
der Zunahme der assistierten Reproduktion steigt das Risiko für Frühgeburten, vor allem bei Mehrlingsschwangerschaften. Hingegen bleibt die Zahl der erblichen Krankheiten
ohne Behandlungsmöglichkeiten stabil, und die Behandlungsmöglichkeiten von grauem oder grünem Star verbessern sich laufend. Soziale Gründe geben Anlass zur Annahme, dass die Zahl der Internatsaufenthalte zunehmen wird: Dies weil es zunehmend mehr Alleinerziehende – Einelternfamilien – gibt, welche die zusätzliche Betreuung, die ein sehbehindertes Kind erfordert, nicht wahrnehmen können. Aus Sicht der Sehbehindertenpädagogik wird sich die Alterszusammensetzung der Schüler in Sonderschulen ändern. Während vermehrt Kinder in der Primarstufe in die Volksschule integriert werden, besteht bei zunehmendem Alter die Gefahr, dass behinderte  Jugendliche den Anschluss verlieren. Vor allem zeigt sich, dass bei den Berufswahlklassen die Bedürfnisse seh- und mehrfachbehinderter Jugendlicher in der Volksschule nicht erfüllt werden können. Zuletzt kann auch das Angebot einer Sonderschule die Nachfrage beeinflussen: Eine Volksschule ist eher bereit, ein Kind zu integrieren, wenn es schwieriger ist, das Kind in einer separativen Einrichtung unterzubringen.