Ambulante Low Vision Beratung in Alters- und Pflegeheimen

Seit Anfang des Jahres 2020 bietet die Fondation Asile des aveugles innerhalb ihrer Alters- und Pflegeheime wöchentlich einen interdisziplinären Low Vision Beratungsdienst an. Ein ambulantes Team, bestehend aus einem Augenarzt/ einer Augenärztin, einem Optometristen/einer Optometristin  und einer Low Vision Fachperson, begleitet die Bewohnerinnen und Bewohner, um deren Lebensqualität im Hinblick auf das Sehen zu verbessern.

von Diana Morais De Almeida, Optometristin und Marlyse Schmid, Fachfrau Low Vision, Augenklinik Jules-Gonin, Lausanne

Eine Frau testet eine leuchtende Lupe, damit sie die Zeitung wieder lesen kann.
Bild: Fondation Asile des aveugles

Schon seit vielen Jahren können die Bewohnerinnen und Bewohner der zur Fondation Asile des aveugles gehörenden Alters- und Pflegeheime Clair-Soleil und Recordon von augenmedizinischer Beratung profitieren.

Seit Januar 2020 gibt es einen neuen wöchentlichen Beratungsdienst: In Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal realisieren ein Augenarzt oder eine Augenärztin, ein Optometrist oder eine Optometristin und eine Low Vision Fachperson einen interdisziplinären Low Vision Beratungsdienst. Hierbei wirken sämtliche für Low Vision sensibilisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Alters- und Pflegeheime mit und realisieren so eine angepasste augenmedizinische Betreuung. Dank dieser Begleitung kann die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner im Hinblick auf ihr Sehen verbessert werden.

Bei Bedarf kann das ambulante Team auch andere Alters- und Pflegeheime in der Region besuchen, wenn deren Bewohnerinnen und Bewohner nicht mobil genug sind für einen Besuch in der Low Vision Beratung oder beim Augenarzt oder wenn eine ungewohnte Umgebung Stress für die Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet.

Die Aufgabe des Optometristen/der Optometristin

Der Optometrist oder die Optometristin hat zum Ziel, für die Bewohnerinnen und Bewohner bestmögliche optische Lösungen wie Brillengläser oder andere vergrössernde Sehhilfen zu finden. Nur schon eine leichte Verbesserung der Sehfähigkeit durch z.B. eine besser angepasste Brille, kann für die Patientin oder den Patienten Zugang zu einer grösseren Auswahl an Vergrösserungshilfen bedeuten und den Alltag erleichtern.

Um die Sehfähigkeit einer Bewohnerin oder eines Bewohners festzustellen oder beurteilen zu können, reicht es nicht aus, einfach Buchstaben auf einer Tafel ablesen zu lassen. Man muss genau wissen, wie es sowohl um das periphere Sehen wie auch um die zentrale Sehschärfe (wichtig beim Lesen) der jeweiligen Person steht. Dies lässt sich beispielsweise über die Untersuchung des Gesichtsfeldes feststellen. Für eine Beurteilung der zentralen Sehschärfe steht unter anderem der Amsler-Gitter-Test zur Verfügung, mit dem sich erkennen lässt, ob bei betrachteten Bildern Formverzerrungen (Metamorphopsien) und Grössenverzerrungen (Mikropsien, Makropsien) auftreten.

Der Optometrist oder die Optometristin ermittelt anhand des SZBLIND-Tests zum Messen des Vergrösserungsbedarfs die Grösse der Buchstaben, mit der die Bewohnerin oder der Bewohner noch zurechtkommt. Diese Information ist für die Empfehlung einer optimalen Lesehilfe wichtig. Ferner steuert die Ermittlung der Kontrastwahrnehmung Erkenntnisse bei, die für die Mobilität, die Orientierung sowie die richtige Beleuchtung des Umfelds relevant sind.

Die gesammelten Informationen werden dann an den Augenarzt oder die Augenärztin weitergegeben, damit dieser oder diese mit der Beratung fortfahren kann.

Die Aufgabe der Augenärztin/des Augenarztes

Mit steigendem Alter nehmen Augenerkrankungen wie altersbedingte Makuladegeneration (AMD), Katarakt, Glaukom und diabetische Retinopathie zu. Aufgrund eines potenziell irreversiblen Sehkraftverlusts ist es unerlässlich, dass möglichst früh eine Diagnose gestellt und die entsprechende Behandlung eingeleitet wird. So werden augenärztliche Untersuchungen nicht erst bei Problemen der Augengesundheit vorgesehen, sondern finden prophylaktisch bei allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Alters- und Pflegheime regelmässig statt.

