Dank der Technologie eines Smartphones eröffnen sich für blinde und sehbehinderte Menschen ganz neue Möglichkeiten der Navigation. Die Apfelschule trainiert blinde und sehbehinderte Menschen im erfolgreichen Einsatz von Smartphones und Tablets.

von Sandro Lüthi*, Apfelschule

Ein Mann sitzt an einem Tisch und hält ein Smartphone in der Hand. Auf dem Bildschirm ist die Karte einer Navigations-App zu sehen.
Bild: Mischa Christen

«Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen.» Das war schon immer so und ist es auch heute noch. Dies gilt für Leute, die gut sehen und erst recht für blinde und sehbehinderte Menschen. Für sie kann selbst ein kurzer Trip an Orte, die ihnen nicht vertraut sind, zu einem aufwändigen Unterfangen werden. Der Erlebnisbericht des 47-jährigen Martin (Namen von der Redaktion geändert) zeigt jedoch auf, was heute selbst für hochgradig sehbehinderte Personen dank der optimalen Nutzung eines Smartphones möglich ist.

Phase 1: Vorbereitung

Das in Zürich am 10. Februar um 14.30 Uhr angesagte Meeting findet im Haus 36 an der Martin unbekannten Klosbachstrasse statt. Als Erstes speichert er Termin und Adresse in die Kalender-App. Dann informiert er sich in der App SBB-Mobile über die Fahrplan- und Transportvarianten (Zug/Bus/Tram) am gewünschten Datum. Da er im luzernischen Dagmarsellen wohnt, werden ihm verschiedene Varianten vorgeschlagen. Die bevorzugte Route speichert Martin in der SBB-App; sie bleibt so für den Reisetag abrufbereit. In Zürich muss er, wie die App zeigt, von der letzten Haltestelle bis zum Sitzungsort 400 Meter zu Fuss gehen. Daher vergewissert sich Martin in der Karten-App gleich noch über das Strassennetz bei der letzten Haltestelle in Zürich-Hottingen. Er möchte ganz sicher sein, dass er weiss, in welche Richtung er gehen muss.

Phase 2: Transfer

Martin macht sich auf den Weg: «Zu Hause kenne ich die Umgebung und die Verbindungen. Trotzdem kontrolliere ich kurz vor dem Start, ob der Bus pünktlich fährt. Das erfahre ich dank der am Vortag in der SBB Mobile-App gespeicherten Reise auf Knopfdruck. Um auf dem Perron am richtigen Ort zu warten, schaue ich mir gleich noch die Wagenfolge des Zuges an und aktiviere das Easy-Ride-Abo. Schwarzfahren wäre nicht mein Ding! Auf der Fahrt nach Zürich verifiziere ich erneut, mit welchem Tram ich vom Stadelhofen bis Kreuzplatz fahren muss. Am Bahnhof Stadelhofen angekommen, mache ich mich gleich auf den Weg zur Haltestelle der Tramlinie 8. Zum Glück weiss ich bereits, wo sie ist. Gute Ortskenntnisse machen alles einfacher. Die kurze Fahrt mit dem Tram nutze ich, um den schon am Vortag auf der Karte verifizierten Fussweg zu memorisieren. Vor allem wegen der Richtung, in die ich nach der ersten Kreuzung laufen muss. Am Zielort angekommen, kontrolliere ich mit ‹Hey Siri, wo bin ich?›, ob ich tatsächlich am richtigen Ort bin. Siri bestätigt mir, dass ich mich an der gewünschten Adresse befinde. Nur: Wo ist der Eingang? Ich öffne eine weitere App, die sich in solchen Situationen schon oft als hilfreich erwiesen hat: Be My Eyes. Über den Anrufen-Knopf werde ich mit einer freiwilligen Helferin verbunden. Meine Kontaktperson kann über die Kamera meines iPhone sehen, wo ich bin. Ich brauche dazu bloss mein Handy hin- und herzuschwenken und erhalte von ihr prompt Bescheid, dass sich der Eingang vier bis fünf Meter links von mir befindet. Hier ist sie dann auch, diese verflixte Türe, an der ich zum Schluss fast gescheitert wäre».

