Makula- und Foveahypoplasie als Hauptursache für verminderte Sehschärfe

Albinismus (aus dem Lateinischen «alba»: weiss) bezeichnet eine angeborene Störung der Pigmentierung von Augen, Haut und Haar. Diese Störung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Der Albinismus ist eine genetisch ­bedingte Erkrankung, die meist autosomal-rezessiv, selten – im Falle des nur die Augen betreffenden Albinismus (okulärer Albinismus) – auch X-chromosomal vererbt werden kann.

Wie sind Augen betroffen?

Die Augen enthalten Pigment, welches vor allem in der Iris (Regenbogenhaut) und dem retinalen Pigmentepithel (eine Schicht der Netzhaut) vorliegt. Beim Albinismus ist dieser Pigmentgehalt reduziert, so dass die Augenfarbe meist durchscheinend erscheint, blau oder auch hellbraun ist je nach genetischem Defekt und ethnischer Herkunft. Betrachtet man die Iris bei indirekter Beleuchtung, so sieht man ein Durchscheinen des roten Netzhautreflexes und sogar den Linsenrand, der sonst durch die Irispigmentierung verdeckt ist (Abbildung 1). Die Netzhaut erscheint sehr hell mit durchscheinenden Gefässen der Aderhaut. Typisch für den Albinismus ist der fehlende Reflex der Makula und deren zentralem Bereich, der Fovea (Punkt des schärfsten Sehens). In der Schichtaufnahme mittels optischer Kohärenztomographie (genannt OCT) sieht man bei gesunden Menschen eine Einsenkung der Netzhaut im Bereich der Makula. Dies ist jedoch bei Menschen mit Albinismus nicht der Fall, wie  Abbildung 2 darstellt. Die Aufnahme mittels OCT ist somit sehr hilfreich bei nicht eindeutiger Diagnosestellung. Die Gefässe der Netzhaut ziehen beim Albinismus durch den Bereich der Makula. All diese Zeichen sind typisch für die fehlende Entwicklung der Makula und Fovea, genannt Makula- und Foveahypoplasie. Durch das fehlende oder reduzierte Pigment liegt zudem eine erhöhte Blendempfindlichkeit vor.

Die Sehschärfe ist vermindert und variiert von deutlich reduziert (Visus von 0.1) bis minimal beeinträchtigt (0.7). Bei Neugeborenen ist man anfangs nicht sicher ob sie Dinge anschauen und sehen können. Es liegt nicht selten eine sogenannte verzögerte visuelle Reifung vor. Das heisst, innerhalb des ersten Lebensjahres bessert sich das Sehverhalten durch Reifungsprozesse im Hirn zusätzlich zu den normalen Reifungsprozessen. Das Farbensehen wird als nicht verändert beschrieben. Häufig liegt eine Notwendigkeit einer Brillenkorrektur, insbesondere des Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) vor. Zusätzlich besteht nicht selten ein Strabismus (Schielstellung). Patienten mit Albinismus haben einen kongenitalen (Beginn innerhalb der ersten 3 Lebensmonate) Nystagmus (Augenzittern). Die Augen bewegen sich dabei pendelnd oder ruckartig. Einige der Patienten mit Albinismus nehmen deshalb eine bestimmte Kopfhaltung ein, in der der Nystagmus weniger ausgeprägt ist.

Untersucht man die Sehbahn (die Nervenleitung die in das Sehzentrum im Hirn führt), so findet man typische Veränderungen: bei gesunden Menschen kreuzen Fasern des Sehnervs vom rechten und linken Auge zu 55%. Beim Albinismus liegt der Anteil der sich kreuzenden Fasern bei 80% bis 90%. Die Folge ist eine veränderte Verarbeitung des Seheindruckes und eine verminderte Fähigkeit des Stereosehens.

Warum ist nun die Sehfähigkeit eingeschränkt? Man nimmt an, dass die Makula- und Foveahypoplasie die Hauptursache ist. Die fehlende Entwicklung dieser Netzhautregion führt dazu, dass hochdifferenzierte Sehzellen (Zapfen) nicht in der Fovea vorliegen und deshalb das Sehen beeinträchtigt ist.

Unterscheidung des okulären vom okulo-kutanen Albinismus

Es werden zwei Formen von Albinismus unterschieden: jener, der nur das Auge betrifft (okuläre Form) und jener , der Haut, Haare und Auge  umfasst (okulo-kutane Form). Der okuläre Albinismus wird über das X-Chromosom vererbt. Da Jungen/ Männer nur ein X-Chromosom tragen, sind sie bei einem entsprechenden Gendefekt betroffen; dies gegenüber Mädchen/ Frauen mit zwei X-Chromosomen. Einen Hinweis für das Vorliegen eines X-chromosomalen Albinismus geben uns Familien mit betroffenen männlichen Familienmitgliedern in jeder zweiten Generation (Bsp: betroffener männlicher Enkel, Mutter nicht betroffen, Vater der Mutter betroffen). Wie schwer die Menschen mit dieser Albinismusform beeinträchtigt sind, kann innerhalb der Familie unterschiedlich sein. Die Pigmentierung der Iris kann vorhanden sein, so dass eine braune Augenfarbe vorliegt. In den meisten Fällen ist aber die Iris durchleuchtbar, so dass man dies in der klinischen Untersuchung nachweisen und die Diagnose stellen kann. Das Vorliegen einer Foveahypoplasie weist dann auf das Vorliegen eines X-chromosomalen Albinismus hin.