Nach einer vollständigen Anamnese, die die Berücksichtigung von Sehbeschwerden, Begleiterkrankungen und systemischen Therapien (die sich beide auf das Auge auswirken können) umfasst, erfolgt eine Untersuchung mittels Spaltlampe.

Nach Abschluss der klinischen Untersuchung erfolgt die Diagnosestellung und das weitere Vorgehen wird mit der Bewohnerin oder dem Bewohner und/oder ihrer/seinem Therapieverantwortlichen besprochen. Wenn nötig werden der Patientin oder dem Patienten eine Therapie und/oder eine optische Korrekturhilfe verschrieben. Im Bedarfsfall kann der Augenarzt oder die Augenärztin die Patientin oder den Patienten für weitere Abklärungen wie zum Beispiel eine bildgebende Untersuchung des Sehnervs oder der Makula an die Augenklinik überweisen. Nach Beendigung der Beratung wird der Arzt oder die Ärztin auch Empfehlungen hinsichtlich des therapeutischen Betreuungszeitraums abgeben. Schliesslich wird er basierend auf der Einschränkung der funktionellen Sehfähigkeit und den Bedürfnissen der Bewohnerin oder des Bewohners beurteilen, ob eine Rehabilitation durch die Low Vision Fachperson notwendig ist.

Beurteilungen der Low Vision Fachperson

Die Low Vision Fachperson ist gleichzeitig auch Rehabilitationsexperte. Sie sorgt nicht nur für die richtigen Hilfsmittel wie zum Beispiel die passende Lupe, sondern bemüht sich darum, dass die Bewohnerin oder der Bewohner ihren/seinen Tätigkeiten und Hobbys weiter nachgehen sowie bestehende soziale Beziehungen aufrechterhalten und weiter pflegen kann. Die Fachperson  nimmt Anpassungen am Umfeld vor und beurteilt und trainiert die sensorischen, physischen sowie kognitiven Fähigkeiten seiner Patientinnen und Patienten. Dabei muss sie das geeignete Hilfsmittel empfehlen, aber vor allem auch die richtige Verwendungstechnik vermitteln.

Die Fachperson Low Vision nimmt ihre Beurteilung auf Anordnung der Augenärztin oder des Augenarztes und unter Abstützung auf die zuvor gesammelten medizinischen Daten vor.

Alles beginnt mit dem Verständnis für das Anliegen und die Bedürfnisse der Bewohnerin oder des Bewohners. Will sie oder er Scrabble spielen, Romane oder die Schlagzeilen in Zeitungen lesen oder ein Smartphone oder Tablet bedienen können, um die Familie per Videoanruf zu sehen? Die Fachperson Low Vision erstellt einen sogenannten «Fragebogen zur Lebensqualität». Mit diesem lassen sich die Prioritäten und Wünsche der Bewohnerin oder des Bewohners eruieren, und man erhält einen Überblick über die Schwierigkeiten, mit denen die jeweilige Person bei ihren Aktivitäten konfrontiert ist.

Danach gilt es nachzuvollziehen, worauf diese Schwierigkeiten zurückzuführen sind. Haben sie mit fehlenden visuellen Informationen oder Problemen bei der Handhabung eines Gegenstandes zu tun? Auch hier befindet sich die Fachperson Low Vision in einem Austausch mit anderen Fachpersonen und beurteilt die physischen und kognitiven Fähigkeiten, um dann eine den Fähigkeiten angemessene Tätigkeit und ein geeignetes Training vorschlagen zu können. Ferner wird der Lichtbedarf gemessen und es wird abgeklärt, ob das Problem einer Blendung gegeben ist. Weiter wird auch die Lesegeschwindigkeit geprüft, denn manchmal ist das blosse Erkennen von Buchstaben und Wörtern nicht genug. Um einen Roman lesen zu können, muss nämlich eine ausreichende Lesegeschwindigkeit erreicht werden, denn nur so lässt sich der Sinn erfassen und stellt sich ein Lesevergnügen ein.

Zum Schluss erfolgt bei Bedarf noch eine Evaluierung der Geschicklichkeit und des Tastsinns, denn falls die Sehfähigkeit nicht mehr ausreichend sein sollte, könnten auch noch die anderen Sinne genutzt werden.