Phase 3: Am Ziel – fast wie Aladins Wunderlampe

Martin ist dank der verschiedenen Apps sicher und pünktlich am Ziel angekommen. Insgesamt hat er dafür fünf Apps angewendet. Was sie leisten, ist eindrücklich! Sie sind für ihn wie die Wunderlampe von Aladin im Märchen von Tausendundeiner Nacht – fantastische Errungenschaften des 21. Jahrhunderts und erst noch real. Wie die Geschichte von Martin zeigt, ist das Finden einer Adresse für blinde und sehbehinderte Personen nicht so einfach, speziell in einer Region, in der man sich nicht so gut auskennt. Die Kombination von verschiedenen Apps ist sicherlich hilfreich. Doch, welche App wende ich wann an und wie funktionieren die Apps überhaupt? Hierzu hat die Apfelschule verschiedene Kursangebote, um die Anwendung der verschiedenen Navigations-Apps

zu lernen und auch gleich auszuprobieren. Das immer aktuelle Kursangebot findet man auf der Webseite www.apfelschule.ch/kursangebot.

* Weitere Autoren: Bettina Jäger, Christian Huber, Jean-Marc Meyrat, Ernst Horat

Info-Kasten: Navigations-Apps

Die App Stores sind voll mit Navigationsanwendungen. Allerdings sind nicht alle von ihnen mit einer Sprachausgabe zugänglich. Hier eine Auswahl von Apps, welche mit VoiceOver, der Sprachausgabe von Apple, getestet wurden.

Karten von Apple – Gratis

Diese App ist auf allen iPhones vorinstalliert und zeigt den Weg zu Fuss, mit dem Auto oder mit dem öffentlichen Verkehrsmittel. Mit Siri kann man sich auch an eine Adresse navigieren lassen.

Google Maps – Gratis

Google Maps zeigt zusätzlich zu den Möglichkeiten, welche die Karten-App von Apple bietet, auch den Weg mit dem Fahrrad. Weiter hat Google Maps viele nützliche Informationen zu Sehenswürdigkeiten oder Restaurants.

Komoot

Eine sehr nützliche App, wenn man gerne wandern geht. Komoot kennt auch kleine Trampelpfade. Zudem schlägt Komoot Wanderungen in einer gewünschten Region vor.

MyWay Classic

Das Navigations-App vom Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband zeigt mittels Vibration den Weg beim Start und bei jeder Abzweigung genau an. Zudem kann man mit MyWay Classic eigene Routen erstellen, um diese dann später wieder ablaufen zu können. Weiter lassen sich wichtige Punkte wie zum Beispiel eine Sitzbank markieren.

ViaOpta Nav – Gratis

Die Navigations-App von Novartis zeigt den Weg zu Fuss oder mit dem Auto. ViaOpta Nav zeigt beim Start und bei den Abzweigungen mittels Vibration, in welche Richtung man gehen muss. Am Ziel angekommen, lässt sich mit einem Knopfdruck die App Be My Eyes öffnen, um sehende Hilfe zu bekommen.

BlindSquare

Mit BlindSquare kann man sich an einem Ort umschauen, an dem man gerade ist, oder an einem Ort, zu welchem man hingehen möchte. So erfährt man, was es dort zu entdecken gibt.

Das Mysterium GPS

Derzeit basieren die meisten Navigationsanwendungen auf dem GPS-System, dem globalen Positionierungssystem des US-Militärs. Das bedeutet, dass die Genauigkeit der Geolokalisierung vom Goodwill des Pentagon und dem Standort des Nutzers abhängen. Die Genauigkeit wird auf dem Bundesplatz in Bern nicht die gleiche sein wie in einer Gasse im Niederdorf in Zürich. Trotz der ausserordentlichen Fortschritte bei den Navigationshilfen und Kartensystemen ist Vorsicht geboten. Die Aufmerksamkeit, die zur Nutzung dieser Dienste erforderlich ist, kann die Informationen aus der Umgebung überblenden.

Um diese Werkzeuge optimal nutzen zu können, sind eine gute Ausbildung in der Orientierung und Mobilität sowie persönliche Strategien unerlässlich.