François Simon ist von Geburt an farbenfehlsichtig, wurde sich dessen aber erst im Alter von 15 Jahren bewusst. Als sein Biologielehrer Farbtafeln des Ishihara-Farbsehtests zeigte, bemerkte er, dass er nicht dasselbe sah, wie die anderen. Okan Kiybar hingegen ist seit Geburt farbenblind. Dass er anders sieht als die meisten Menschen, haben seine Eltern früh gemerkt. Weil er nur mit den Stäbchen sieht, wird er stark geblendet. So hatte er als Kind
an der ­Sonne die Augen immer geschlossen. Carol Lagrange und Nina Hug haben mit den beiden über ihre Seheinschränkung gesprochen.

Von Carol Lagrange und Nina Hug

Erst in der Schule fiel es auf
François Simon leidet unter einer starken Deute­r­anomalie, das heisst, er kann die Farbe Grün nicht richtig erkennen. Dabei handelt es sich um eine verbreitete Art der Farbenfehlsichtigkeit, die von der Mutter an das Kind weitergegeben wird und von der rund 8 Prozent der männlichen Bevölkerung in Europa betroffen sind.
Diese Farbenfehlsichtigkeit kann im Alltag einige Probleme mit sich bringen, die François Simon jedoch stets bewältigen konnte. «Mich zu kleiden beziehungsweise die Farben der Kleider zu kombinieren, hat mir immer Mühe bereitet», erklärt er. «Als ich noch ledig war, habe ich es mir einfach gemacht, indem ich ausschliesslich weisse Hemden trug und die gekauften Outfit-Kombinationen immer an einem Kleiderbügel hängen liess, um nicht selber die Farben der einzelnen Kleidungsstücke kombinieren zu müssen. Seit ich verheiratet bin, stellt meine Frau meine Outfits zusammen, was mir das Leben erleichtert.»
François Simon sagt, dass seine Farbenfehlsichtigkeit ihn während der Schulzeit, ausser in der ­Mathematik, nicht beeinträchtigt habe. Damals, in den Siebzigerjahren, wurden im Mathematik­unterricht noch Abbildungen mit sich überlagernden Kreisen in unterschiedlichen Grün-, Gelb- und Orangetönen verwendet, die er nur schwer auseinanderhalten konnte.
Die Berufswahl am Ende der Schulzeit bereitete ihm keine Probleme. Er entschied sich für den Beruf des Optikers. «Hätte ich Maler oder Mode­designer werden wollen, hätte es wohl Probleme gegeben», so François Simon. «Doch meine Wahl fiel auf Optiker. Schwierig wurde es nur, als ich die Kunden und Kundinnen bei der Farbwahl ihrer Brillenfassungen beraten sollte. Da habe ich jeweils lieber an meine ArbeitskollegInnen übergeben. Ich wurde dann vorwiegend mit Kontaktlinsenanpassungen betraut und musste mich nicht mehr mit Farben beschäftigen.» Später absol­vierte François Simon noch die Ausbildung zum Optometristen und spezialisierte sich zusätzlich auf Low Vision. Er ist seit vielen Jahren für die Fondation Asile des aveugles in Lausanne tätig. Wenn er mit einem Patienten oder einer Patientin einen Farbsehtest durchführen muss, sieht er nicht, was er zeigt. Er hat jedoch stets eine Liste mit den Antworten zur Hand.
Gar nicht zu sehen beziehungsweise nicht zu erkennen, was ihm gezeigt wird, kommt nicht häufig vor. Gerne erzählt er jedoch, wie er einst zusammen mit seiner Frau, einer Kunsthistorikerin, eine Ausstellung des Kunstmalers Morandi besuchte: «Offenbar zeugen seine in zarten Farben gehaltenen Gemälde von grossem Raffinement. Mir sind diese Feinheiten in seinen Werken nicht aufgefallen, die gingen völlig an mir vorbei.»
Was seine Hobbys anbelangt, so bedauert François Simon nur, dass er seinen Segelschein nicht ­machen konnte. «Da die Schiffe auf dem Meer und die Hafeneinfahrten nachts mit grünen und roten Lichtern gekennzeichnet werden, ist eine gute Farbwahrnehmung unabdingbar, wenn man alleine unterwegs ist. Das hält mich allerdings nicht vom Segeln ab, aber ich habe immer noch eine andere Person mit an Bord», betont er.

