Das Bild zeigt zwei sehbeeinträchtigte Jugendliche, die im Leichtathletikstadion laufen.
Bei den Camp Abilities stehen die Fähigkeiten der Jugendlichen im Vordergrund. / Bild: Camp Abilities

Die Idee stammt aus den USA und hat auch in der Schweiz Fuss gefasst: Während einer Woche konnten sehbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche aus der Romandie im Juli unter kundiger Anleitung im Vallée de Joux verschiedene Sportarten ausprobieren. Organisiert wurde das «Camp Abilities » von Valérie Caron.

Von Michel Bossart

Für die meisten Kinder ist herumrennen, springen und das Spielen mit ihresgleichen eine Selbstverständlichkeit. Für Kinder mit einer Sehbeeinträchtigung hingegen bilden diese Alltäglichkeiten eine Herausforderung. 1996 organisierte die USAmerikanerin Lauren Lieberman das erste «Camp Abilities» (übersetzt: Camp der Fähigkeiten) für sehbeeinträchtigte Schülerinnen und Schüler. In dem pädagogischen Sportcamp hatten diese während einer Woche die Möglichkeit, verschiedene Sportarten auszuprobieren.
Zum dritten Mal hatten Kinder und Jugendliche auch aus der Romandie dieses Jahr die Gelegenheit, ein solches Camp zu besuchen. Es fand im Centre Sportif de la Vallée de Joux statt und wurde von Valérie Caron vom Departement für Sonderpädagogik der Universität Freiburg in Zusammenarbeit mit dem «Centre pédagogique pour élèves handicapés de la vue» (CPHV) in Lausanne organisiert.

Sie kennen Lauren Lieberman persönlich. Wie lange dauerte es von der Idee, so ein Camp auch hierzulande durchzuführen, bis zum ersten Schweizer «Camp Abilities»?
2021 kontaktierte ich Dr. Lieberman über ResearchGate wegen eines von ihr verfassten Artikels, auf den ich über die Datenbanken der Universität keinen Zugriff hatte. Sie stellte mir dann das Netzwerk der Leiterinnen und Leiter von Camp Abilities World vor, und ich war sofort total begeistert vom Konzept. Wir pflegten einen regen Austausch und rund acht Monate später wurde testweise das erste zweitägige «Camp Abilities Suisse» durchgeführt. Wir wollten herausfinden, ob unter den Jugendlichen überhaupt ein Bedürfnis dafür vorhanden war. Dies war der Fall. Daraufhin habe ich eine Partnerschaft mit dem CPHV in Lausanne und der Fondation Asile des aveugles aufgebaut sowie neue Praktikumsmöglichkeiten für Studierende des Bachelorstudiengangs in Sonderpädagogik organisiert, so dass diese ihr Praktikum im Rahmen dieses Projekts absolvieren konnten. 2022 wurde das Camp dann auf fünf Tage erweitert und 2023 wurde es ebenfalls in diesem Format angeboten.

Was waren die grössten Herausforderungen, die es zu meistern galt?
Die grösste Herausforderung, die uns nach wie vor beschäftigt, bestand darin, sich einen Namen zu machen und die betroffenen Jugendlichen mit unserem Projekt zu erreichen. Wir haben über verschiedene Medienkanäle kommuniziert, doch ich habe den Eindruck, dass einige Jugendliche unser Angebot immer noch nicht kennen und wir bei Weitem nicht alle erreichen. Natürlich stellen uns auch die Organisation des Camps und die Rekrutierung von Personal vor grosse Herausforderungen. Mehrere Mitarbeitende sind Studierende an der Hochschule und nur wenige von ihnen haben oder hatten bereits Erfahrung im Umgang mit sehbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen.

