Angehörige machen Informationen zugänglich: die Ehefrau liest aus der Zeitung vor. Auch diejenigen, die unterstützen brauchen Hilfe um sich nicht zu überlasten.

In der Schweiz wird jede dritte Person über 85 von einem ihr nahestehenden Menschen betreut. Dies kann ein Angehöriger, ein Freund oder ein Nachbar sein. Wenn eine Person plötzlich sehbehindert oder blind wird, muss sich das soziale Umfeld anpassen und die physische Umwelt angepasst werden, damit die betroffene Person den Alltag meistern und möglichst selbständig bleiben kann. Dabei sind Angehörige eine grosse Stütze. Wir haben Philippe Roten, Sozialarbeiter bei der Fondation Asile des aveugles, getroffen. Er unterstützt Menschen mit einer Sehbehinderung und deren Angehörige.

Von Alyssia Lohner, Kommunkationsassistentin Fondation Asile des aveugles

Was ist Ihre Rolle als Sozialarbeiter im Kontakt mit den Angehörigen?

Meine Aufgabe ist es, ihre Fragen zu beantworten und sie dafür zu sensibilisieren, dass ihr Partner, Freund oder ein Elternteil bei gewissen Aufgaben im Alltag Schwierigkeiten bekunden wird. Beim ersten Treffen sind die Angehörigen oft dabei, weil sie besorgt sind und viele Fragen haben. Ich zeige ihnen auf, welche Anpassungen zum Beispiel an der Wohnung vorgenommen werden müssen, damit sich das Leben wieder einspielt und trotz der Behinderung weitergehen kann. In einer zweiten Phase leite ich die Angehörigen und die Person mit der Sehbehinderung an einen Ergotherapeuten und einen Mobilitätstrainer weiter. Während in der Ergotherapie Fertigkeiten für den Alltag trainiert werden, geht es beim Mobilitätstraining darum, dass sich die Person auch mit der Sehbehinderung selbständig bewegen kann. Schliesslich beurteile ich, welche Aktivitäten mit der Sehbeeinträchtigung weiterhin möglich sind und welche nicht, und zeige mögliche Lösungswege auf.

Wie binden Sie die Angehörigen in diesen Prozess ein?

Zuallererst muss ich verstehen, welche Art von Beziehung die Person mit der Sehbehinderung und der Angehörige pflegen. Dies ist besonders wichtig, damit wir gemeinsam die Grenzen für beide Seiten festlegen können. Wenn sich zum Beispiel eine nahestehende Person bereit erklärt, das Einkaufen zu übernehmen, muss ich abklären, ob dies keine übermässige Belastung darstellt. Meine Hauptaufgabe besteht jedoch darin, die Betroffenen zu informieren, damit sie wissen, welche Möglichkeiten ihnen offenstehen. Dazu gehört zum Beispiel die Unterstützung durch Freiwillige, die für andere Institutionen tätig sind, oder technische Hilfsmittel zur Vereinfachung des Alltags. Natürlich braucht eine Person, die ganz alleine dasteht und nicht von nahestehenden Personen unterstützt wird, eine engmaschigere und weiterführendere Betreuung, damit sie nicht isoliert ist. Sobald jedoch nahestehende Personen in den Prozess einbezogen werden können, arbeiten wir mit ihnen zusammen. Denn mit ihrer Hilfe gelingt es am besten, das fragile Gleichgewicht zwischen Abhängigkeit und Autonomie in der Balance zu halten. Wenn sich zum Beispiel der Ehepartner um die administrativen Angelegenheiten kümmern kann, braucht es weniger Unterstützung durch den Sozialarbeiter, was jedoch nicht heisst, dass wir dann nichts mehr zu tun haben. Unser Ziel ist es, in gegenseitigem Vertrauen das Gleichgewicht zwischen Fähigkeiten und Grenzen der Beteiligten zu finden.

Wie beugen Sie einer Überbelastung der nahestehenden Betreuungspersonen vor?

Es ist eine Tatsache, dass nahestehende Betreuungspersonen sehr viel auf sich nehmen. Niedergeschlagenheit und starke Erschöpfung können die Folge sein. Oft können diese Personen nicht loslassen. Schuldgefühle gepaart mit Erschöpfung können insbesondere bei betagten Betreuungspersonen dazu führen, dass sie sich einsam fühlen. Obwohl sie am Ende ihrer Kräfte sind, schaffen sie es nicht, die Arbeit jemand anderem zu überlassen. Wenn sie erschöpft sind, wird nach Ersatzlösungen gesucht. Meiner Meinung nach ist es enorm wichtig, in einer solchen Situation schnell zu reagieren, denn der Sozialarbeiter ist für beide Seiten da. Manchmal muss ich den nahestehenden Betreuungspersonen klarmachen, dass die Person trotz der Sehbehinderung gewisse Arbeiten vielleicht selber übernehmen kann und dass es wichtig ist, dass sie ihr Potenzial ausschöpft. Kurz und gut: Auch die Betreuungsperson muss das Vertrauen in die Fähigkeiten des ihr nahestehenden Menschen mit einer Sehbehinderung zurückgewinnen. Oft gibt es nicht nur eine Lösung, manchmal sind mehrere Versuche und Anpassungen nötig, um ein Gleichgewicht zu finden.

Richten Sie Ihre Tätigkeit als Sozialarbeiter auf das Spezifische der Sehbehinderung aus?

Ja, natürlich. Beim ersten Treffen mit der betroffenen Person und mit deren Familie fülle ich eine Art Checkliste aus. Sehr oft geht es darum, Lösungen für die administrativen Aufgaben und für die Mobilität zu finden. Stellen sie sich ein betagtes Paar vor und der Ehemann leidet an einer Sehbehinderung. Das Paar wohnt in einem kleinen Dorf und die Ehefrau, die keinen Führerschein besitzt, kann nicht einkaufen gehen. Da ist es an uns, eine Lösung zu finden. Die Mobilitätstrainerin könnte zum Beispiel mit dem Ehemann den Weg zum Dorfladen üben, oder aber er könnte in der Ergotherapie Kochtipps und -tricks lernen, währenddem seine Gattin die Einkäufe erledigt. Wie sie sehen, ist jede Situation anders, aber das gemeinsame Suchen nach Lösungen verbreitert die Palette der Optionen.