Über die Entwicklung und Herstellung eines Lerninstruments für Kinder mit CVI

Für ihre Masterarbeit hat Heilpädagogin Felicitas Krebs die Schleswiger Seh-Kiste von Susanne Mundhenk umgesetzt und erweitert. Sie enthält zahlreiche Materialien, die kreative selbständige und begleitete Arbeit von Kindern mit Zerebralen visuellen Wahrnehmungsstörungen (Cerebral Visual Impairment, CVI) erlauben. Hier berichtet sie über die Herstellung und Anwendung ihres Lerninstruments.

von Felicitas Krebs*

Ein Blick in die Förderkiste: auf dem Foto ist eine Förderkiste mit diversen Materialien abgebildet.  Bild: Felicitas Krebs

Ein Blick in die Förderkiste
Bild: Felicitas Krebs

In unserer Schule für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche wie auch in anderen Sonderschulen werden vermehrt Kinder mit der Diagnose CVI eingeschult. Bei Samir** beobachte ich, dass er zwar seinen Spielzeughund oben auf einer vollen Spielkiste nicht finden kann, dass ein Bohrloch in der Decke ihn jedoch sehr zu irritieren vermag. Für Louise** ist es ganz schwierig, Buchstaben und Zahlen zu schreiben. Wenn sie einen Farbstift in die Farbschachtel zurücklegen will, geht sie tastend vor, um die Lücke ausfindig zu machen. Für Jonas** ist das Lesen oft anstrengend und schwierig. An gewissen Tagen kann er Buchstaben und Zahlen nicht erkennen.
Dies sind Beispiele aus dem Alltag von Kindern mit CVI. Ihre visuellen Fähigkeiten können innerhalb eines Tages stark variieren.

Vielfältiger Entwicklungsbedarf

Bei der täglichen Arbeit mit diesen Kindern haben wir festgestellt, dass vielfältiger Entwicklungsbedarf in Bezug auf förderdiagnostische und pädagogische Unterstützung besteht. Im Rahmen meiner Masterarbeit in der Ausbildung zur schulischen Heilpädagogin habe ich ein Produkt entwickelt, das hilft, Kinder mit CVI oder mit Verdacht auf CVI differenziert zu beobachten und zu fördern. Dies mit dem Ziel, die individuellen Schwierigkeiten dieser Kinder besser zu verstehen und zu analysieren und pädagogische Angebote zu entwickeln. Diese sollen uns ermöglichen, für jedes Kind eine optimale alltägliche Umgebung zum Lernen und Spielen zu gestalten.

Das Endprodukt: eine Beobachtungs- und zwei Förderkisten

Als Ausgangslage der Arbeit habe ich die „Schleswiger Seh-Kiste“ von Susanne Mundhenk gewählt und die Materialien gemäss ihren Vorschlägen hergestellt. Ergänzend ist eine Material-, Ideen- und Aufgabensammlung zur Förderung entstanden. Das Endprodukt besteht aus einer Beobachtungskiste (analog der Schleswiger Seh-Kiste) und zwei Förderkisten. Die Beobachtungskiste ist nach den inhaltlichen Kriterien der Autorin gegliedert. Die Beobachtungsvorschläge werden von Susanne Mundhenk in zehn Bereiche eingeteilt. Zum Beispiel Formerkennung, „Crowding effect“, visuell gesteuerte Handfunktion/räumliche Wahrnehmung, usw. Damit verschiedene Lehrpersonen die Fördermaterialien verstehen und nutzen können, liegen Anweisungen und Erklärungen bei. Sie sollen die Arbeit mit den Materialien erleichtern. Zur besseren Übersicht habe ich den einzelnen Bereichen Farben zugeteilt und sie in Einzelmappen geordnet.

