Im Zürcher Hochschul-Campus Toni-Areal wurde mit gezielten Massnahmen die Zugänglichkeit für Menschen mit Sehbehinderung verbessert. Ein ausgeklügeltes Orientierungssystem führt sehbehinderte und blinde Menschen durch das verschachtelte Gebäude. Ein Augenschein vor Ort.

Von Andrea Eschbach, Verantwortliche Medien SZBLIND

Mal übt eine Klasse Violoncello auf dem Podium in der Kaskadenhalle, mal findet in der Halle eine Diplomausstellung der Designstudenten, mal ein Apero des Museums für Gestaltung statt. Das Toni-Areal in Zürich ist ein pulsierender Ort. Rund 5000 Studierende, Dozierende und Mitarbeitende der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und zwei Departemente der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) nutzen das Gebäude, dazu kommen die Besucherinnen und Besucher der über 1000 öffentlichen Veranstaltungen und Interventionen jährlich. Ein steter Strom an Menschen, der sich durch das Bildungs- und Kulturzentrum bewegt.

Mit dem Hochschul-Campus Toni-Areal ist aus Europas ehemals grösstem Milchverarbeitungsbetrieb 2014 ein Zentrum für Kultur, Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft entstanden. EM2N Architekten haben das Areal in einen Hotspot der Kreativbranche verwandelt. Der weitläufige Campus ist ein in seinen Dimensionen einzigartiges Projekt. Erstmals sind alle Disziplinen unter einem Dach vereint: 39 Standorte der ZHdK und zwei Departemente der ZHAW fanden dort ihre neue Heimat. Zentrales Element dabei ist, dass die Hochschulen räumlich so zusammengefasst sind, dass die Zusammenarbeit über Disziplinen hinweg ermöglicht wird.

Die Infrastruktur der 1400 Unterrichtsräume, Vorlesungs-, Konzert- und Ballettsäle sowie Tonstudios und ein Kino, so lobte die Baudirektion bei der Eröffnung, entspreche dem State of the Art einer zeitgemässen Kunst- und Designausbildung.

Das Toni-Areal als Best Practice-Beispiel

Dem State of the Art entspricht nach einigen Anlaufschwierigkeiten und gezielten Ergänzungen auch die barrierefreie Gestaltung des Hauses. „Das Toni-Areal ist ein sehr interessantes Anschauungsbeispiel, sowohl in Bezug auf die umfangreiche Analyse als auch die umgesetzten Lösungen“, sagt Barbara Schaub von der Fachberatung blinden- und sehbehindertengerechtes Bauen bei der Schweizer Fachstelle Hindernisfreie Architektur. Im Toni-Areal war es ein langer Prozess, der mehrere Jahre dauerte. „Je früher eine Fachstelle beigezogen wird, desto besser kann die hindernisfreie Gestaltung in das Gesamtkonzept integriert werden“, sagt Barbara Schaub. Die Baubewilligung für das Toni-Areal war nach der Norm zum Behindertengerechten Bauen von 1988 erteilt worden. Seit 2009 definiert die Norm SIA 500 «Hindernisfreie Bauten» die Anforderungen detailliert auch aus der Sicht von Menschen mit Sehbehinderung, z.B. jene an visuelle Kontraste oder an taktile Beschriftung von Stockwerken und geschlechtergetrennten Räumen. Es sollen nicht punktuelle Sonderlösungen für motorisch oder sensoriell eingeschränkte Personen gebaut werden, sondern die gesamte gebaute Umwelt soll im Sinne eines „design for all“ für alle Menschen zugänglich und benutzbar gestaltet werden.