Die Sehschärfe kann in dieser Albinismusform durchaus so gut sein, dass die Erlangung des PKW-Führerscheins möglich ist. Die Untersuchung der weiblichen Träger des Gendefekts, meistens der Mütter von Kindern mit einem Verdacht eines X-chromosomalen Albinismus kann wegweisend in der Diagnoseführung sein. Die Trägerinnen weisen eine veränderte Pigmentierung der Iris (Ausnahme dunkle Ethnien) und der Netzhaut (Aussehen wie ‘Schlammspritzer’, siehe Abbildung 3) auf, ohne Sehbeeinträchtigung.

Beim okulo-kutanen Albinismus (OCA) ist die Pigmentierung in Haut, Haar und Auge betroffen. Bei dem Typ 1A des OCA besteht kein Pigment, demgegenüber ist bei anderen Formen (OCA Typ 2 bis 4) etwas Pigment vorhanden, welches auch mit dem Alter etwas zunimmt. Beim Typ 1A ist die Sehschärfe deutlich beeinträchtigt (meist reduziert auf 0.1), bei anderen Formen kann sie etwas besser sein.

Selten ist der okulo-kutane Albinismus verbunden mit anderen Störungen, zum Beispiel mit Blutgerinnungsstörungen (Hermansky Pudlak Syndrom) oder Störungen des Immunsystems (Chediak Higashi Syndrom). 

Welche Untersuchungen werden zu welchem Zeitpunkt empfohlen

Die Diagnose kann je nach Albinismustyp sehr frühzeitig gestellt werden als sogenannte ‘Blickdiagnose’ bei Babys mit heller Haut und Haar, Augenzittern, durchscheinender Augenfarbe und verminderter visueller Aufmerksamkeit. Liegt eine verminderte Pigmentierung vor, so ist bei Bestehen eines Nystagmus und verändertem Netzhautreflex häufig der Albinismus eine Verdachtsdiagnose, kann jedoch erst im Verlauf oder durch genetische Abklärungen bestätigt oder ausgeschlossen werden. Beim okulären Albinismus hilft uns die Untersuchung der Mutter und ggf. weiterer Generationen, wie oben erläutert. In allen Fällen sollte eine augenärztliche Untersuchung frühestmöglich erfolgen, um bei einer Sehminderung entsprechende Low Vision Frühförderung einzuleiten, Hilfsmittel zu vermitteln und weitere Abklärungen zu veranlassen (Vorstellung beim Dermatologen). Eine genetische Abklärung und Beratung ist auf Wunsch der Eltern oder der Patienten selbst zu empfehlen. Bei Kindern entspricht der Albinismus einem Geburtsgebrechen, so dass eine Anmeldung bei der IV zu empfehlen ist.

Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen

Leider bestehen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Therapiemöglichkeiten, den Albinismus schon bei der Entwicklung des Auges zu beeinflussen. Die Korrektur der Weit- oder Kurzsichtigkeit und des Astigmatismus ist durch eine Brille oder Kontaktlinsen möglich. Als Hilfsmittel sind Lichtschutz- und Kantenfiltergläser zu empfehlen. Auch stehen getönte Kontaktlinsen zur Verfügung. Eine Low Vision Unterstützung mittels optischer Hilfsmittel sollte bereits frühzeitig begonnen werden. Sehr selten liegt eine störende Kopffehlhaltung vor, die durch eine Augenmuskeloperation beeinflusst werden kann.

Fälle von schwerer Diskriminierung und Gewaltverbrechen gegen Menschen mit Albinimsus, wie sie in Afrika vorkommen, gibt es zum Glück in Europa nicht. Einer psychologischen Unter­stützung bedarf es sicher trotzdem, da ein «anderes Aussehen» auch bei uns nicht immer akzeptiert wird.

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Beispiel eines Patienten mit okulo-kutanen Albinismus: 

Es ist eine durchscheinende Iris sichtbar (Bild links). Bei indirekter Beleuchtung stellt es sich heraus, dass die Iris aufgrund des fehlenden Pigmentes ‘durchleuchtbar’ ist und die Linse mit dem Linsenrand sichtbar ist. Der Linsenrand ist bei Vorliegen einer Irispigmentation sonst nicht sichtbar. (Bild Mitte) Der Augenhintergrund erscheint eher hell gelb bis rosa mit fehlendem Pigment. Der sichtbare schwarze Stab dient uns zur Darstellung wo der Patient hinschaut und fixiert. (Bild rechts) Der Patient hat beidseits eine Sehschärfe von 0.2.

Abbildung 2: Beispiel eines okulären Albinismus:

Der Augenhintergrund ist ebenso wenig jedoch mehr als im Beispiel 1 gefärbt und es scheinen nicht die tiefer liegenden Aderhautgefässe hindurch. Es ist ein angedeuteter Makulawallreflex sichtbar. (Bild links). Rechts sind Schichtaufnahmen (OCT) der zentralen Netzhaut abgebildet vom Patienten (oberer scan) und von mir (unterer scan). Beim Albinismus ist die Eindellung in der Mitte der Makula nicht oder nur wenig vorhanden. Der Patient hat eine Sehschärfe von beidseits 0.8.

Abbildung 3: Beispiel einer Trägerin eines okulären Albinismus:

Die Netzhaut ist dunkler pigmentiert und man sieht im rechten Bild wie dunkle Flecken (wie ‘Schmutzspritzer’). Dies kommt daher zustande, da die Trägerinnen zwei X- Chromosomen haben, wobei nur ein X-Chromosom die Genmutation trägt. Somit tragen nicht alle Zellen in der Netzhaut einen veränderten Pigmentgehalt und es entsteht ein gesprenkeltes Aussehen. Das Sehen ist nicht beeinträchtigt.