Eine Materialsammlung für das selbständige Arbeiten

Bei der Umsetzung war mir wichtig, Elemente aus dem Schulalltag zu übernehmen, welche bei Kindern mit CVI erfahrungsgemäss gut funktionieren und welche ihnen ermöglichen, auch selbständig zu arbeiten. So sind viele Materialien entstanden, welche mit Magnet- oder Klettmappen angewendet werden. Die Mappen und einzelne Teile der Arbeit (Rectangle-Test, Magnetplatten) sind in der Zusammenarbeit mit der Lehrmittelabteilung der Blindenschule Zollikofen (Leitung: Silvia Brüllhardt) entstanden. Rolf Glauser und Regula Aeberhard haben mit ihrer sorgfältigen und professionellen Mithilfe dazu beigetragen, wunderschöne und qualitativ hochstehende Materialien herzustellen. So sind zum Beispiel die aufklappbaren Mappen so konstruiert, dass Vorlagen eingesteckt und ausgewechselt werden können. Dazu habe ich viele Arbeitsmaterialien entworfen und hergestellt, laminiert und mit Klett oder Magneten versehen. In der einfachsten Form geht es darum, gleiches zu erkennen und zuzuordnen. In der Handhabung sind viele Aufträge einheitlich, in der Komplexität und Schwierigkeit sind sie jedoch unterschiedlich. Weiter beinhalten die Kisten Aufgaben zum Zusammensetzen, Raten, Spielen, Zeichnen, Puzzeln usw. Das Arbeiten mit den Materialien soll Freude machen und zur Kreativität anregen.

Die Möglichkeiten zur Förderung sind vielfältig

Es lassen sich vielfältige Förderungsmöglichkeiten gestalten. Ein Beispiel: Samir (mit dem Stoffhund in der Spielkiste) könnte von der Komplexität überfordert sein, aus einer Vielzahl von Informationen die wichtigen herauszufiltern („Crowding effect“). Zum Bereich „Crowding effect“ können nun aus den Kisten alle Materialien mit einem violetten Punkt verwendet werden. Aus der Beobachtungskiste hole ich dazu zuerst die gezielten Fragestellungen und halte meine Beobachtungen fest (z.B. Wie reagiert das Kind, wenn ein detailreiches Buch vor ihm liegt? Hilft es, durch ein „Fenster“ den Ausschnitt der Abbildung zu verkleinern und das Bild wie durch ein Fernglas abzusuchen?). Bereits hier liegen viele Möglichkeiten vor, mit Samir zu arbeiten.

Fotoaufnahme einer Magnetplatte zum spielerischen Üben

Üben, üben, üben – z.B. mit der Magnetplatte
Bild: Felicitas Krebs

Mit den Fördermaterialien kann weiter geübt werden: mit der Puppe durchs Puppenhaus gehen und Details suchen, mit den Landschafts-Magnetplatten spielen, mit Holzfiguren durch den Zoo spazieren, abgebildete Gegenstände in Kleinformat auf die Magnetplatte stellen, überlappenden Figuren nachfahren, uvm. Aus dem Bereich Deutsch und Mathematik gibt es Aufgaben, welche die Kinder lösen können, ohne zu schreiben. Zum Beispiel ermöglichen magnetische und laminierte Buchstaben oder Satzteile, dass Louise, die mit Schreiben Mühe hat, Wörter oder Sätze ohne grosse Anstrengung legen kann.
Die drei Kisten stehen bei uns im Klassenzimmer und werden oft eingesetzt. Ich freue mich sehr, wenn die Kinder mit den Inhalten positive (Seh-) Erlebnisse haben.

*Felicitas Krebs ist Schulische Heilpädagogin an der Schule für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche in Zollikofen und betreut regelmässig auch Kinder mit CVI.

**Namen geändert


Literatur:

  • Bals, I., (2009). Zerebrale Sehstörung. Begleitung von Kindern mit zerebraler Sehstörung in Kindergarten und Schule. Würzburg: Edition Bentheim.
  • Dutton, G.N. (2013). CVI – Cerebral Visual Impairment. Zerebrale visuelle Verarbeitungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen – Aufsätze aus 10 Jahren. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Mundhenk und Wiebke Gewinn. Würzburg: Edition Bentheim.
  • Mundhenk, S. (2008). Die Schleswiger Seh-Kiste zur Beobachtung des funktionalen Sehens von Kindern und Jugendlichen unter der Fragestellung von CVI. Eine Material- und Ideensammlung für den pädagogischen Alltag. Würzburg: Edition Bentheim.
  • Zihl, J.; Mendius, K.; Schuett, S.; Priglinger, S. (2012). Sehstörungen bei Kindern. Visuoperzeptive und visuokognitive Störungen bei Kindern mit CVI. (2. Auflage). Wien; New York: Springer.