Im Toni-Areal wurden seit der Eröffnung verschiedene Verbesserungen betreffend der Barrierefreiheit im Bereich der Mobilität und der Sichtbarkeit umgesetzt, die laufend erweitert werden. Das Hochbauamt des Kantons Zürich, die Eigentümerin Allreal Toni AG und die Bauleitung Dorrhauer & Partner setzten sich gemeinsam für eine aufeinander abgestimmte und Massnahmen-übergreifende Implementierung ein. Für Menschen mit Sehbehinderungen wurden taktil-visuelle Leitlinien verlegt. Diese beginnen bereits an der Tramhaltestelle Toni-Areal, führen über die Treppenrampe und weiter hinein ins Gebäude zu den Haupterschliessungswegen. „Sehbehinderte und blinde Menschen gelangen so zunächst zum stets besetzten Empfang“, erklärt Marco Castellano, Leiter Raum Bau an der ZHdK. Die Leitlinien führen zudem zur Kaskadentreppe und zum Turm sowie zu den jeweiligen Liften. „Man kann jedoch nicht alle Wege kennzeichnen, da dies sonst mehr zur Verwirrung als zur Orientierung beitragen würde,“ sagt Marco Castellano. Deshalb brauchen sehbehinderte Menschen in der Regel eine Einführung mit Mobilitätstrainerinnen und -trainern, um sich danach im Gebäude selbständig bewegen zu können. Auf der Webseite können taktil-visuelle Standortpläne für den dreidimensionalen Thermodruck heruntergeladen werden. Diese werden auch für Mobilitätstrainingszwecke benutzt.

Sehbehindertengerechte Orientierung

Die Standortpläne stammen aus der Feder des Grafikbüros Bivgrafik. Die Zürcher Gestalterinnen sind auch verantwortlich, zusammen mit „Hi – Visuelle Gestaltung“, für das gesamte Signaletik- und Orientierungskonzept. Ein anspruchsvolles Projekt für ein in Grundriss und Grösse komplexes Gebäude. “ Sieben Jahre dauerte das Bauprojekt mit Entwicklung und Umsetzung der Signaletik. Über zwei Jahre wurden die taktil-visuellen Elemente geplant und werden seit 2018 Schritt für Schritt ausgeführt“, sagt Grafikerin Natalie Bringolf. Die Planung erfolgte in enger Zusammenarbeit mit der Schweizer Fachstelle Hindernisfreie Architektur. Beigezogen in den Prozess wurden O&M-Trainerinnen, aber auch der Low-Vision-Experte Fritz Buser aus Olten. Dieser legte ein umfangreiches Papier vor, das alle Hindernisse und Gefahrenpunkte für sehbehinderte Menschen aufzeigte. Eine der grössten Herausforderungen waren die verschiedenartigen Glastüren. So unterschieden sich beispielsweise automatische Türen nicht von nichtautomatischen Türen, Schiebetüren nicht von feststehenden Glasfenstern. Abhilfe schafft ein ausgeklügeltes System von unterschiedlichen Markierungen, die auf den Türen aufgebracht sind und die Bewegungsrichtung anzeigen – eine gestalterische Leistung, die Zweck und gute Form verbindet. „Wir haben dafür ein schwarz-weisses, prägnantes Streifenmuster entwickelt, das sich von den zahlreichen visuellen Reizen im Haus gut absetzt“. Zusätzlich informiert an den automatischen Türen ein Halbkreis am Boden über die Öffnungsrichtung, Aufmerksamkeitsfelder helfen, die Türbedientaster an der Wand zu finden. In den Treppenhäusern informieren Relief- und Braillebeschriftungen an den Handläufen, in welchem Geschoss man sich befindet. In den Haupttreppenhäusern sind alle Treppenkanten kontrastreich abgesetzt, die Leitlinien am Boden führen direkt zum Rufknopf für den Lift. In den Nebentreppenhäusern wurden aus Kostengründen die Treppen wie an Bahnhöfen ausgeführt, mit Markierung der obersten Stufen und Baggerzähnen auf den Podesten.

Sämtliche öffentlichen Veranstaltungsräume, wichtige Anlaufstellen, allgemeine Unterrichtsräume und Hörsäle sowie Toiletten und Garderoben sind taktil und in Brailleschrift angeschrieben. An den Liften informiert eine schwarze Tafel mit weissen Buchstaben, Brailleschrift und taktilem Piktogramm, um welchen Lift in welchem Geschoss es sich handelt. Die eigens entwickelten Tafeln finden sich auch – immer auf einheitlicher Höhe – neben den Türen der Toiletten. „Die jüngsten Exemplare wurden gerade angebracht und informieren, dass dies eine All Gender-Toilette ist“, sagt Marco Castellano.

Das Toni-Areal ist ein beispielhaftes Projekt dafür, wie hindernisfreies Bauen aussehen kann, wenn alle Akteure zusammenarbeiten. Gutes Design ist Design für alle – das zeigt der Campus aufs Schönste auf.