Wie Leistungssport ist für blinde und sehbehinderte Menschen möglich ist

Die blinde Sportlerin Chantal Cavin aus Bern erreichte Weltrekorde im Schwimmen. Für das Training und die Teilnahme an Wettkämpfen wird viel Ausdauer und Disziplin verlangt – und ohne Unterstützung durch andere Sportlerinnen und Sportler geht gar nichts.

Von Ann-Katrin Gässlein

Die blinde Schwimmerin Chantal Cavin führte die Weltrangliste im Crowl an. Bild: zVg

Chantal Cavin im Schmetterlingstil im Wasser. Bild: Rose Vocat

Blind ist Chantal Cavin seit ihrem 14. Lebensjahr. Bei einem Unfall stürzte sie auf den Hinterkopf und verlor ihr Augenlicht. In den folgenden Jahren änderte sich ihr Leben grundlegend: Zuerst besuchte sie die öffentliche Schule weiter und wurde ambulant von der Blindenschule Zollikofen betreut. Als die Berufswahl anstand, musste sie sich neu orientieren. Hochbauzeichnerin kam mit der Sehbehinderung nicht mehr in Frage. So macht Chantal Cavin eine Umschulung bei der SBH Professional in Basel und lernte Kaufmännische Angestellte. Heute arbeitet sie Teilzeit bei einer grossen Bank.

Was sich aber durch Unfall und Erblindung nicht veränderte, war ihre Leidenschaft für den Sport. Von Kindesbeinen an war Chantal Cavin sehr bewegungsfreudig und trat noch vor Schulbeginn einem Judoclub bei. Als junge Erwachsene in Basel begann sie, in einem Schwimmclub zu trainieren, „einfach so, an der Leine entlang“.

Wann genau der Wechsel in den Leistungssport erfolgte, kann Chantal Cavin nicht mehr genau festlegen. Irgendwann hatte das Trainingspensum ein entsprechendes Mass angenommen. Jahrelang trainierte Chantal Cavin morgen und abends jeweils zwei Stunden im Hallenbad. Als blinde Schwimmerin war sie bei Wettkämpfen alleine im Wasser und schwamm an der Leine entlang. An den Stirnseiten des Bades stand jeweils eine Person, die sie mit dem Stock auf den Kopf tippte, die so genannte „Hauerin“ – um ihr damit die Rollwende anzuzeigen. Irgendwann waren die Zeiten für 50, 100 oder 400 Meter gut genug – und dann war die qualifiziert für Meisterschaften.

Paralympics hat strenge Kriterien

Bei den Paralympics trat sie dreimal an, in Athen, Peking und London. Dort gibt es strenge Kriterien: Das Internationale Paralympische Komitee legt fest, wie viele Schwimmer und Schwimmerinnen teilnehmen dürfen; Swiss Paralympics wiederum setzt dann Limiten, also Mindestzeiten, die die Teilnehmenden erreichen müssen. Auch der Grad der Behinderung wird geprüft. Chantal Cavin ist vollblind und zählt zur Kategorie S11; auch S12 und S13 – beides starke bis mittlere Sehbehinderungen – erlauben eine Teilnahme. Die Klassifikation geschieht durch internationale Ärzte und Ärztinnen, die eine andere Nationalität als der Sportler oder die Sportlerin haben. Chantal Cavins Gruppe startete zusätzlich mit Dunkelbrillen, damit alle Personen gleiche Voraussetzungen hatten und diejenigen, die von Licht und Dunkelheit unterscheiden konnten, einen Vorteil hätten. Diese Dunkelbrillen wurden vor dem Gang ins Wasser kontrolliert.

Auf 100 Meter Kraulstil schwamm Chantal Cavin mit 1:11:37 einen neuen Weltrekord und überholte den Vorgänger, der 22 Jahre lang den Rekord gehalten hatte. Ihre besten Zeiten auf 50 Meter Kraul mit 32:32 Sekunden schwamm sie in auf der Weltmeisterschaft in Rio de Janeiro 2009, die 400 Meter Kraulstil schaffte sie mit rund 5 min 30 Sekunden.

Nach ihrem Rücktritt von den Paralympics im Jahr 2012 wechselte Chantal Cavin zunächst in den Langstreckentriathlon, genauer: zum Ironman. Der Iron Man ist eine bestimmte Wettkampfart, die aus 42 km Laufen, 180 km Radfahren und 3,8 km Schwimmen besteht. Eine ausserordentliche Höchstleistung für den menschlichen Körper, der sich in der Regel monatelang vorbereiten muss und durchaus zehn Stunden oder länger dauert.

Hohe Hürden beim „Ironman“

Für Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung hat das Reglement des Ironman allerdings einige gravierende Nachteile: Um teilnehmen zu dürfen, sind Sportlerinnen und Sportler auf einen Guide angewiesen – einen anderen Sportler oder eine Sportlerin, die mindestens ebenso gut ist und sie oder ihn während der gesamten Strecke begleitet. Beim Laufen sind der blinde Sportler und sein Guide beispielsweise durch ein Band verbunden. In der Regel lassen sich diese Guides während der Strecke auswechseln. Der Ironman allerdings hat strikte Regeln: Lediglich ein Guide mit gleichem Geschlecht und gleicher Nationalität ist erlaubt, der zudem während der Gesamtdistanz nie ausgewechselt werden darf und zusätzlich selbst zwölf Monate nicht an einem anderen Ironman teilgenommen hat. Eine solche Person als Guide zu finden, ist praktisch unmöglich, musste Chantal Cavin erfahren. Ihre sportbegeisterten sehenden Kollegen und Kolleginnen fallen unter solchen Voraussetzungen als Guides aus.

Aus diesem Grund trainiert Chantal Cavin nun hauptsächlich für den „normalen“ Marathon – für diesen sind immerhin zwei Guides zugelassen, die sich abwechseln. An sechs von sieben Tagen pro Woche trainiert sie, entweder mit Guide im Freien oder ohne Guide auf dem Laufband. Oder sie fährt Fahrrad, im Tandem mit einer Kollegin oder auf dem „Spinning Bike“.

Immer nur mit Guide möglich

„Erfolg im Sport ist immer eine Teamleistung“, so zieht Chantal Cavin das Fazit aus 17 Jahren Leistungssport. „Wenn ich fit bin und alles richtig mache, die Schwimmwende aber im falschen Moment angezeigt wird, ist das Pech für mich. Wenn ich Marathon renne und der Guide nicht so gut drauf ist, zählt der Durchschnitt von beiden. Dann muss man fair sein. Denn andersherum schaffe ich alleine gar nichts und bin den Guides total dankbar. Umso schöner ist es, wenn beide ihre beste Leistung bringen – dann kann man sich richtig zusammen freuen!“