von Anne Boxleitner

Mit geschickten Bewegungen verlegt Jasmin Schneider (22) einen Draht nach dem anderen in einem riesigen Schaltschrank. Obwohl ihr Gesichtsfeld so stark eingeschränkt ist, als würde sie durch einen Strohhalm schauen, behält die junge Frau in ihrem Beruf als Automatikerin jederzeit den Überblick.

Jasmin Schneider hat das Usher-Syndrom. Seit ihrer Geburt ist sie taub und auch ihr Gesichtfeld hat sich im Lauf ihres Lebens stark eingeschränkt. Mithilfe ihrer beiden Cochlea-Implantate, die ihr schon als Kind eingesetzt wurden, hört Jasmin. Und dank jahrelanger intensiver Sprachförderung spricht sie klar und deutlich. Man merkt ihr ihre Hörsehbehinderung nicht an – im Gegenteil, vor einem steht eine selbstbewusste junge Frau, die Tag für Tag in einer Werkhalle komplexe Schaltschränke elektrisch aufbaut und verdrahtet oder Kabel und Motoren in Maschinen und Apparate einbaut. «Für mich war schon immer klar, dass ich einen Handwerksberuf erlernen möchte. Ich möchte mit meinen Händen arbeiten, ein Bürojob wäre nichts für mich», sagt sie.

Grosse Herausforderungen
Mithilfe der Berufsberatung und einer Schnupperlehre entscheidet sie sich für den Beruf Automatikerin. Sie bewirbt sich auf drei noch offene Lehrstellen und wird zum Schnuppern eingeladen. Trotz sehr guter Leistungen erhält sie zwei Absagen mit der Begründung, der Job sei mit ihrer Hörsehbehinderung zu gefährlich. Der Grund für die Absagen verletzt sie. Beim Ausbildungsverbund Aarau West erhält sie schliesslich die Chance, sich zu beweisen. Bereits in der ersten Ausbildungswoche geht es ins Klassenlager, wo sie sich vor versammelter Mannschaft vorstellen muss. «Ich musste in der Vorstellungsrunde allen sagen, dass ich hör- und sehbehindert bin. Das ist mir sehr schwergefallen.“

In der Lehre am Limit
Die Ausbildung und die langen Tage in der Schule, an denen sie manchmal bis zu zwölf Stunden unterwegs ist, fordern Jasmin Schneider sehr. «In der Ausbildung hat man ein Pensum von 100 Prozent aus Arbeit und Schule und muss daneben noch lernen. Ich würde mir – auch für andere Lernende mit Sinneseinschränkung – ein Pensum von 70 bis 80 Prozent wünschen und dafür lieber eine längere Ausbildung. Doch es werden keine Ausnahmen gemacht. Ohne die Unterstützung meiner Eltern und meiner Ausbildner hätte ich aufgeben müssen», blickt sie zurück. Doch Jasmin Schneider beisst sich durch und besteht die Lehrabschlussprüfungen mit gutem Resultat.

Festanstellung nach einem Tag Probe
Weil sie nur befristet nach ihrer Ausbildung im Betrieb übernommen wird, bewirbt sich Jasmin Schneider nach ihrer Lehre neu. Schon die fünfte Bewerbung ist ein Volltreffer: «Ich wurde zum Vorstellungsgespräch und dann zum Probearbeiten eingeladen. Bereits nach dem ersten Arbeitstag schlug mir mein Chef vor, einen Arbeitsvertrag zu machen. Ich dachte, ich hätte mich verhört», erzählt sie. «Nach ein paar Wochen habe ich an einer Sitzung meinen Vorgesetzten und dem Team von meiner Hörsehbehinderung erzählt. Sie konnten es kaum glauben, aber alle haben gut reagiert.» Heute ist Jasmin fester Bestandteil des Werkstatt-Teams.
Mit ihrem Vorgesetzten hat sie ein 80-Prozent-Pensum vereinbart – verteilt auf fünf Arbeitstage. Denn die junge Frau ermüdet wegen ihrer Hörsehbehinderung schneller als andere Mitarbeitende. „Mein Chef sagt immer, ich arbeite so schnell und gut wie eine Maschine. Aber ich bin halt doch nur ein Mensch», sagt sie lachend.