Braille-Tipp

In den USA sind praktisch alle Bücher des Altphilologen Daniel Mendelsohn zu Bestsellern geworden. Die Begeisterung für sein Thema und sein Humor wurden selbst auf Youtube zum Hit. Drei Stränge überkreuzen sich in seinem neuen Buch. Erstens hält Mendelsohn ein Seminar über Homers „Odyssee“ ab. Zweitens nimmt sein damals 81 Jahre alter Vater Jay daran teil, mit einer Gruppe Studenten, die seine Enkel sein könnten. Drittens unternehmen Jay und Daniel Mendelsohn nach dem Seminar zusammen eine zehntägige Schiffsreise im Mittelmeer, auf den Spuren der Odyssee. Die Odyssee lehrt allerdings, „Enttäuschungen zu ertragen“ und „das Unerwartete zu erwarten.“ Unerwartet stirbt Jay nach der Rückkehr und so wurde „Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich“ eine liebevolle, rührende und auch lustige Hommage an einen Vater, den der Sohn erst während der Odyssee näher kennenlernte.

  • Mendelsohn, Daniel: Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich

            München: Siedler, 2019. 5 Bd. 578 S. Ausleihe: BG 32205

Hörbuch-Tipps

Der Australier Peter Carey ist einer der wenigen Schriftsteller, die den renommierten britischen Booker Preis gleich zweimal gewonnen haben. Sein neuer Roman «Das schnellste Rennen ihres Lebens» handelt vom Autonarren Titch Bobs, der mit seiner Frau Irene und seinem Nachbarn Willie Bachhuber an einer Rallye quer durch Australien teilnehmen will. Willie glaubt, Sohn eines deutschstämmigen Pfarrers zu sein. Da er gut Karten lesen kann, ist er der perfekte Beifahrer. Bald stellt sich aber heraus, dass er ein halber Aborigines ist und sogleich setzt die behördliche Willkür ein. Deutlich zeigt Carey die rassistischen Abgründe der australischen Gesellschaft, verbindet das ernste Thema jedoch auch souverän mit manch slapstickhafter Komik.

Bald scheint klar zu sein, worauf der neue Roman von Simone Lappert «Der Sprung» hinausläuft. Eine junge Frau in Gärtnerkleidung steht auf einem Hausdach und weigert sich, runterzukommen. Sie schimpft und schmeisst Ziegel auf die Polizei und die Gaffer unter ihr auf der Strasse. Ihr Sprung scheint absehbar. «Der Sprung» aber ist mehr als das, er zeigt sich auch im Zeitgefüge, in den Köpfen der Menschen, die die Frau kennen, ihr nahestehen. Er zeigt sich als Riss in den Lebensläufen vieler Figuren, die hier zusammenfinden. Die Frau auf dem Dach wird zum Katalysator einer sprunghaften Veränderung im Alltag. Der feingezeichnete Roman gelangte letztes Jahr auf die Shortliste des Schweizer Buchpreises.

Ohne Zweifel ist Robert Walser einer der meistbewundertsten und widersprüchlichsten Dichter der Moderne. Kein anderer Schriftsteller verkörperte wie Walser den Widerspruch und kein anderer thematisierte wie er diesen Widerspruch, sowohl inhaltlich als auch formal, so, dass sich aufeinander folgende Sätze in ihrer Bedeutung gegenseitig aufheben, oder dass sich vermeintlich eindeutige Begriffe ins Gegenteil auflösen. Robert Walser war ein Flaneur. Überall fand er die Sujets, die seine Fabulierlust weckten. «Robert Walsers Wälder» ist eine kleine Anthologie, die diese träumerische, bezaubernde und auch beunruhigende Welt in Erinnerung ruft.

  • Carey, Peter: Das schnellste Rennen ihres Lebens

Frankfurt am Main: S. FISCHER, 2019. Ausleihe: DS 48641

  • Lappert, Simone: Der Sprung

Zürich: Diogenes, 2019. Ausleihe: DS 48643

  • Robert Walsers Wälder

Berlin: Insel Verlag, 2019. Ausleihe: DS 48629