Farben anders kennzeichnen
Okan Kiybar ist seit seiner Geburt vollständig farbenblind. Das heisst, er sieht keine Farben und hat zudem eine reduzierte Sehschärfe. Was ein normales Auge in etwa acht Metern Entfernung sieht, kann er erst ab einem Meter Distanz erkennen. Hinzu kommt eine starke Blendung. Da die für das Farbensehen zuständigen Zapfen bei Okan Kiybar fehlen, sieht er nur mit den wesentlich lichtempfindlicheren Stäbchen. Das führt dazu, dass er stark geblendet wird. «Wenn ich als Kind draussen an der Sonne war, konnte ich fast nichts sehen und hatte meine Augen immer geschlossen. Das war ein wichtiger Hinweis für meine Eltern, dass meine Augen anders sehen».
Seine Eltern entschieden nach der Diagnose, dass er auf eine für sehbehinderte Kinder speziali­sierte Schule gehen sollte. Seine Schulzeit absolvierte er deshalb im Sonnenberg in Baar. Unter der Woche war er dort im Internat, am Wochenende zu­hause. Hier lernte er auch die Blindenschrift. «Die Ärzte vermuteten, dass sich meine Sehschärfe mit zunehmendem Alter noch verschlechtern könnte. Darum lernte ich auch die Braille-Schrift», erzählt Okan Kiybar. Die Verschlechterung ist aber glücklicherweise nicht eingetreten. So kann er heute mit optischen Hilfsmitteln lesen. «Um zu lesen verwende ich ein Lesegerät, auf dem ich die Vergrösserung für mich optimal einstellen kann und die Farben negativ werden. So werde ich vom weiss der Seiten nicht geblendet.»
Als der Berufsentscheid anstand, interessierte sich Okan Kiybar für den Beruf des Medizinischen Masseurs. In diesem Beruf kommt er mit seinem Sehvermögen gut zurecht. «Ich informiere meine Patienten vorgängig über meine Sehbehinderung und erkläre ihnen, dass ich deshalb bei der ersten Aufnahme der Beschwerden des Patienten etwas intensiver die Haltung oder die schmerzenden Stellen abtaste, statt sie optisch zu erfassen. Ich hatte bisher noch nie eine negative Rückmeldung», erklärt er. Als Okan Kiybar sich selbstständig machte, hatte er dennoch einige Herausforderungen zu lösen. So erzählt er: «Wenn die Patienten den Patientenbogen ausgefüllt haben, konnte ich danach häufig die Schrift nicht ent­ziffern und musste für die Erstellung der Kartei immer wieder nachfragen. Diesen Prozess habe ich jetzt geändert, so dass ich mir die Angaben vom Patienten diktieren lasse und sie gleich in den PC schreibe.» Eine weitere Herausforderung stellten die Überweisungsberichte der Ärzte dar, berichtet Okan Kiybar. Dort seien die Schmerzpunkte häufig farbig auf einer Abbildung des menschlichen Körpers eingetragen. Wenn er nicht wisse, welche Farbe welche ist, dann gehe er einfach zu seinen Eltern oder Bekannten, die ihm die Farben benennen. «Anstelle von Farben nutze ich Buchstaben oder Formen. So schreibe ich zum Beispiel für die Farbe Rot an die Stelle des Schmerzpunktes ein A oder einen Kreis. Mit diesem Trick komme ich sehr gut zurecht», erklärt Okan Kiybar.
In seiner Freizeit spielt Okan Kiybar Fussball und engagiert sich bei einem Verein als Trainer. Er ­könne trotz seiner Sehbehinderung ganz gut mitspielen. Zwar sehe er den Ball später als seine Mitspieler, aber er ist gut darin geübt das zu kompensieren. Ein Problem hat er, wenn die Trikots der beiden Mannschaften sehr wenig kontrastreich sind. Trägt eine Mannschaft ein helles und die ­andere ein dunkles Trikot, kann er dies gut unterscheiden. Ein helles blau und ein helles grün sieht für ihn aber zu ähnlich aus.