Auf dem diesjährigen Programm im Vallée de Joux standen Schwimmen, Multi-Sport-Parcours, Klettern, Leichtathletik, Judo, Basket-Ball, Torund Fussball, Tandem-Fahren sowie Tanz und Yoga. Insgesamt nahmen dieses Jahr 18 Kinder und Jugendliche im Alter von 7 bis 18 Jahren am Camp Abilities teil. Ihnen zur Seite standen 35 Studierende, die als Coaches, ehrenamtliche Guides, Praktikanten und Forschende tätig waren.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Schweizer Camp Abilities? Hat alles so geklappt, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Ja, ich bin sehr zufrieden. Die Jugendlichen, die am Sportcamp teilnahmen, haben diese Erfahrung meiner Meinung nach genossen und konnten neue Dinge lernen. Zudem glaube ich, dass auch die Studierenden dank ihrer verschiedenen Aufgaben im Camp viel lernen konnten. Die fünf intensiven Tage, an denen sie die Jugendlichen von morgens bis abends begleiteten, waren für sie sowohl in beruflicher wie auch menschlicher Hinsicht eine positive Erfahrung. Ich meinerseits bin überglücklich und stolz, dieses Projekt anbieten zu können. Ich sehe es als ein besonderes Privileg an, dass ein Interesse daran besteht und wir finanzielle Unterstützung erhalten, um es erfolgreich umzusetzen.

Wird es 2024 wieder ein Camp Abilities geben?
Ja, auf jeden Fall!

Gibt es Pläne, solch ein Camp auch im Winter mit Wintersportarten durchzuführen?
Das gäbe viel zu organisieren. Das CPHV bietet aktuell bereits ein Wintercamp an. Daher glaube ich, dass der Bedarf hier bei den Kindern und Jugendlichen in der Romandie bereits abgedeckt ist. Es bestünde sicherlich Bedarf für einzelne Tage oder Wochenenden dieser Art während der Schulferien im Winter. Im Moment möchte ich mich mit meinem Team aber voll und ganz auf das Sommercamp konzentrieren. Die Sommerferien sind für diese Jugendlichen ein langer Zeitraum, und ich glaube, dass wir uns deshalb vorerst auf dieses Camp konzentrieren sollten.

Das diesjährige Camp Abilities richtete sich an Kinder und Jugendliche aus der Romandie. Gibt es auch Pläne, ein Camp für deutschsprachige Menschen mit Sehbeeinträchtigung durchzuführen? Oder vielleicht sogar ein nationales Camp für alle?
Es wäre sicherlich interessant, das Angebot zu erweitern und auch Kinder und Jugendliche aus der Deutschschweiz oder dem Tessin miteinzubeziehen. Dazu müsste man jedoch eine Lösung finden, um das Camp dreisprachig durchführen zu können. Bisher habe ich allerdings noch keine Anfragen erhalten, auch junge Menschen von ausserhalb der Romandie aufzunehmen. Sollten aber entsprechende Anfragen kommen, würden wir selbstverständlich schauen, was möglich ist, um diesem Bedürfnis gerecht zu werden. Man müsste dann natürlich auch mit anderen Fachzentren und Hochschulen Partnerschaften eingehen.

Obwohl nach wie vor die meisten Camp Abilities in allen Staaten der USA stattfinden, ist die Idee längst auf alle Kontinente übergesprungen. In Europa finden solche Sportcamps neben der Schweiz auch in Portugal, Lettland und Irland statt. Weltweit wurden insgesamt 29 Camp Abilities organisiert.
Die Woche ist für die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen intensiv. Sie müssen darum in der Lage sein, die Woche ohne ihre Eltern zu verbringen und ein gewisses Kommunikationsvermögen und Mass an Selbstständigkeit (Essen und Toilettengang zum Beispiel) mitbringen, um an den angebotenen Aktivitäten teilnehmen zu können. Weil auf jeden Teilnehmer eine Begleitperson kommt, ist es aber durchaus möglich, sich auf die Bedürfnisse und Situationen des Einzelnen einzustellen.

Frau Caron, zum Schluss: Warum tut so eine Sportwoche sehbeeinträchtigten Menschen gut?
Da gibt es mehrere Gründe. Sie bietet Möglichkeiten, die in der Schule nicht unbedingt gegeben sind. Im Camp Abilities sollen die Jugendlichen in erster Linie mit verschiedenen Sportarten in Berührung kommen und dabei ihre motorischen Fähigkeiten trainieren können. Sie können hier aber auch ihre Unabhängigkeit verbessern sowie andere Jugendliche und Erwachsene aus der Romandie kennenlernen.