Monique Cosandey ist ein Mensch mit Albinismus. Die 70-Jährige erzählt, dass sie sich schon immer anders gefühlt habe als andere, jedoch ohne an der Behinderung gelitten zu haben.

Das Interview führte Carol Lagrange

tactuel: Was bedeutet es für Sie, ein Mensch mit Albinismus zu sein?

Monique Cosandey: Für mich ist es keine Krankheit, von Albinismus betroffen zu sein. Ich fühle mich nicht krank, obschon Albinismus nicht geheilt werden kann. Ich habe eine Sehbehinderung, ich habe weisse Haare und ich habe kein Melanin, weder in der Haut, den Augen noch den Haaren. Aber ich leide nicht darunter. Ich fühle mich ganz einfach anders als die Anderen.

In welchem Alter wussten Sie, dass Sie von Albinismus betroffen sind und was das bedeutet?

Ich wurde 1950 in Paris geboren. Meine Eltern wussten bereits bei meiner Geburt, dass ich von Albinismus betroffen bin. Meine Augen waren farblos und meine Haut war sehr weiss. Ich hatte eine (zweieiige) Zwillingsschwester und wir hatten die gleiche Genmutation, was die Mediziner damals in grosses Erstaunen versetzte. Ich selbst bemerkte mein Anderssein erst ab meinem Schul­eintritt, da meine Eltern nie viel Aufheben von meiner Behinderung gemacht hatten. Zuerst besuchte ich ein Quartal lang die Schule in ­meinem Quartier, danach wurde ich in eine ­Klasse für Kinder mit einer Seheinschränkung geschickt. Ich wurde mir meines Albinismus auch bewusst, als sich Leute auf der Strasse nach mir um­drehten.

Welche Sehstörungen haben Sie und zu welchen Problemen führten diese in der Schule?

Ich bin sehr kurzsichtig. Zudem habe ich einen Nystagmus und bin sehr lichtempfindlich. Ich werde aber nicht speziell von einem Augenarzt betreut. Während meiner ersten Schuljahre bereiteten mir meine Sehstörungen keine Probleme, da ich eine Sonderklasse besuchte. Mit 12 Jahren wechselte ich jedoch in die normale Oberstufe in eine Klasse mit 40 Schülerinnen und Schülern. Ich war natürlich die schwächste Schülerin. Zu jener Zeit konnte man sich nicht an eine Fachstelle für Low Vision wenden. Ich bin zu meiner ehemaligen Lehrerin ge­gangen, die dann mit meiner Oberstufenlehrerin sprach, sodass spezielle Anpassungen vorgenommen wurden für mich. Später wurden Sonderklassen für Schülerinnen und Schüler mit einer Sehbehinderung geschaffen, die ich während meiner restlichen Schulzeit besuchte. Dort wurden uns Bücher in Grossdruck zur Verfügung gestellt und für Prüfungen hatten wir einen Drittel länger Zeit.

Hat Sie Ihr Albinismus in Ihrer beruflichen Laufbahn gestört?

Nicht wirklich. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung absolviert. In der Berufsschule sass ich immer in der ersten Reihe. Ein oder zwei Freundinnen halfen mir jeweils und meine Lehrerinnen und Lehrer waren sehr kooperativ. Ich hatte Mühe, die Wandtafel zu sehen, aber ich habe immer eine Lösung gefunden. Als ich an einer Aufnahmeprüfung teilnahm, um in der Verwaltung im Rathaus von Paris zu arbeiten, klappte es anfänglich nicht. Der ­Per­sonaldienst der Stadt Paris hat mir daraufhin jedoch eine Stelle als Büroangestellte angeboten. Anschlies­send habe ich die Prüfung nochmals abgelegt und ich habe bestanden. Zuerst wollten sie mich aufgrund meiner Sehschwierigkeiten nicht anstellen, aber dank meinem Chef erhielt ich eine entsprechende Stelle und so arbeitete ich mehrere Jahre beim Zivilstandsamt von Paris. Danach traf ich meinen Mann, Roger Cosandey, der aus der Schweiz stammt und wir zogen zuerst nach Le Locle und später dann nach Lausanne. Zwei Jahre nach unserer Ankunft wurde ich in der Bibliothèque sonore romande (Hör-Bibliothek der Westschweiz) angestellt. Ich arbeitete in der Ausleihe und kümmerte mich während 36 Jahren um den Empfang. Bei dieser Stelle wurden natürlich an meinem Arbeitsplatz gewisse Anpassungen vorgenommen und ich erhielt die nötige Ausrüstung wie zum Beispiel die Software ZoomText und ein Vergrösserungsgerät.

Welche optischen und technischen Hilfsmittel ­benutzen Sie?

Bis ins Jahr 1974 hatte ich lediglich eine Lupe. Als ich in die Schweiz kam, habe ich ab 1976 Lupenbrillen verwendet. Und das war wie ein Wunder. Aber alle Leute haben mich angeschaut. Heute habe ich eine Lupenbrille, um Zeitung in einem Abstand von 5cm zu lesen. Und wenn ich mich draussen bewege, habe ich eine selbsttönende Brille und Filter. Am Computer verwende ich ZoomText.

Hat Ihnen Ihr Anderssein je Identitätsprobleme bereitet?

Ich fühle mich anders, das ist tatsächlich so, aber ich leide nicht darunter im Gegensatz zu anderen Personen mit Albinismus, die Mühe haben mit ihrer Identität. Es gibt Menschen mit Albinismus, die sich die Haare färben, damit sie nicht auffallen. Ich weigere mich, mich den anderen Menschen anzupassen, sie müssen mich akzeptieren, so wie ich bin.

Sind Sie bei einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit Albinismus dabei?

Mein Leben hat sich immer um das Verbandsleben gedreht. Ich bin Mitglied bei Genespoir, einem französischen Selbsthilfeverband, der übrigens sehr gut über Albinismus informiert. Zudem war ich 14 Jahre lang Präsidentin der Waadtländer Sektion des SBV und Mitglied des Vorstands des SBV. Auch politisch betätigte ich mich aktiv und war 20 Jahre Mitglied des Gemeinderates von Lausanne. Heute bin ich weiterhin für verschie­dene Gruppen und Kommissionen tätig, die sich für die Interessen von Seniorinnen und Senioren einsetzen.