Brustkrebsfrüherkennung ist grosse Chance für blinde Frauen

In Deutschland bildet das Sozialunternehmen „discovering hands“ blinde und hochgradig sehbehinderte Frauen zu Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTUs) aus. Sie werden im Rahmen der Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt.

Von Ann-Katrin Gässlein

Eine sehbehinderte Frau tastet die Brust einer Patientin ab.

Eine sehbehinderte Medizinische Tastuntersucherin im Einsatz.

Brustkrebs ist nach wie vor die häufigste Krebserkrankung und eine der häufigsten Todesursachen von Frauen – jedes Jahr erkranken in Deutschland knapp 70.000 Frauen an Brustkrebs. In der Schweiz sind es nach Auskunft der Krebsliga Schweiz etwa

5’900 Frauen, die an Brustkrebs jährlich erkranken; etwa 1’400 sterben daran. Die frühzeitige Entdeckung von Brustkrebs ermöglicht eine weniger belastende Behandlung. Das verbessert die Überlebenschancen der Patientinnen erheblich.

 

Krebsfrüherkennungsangebote nicht optimal

Hierzu sind geeignete Vorsorge- und Krebsfrüherkennungs-angebote notwendig, die jedoch zur Zeit nicht immer optimal sind: Das Mammographie-Screening wird sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz erst für Frauen ab 50 Jahren angeboten – eine präventive Mammographie ist vor diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen, obwohl etwa 20% der Brustkrebsneuerkrankungen auf Frauen unter 50 Jahren entfallen. Die Brusttastuntersuchung durch den Gynäkologen, die für Frauen zwischen 30 und 50 Jahren die einzige Brustkrebsfrüherkennungsmassnahme darstellt, wird jedoch nicht nach standardisierten und validierten Abläufen und oft unter hohem Zeitdruck durchgeführt.

 

Die Ausbildung von blinden und sehbehinderten Frauen zu Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) im Projekt „discovering hands®“ füllt diese Lücke aus. Gleichzeitig tut sich hier ein sinnvolles Betätigungsfeld für Menschen mit Behinderung mit klaren Vorteilen für Patientinnen auf: Blinde und sehbehinderte Menschen haben einen nachweislich überlegenen Tastsinn, sie werden also nicht „trotz ihrer Behinderung“, sondern „wegen ihrer Begabung“ beschäftigt. Die Tastuntersuchung durch die MTU erfolgt darüber hinaus nach einem speziell entwickelten, standardisierten und qualitätsgesicherten Untersuchungskonzept.

 

MTUs finden deutlich mehr Gewebeveränderungen

Für die Untersuchung nimmt sich die MTU etwa 30 bis 60 Minuten und widmet der Patientin ein hohes Mass an Zuwendung. Die strukturierte Untersuchung wird im Sitzen und Liegen durchgeführt. Die MTU orientiert sich mit Hilfe von patentierten Spezialklebestreifen an der Brust, während sie das Brustdrüsengewebe vollständig und gründlich in allen drei Ebenen abgetastet.

Eine Vorstudie hat gezeigt, dass MTUs dabei mehr und deutlich kleinere Gewebeveränderungen finden als Gynäkologen unter den Bedingungen einer Routinevorsorgeuntersuchung: In dieser Evaluation fand die MTU-Gruppe rund 50% mehr auffällige Gewebeveränderungen als die Ärztegruppe und die entdeckten Gewebeveränderungen waren ca. 30% kleiner.

Ein Berufszweig mit Zukunft

Heute arbeiten deutschlandweit 35 Frauen als MTUs. Sie alle haben das Ausbildungsprogramm von „discovering hands“ durchlaufen. Einige sind direkt in gynäkologischen Praxen oder Kliniken beschäftigt. Andere sind seit 2016 als Vollzeitarbeitskräfte bei „discovering hands“ angestellt, das seit 2012 als Sozialunternehmen organisiert ist. Damit wurde der Spielraum für die Beschäftigung der MTUs grösser. Dr. Frank Hoffmann, Gynäkologe, Ideengeber und Gründer von „discovering hands“: „Bei uns angestellte MTUs können in ganz Deutschland von Praxen oder Kliniken ausgeliehen und per Bedarf beschäftigt werden. Dieses Modell hat sich bewährt, weil damit einige arbeitsrechtliche Hürden überwunden werden konnten.“ Dafür wendet sich „discovering hands“ an Praxen und Kliniken, stellt das Angebot vor und entwickelt Kooperationslösungen.

„discovering hands“ hat mehrere Preise erhalten, 2014 den Zürcher „SEIF Award for social entrepreneurship“ und 2016 den „Next Economy Award“ des Deutschen Nachhaltigkeitspreises. Frank Hoffmann will die Idee auch in andere Länder tragen: In Österreich und Kolumbien wurden bereits erste MTUs qualifiziert und konnten ihren Beruf starten, ein Pilotprojekt in Indien hat bereits begonnen. Auch in die Schweiz will „discovering hands“ expandieren: Eine Arbeitsgruppe mit drei Mitarbeiterinnen in Zürich und Luzern ist bereits gegründet.