Wie verlieben sich blinde Menschen eigentlich? So oder ähnlich werden blinde Menschen immer mal wieder von normalsehenden Zeitgenossen gefragt. Dabei schwingt die Prämisse mit, dass zuerst einmal über Blicke visuell sondiert wird, ob zwei Personen überhaupt miteinander in Kontakt treten wollen oder nicht – oder nur die eine Seite.

Von Nina Hug

Ein Paar sitzt an einem Weiher und schaut aufs Wasser. Er hat einen Weissen Stock neben sich.
Menschen mit Sehbehinderung verlieben sich grundsätzlich nicht anders als sehende Menschen. / Foto: Daniel Winkler

In den letzten Monaten erschienen mehrere Berichte in unterschiedlichen Medien, die gefragt haben, wie blinde oder sehbehinderte Menschen ihren Partner oder ihre Partnerin kennen lernen. Das allgemeine Fazit lautet: es läuft gar nicht so anders als bei sehenden Menschen, obschon sich die Kontaktaufnahme vielleicht etwas schwieriger gestaltet. Tactuel lässt hier einzelne betroffene Menschen von ihren Erfahrungen sprechen:

„Die optisch geprägte Phase vor dem eigentlichen Beginn einer Beziehungsaufnahme entfällt bei blinden Personen naturgemäss weitgehend – ein eher neutrales Setting wie bei einem Fest oder an einer Bar sind daher aus meiner Sicht weniger günstige Gelegenheiten, damit sich Menschen ohne Sehsinn verlieben könnten. Deutlich bessere Gelegenheiten bieten direkte zwischenmenschliche Kontakte, zum Beispiel bei der Ausübung eines Hobbies oder beim Sport. Auch gerate ich im Alltag immer häufiger in Situationen, wo mich jemand anspricht, den/die ich von mir aus nicht hätte aktiv ansprechen können. In diesem Moment bieten für mich die Stimme sowie die Art des Sprechens und Verhaltens Punkte, bei welchen sich Sympathie einstellen kann. Meine Erstkontakte mit anderen Einzelpersonen werden erfreulicherweise oft durch deren Hilfeangebot geprägt. Muss ich mich dabei irgendwohin führen lassen, kommt als nächster Checkpoint für Sympathie/Antipathie ganz natürlich mehr Körperkontakt hinzu.

Nicht selten kommen in solchen Situationen erfahrungsgemäss bald einmal Gespräche auf, welche den üblichen Smalltalk beim kennenlernen übersteigen und ganz natürlich zu tieferen Fragen des Lebens überführen – finden einander dann zwei Menschen interessant, kann es mit der Zeit zu einer Romance kommen“.
Gerd, 63 Jahre, taubblind.

„Online-Dating ist für mich als blinde Person natürlich einfacher. Ich lerne meine Dates über Tinder, Lovoo oder Parship kennen. Bei Tinder wische ich einfach neun, zehn Mal nach rechts und irgendwann kommt dann ein Match. Da habe ich dann anfangs wirklich gar kein Ausschlusskriterium. Manchmal wischt ein Kumpel für mich und beschreibt mir, wie die Frau aussieht. Wenn ich sagen würde, dass mir das Aussehen der Frau egal ist, würde ich lügen. Ich stehe zum Beispiel auf sportliche Frauen mit langen Haaren. Auch wenn ich es nicht sehe, kann ich das ja fühlen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, erst nach zwei Tagen Chatten zu sagen, dass ich blind bin. Mit dem Hinweis: „Bevor du dich unsterblich in mich verliebst, sollte ich dir vielleicht noch etwas erzählen.“ Würde ich es sofort sagen, macht sich die Frau ein Bild über mich, ohne mir eine Chance zu geben. Aber wenn wir schon zwei Tage geschrieben haben, kann die Frau einschätzen, dass ich ein cooler Typ bin. Und dann kommt die Erblindung eher wie ein Special Effect noch hinzu. Sie ist aber nicht der erste Eindruck über mich.“
Mo, 27 Jahre, kommt aus Zürich, von Geburt an blind

„Die meisten Datingseiten sind nicht unbedingt barrierefrei gestaltet. Deswegen suche ich Partner in Facebook-Gruppen wie „Singles mit Handicap“ oder „Singles aus meiner Stadt“. Ich sage dann auch immer direkt, dass ich blind bin. Der andere muss ja wissen, wo er dran ist. Früher habe ich das erst kurz vor einem Date erzählt. Dann hat der Typ sich nicht mehr gemeldet. Daraus habe ich gelernt. Jetzt spiele ich von Anfang an mit offenen Karten.

Das Aussehen ist mir erst einmal egal. Ich achte darauf, wie sich der Typ beim Chatten ausdrückt. Ich bestehe auch schnell darauf, die Stimme zu hören. Das sagt einiges über die Person aus. Ich kann an der Stimme das Alter heraushören und ob er groß, klein, schlank oder unsportlich ist. Das merke ich am Atmen. Außerdem muss die Stimme sich für mich attraktiv anhören. Erst nachdem wir ein paar Tage gechattet haben, möchte ich wissen, ob der Mann so aussieht, wie ich es mir vorstelle. Nur weil ich nicht sehe, heißt es ja nicht, dass ich keine Wunschvorstellungen von einem Mann habe. Ich möchte keinen Typen, der extrem schlank ist. Um das zu wissen, habe ich eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der Sehende beschreiben, wie ein Foto aussieht.

Beim ersten Date gehe ich gerne ins Kino. Ja, ich weiß, als Blinde ins Kino zu gehen, klingt erst einmal komisch. Aber ich höre ja, wie der Film verläuft. Und manchmal frage ich dann mein Date, ob er mir bestimmte Szenen beschreiben kann. Das geht immer ganz gut. Die Typen gewöhnen sich auch schnell an mein Handicap.“
Tamara, 24 Jahre, seit Geburt blind

„Ich war auf FriendScout24 und bin in Singlegruppen auf Facebook aktiv, um Partnerinnen zu finden. Da sage ich auch direkt, dass ich blind bin. Ich mach da kein Staatsgeheimnis raus. Am Anfang vom Chatten kommt immer die übliche Fragestunde: Wie bedienst du denn dein Handy? Wie lange bist du schon blind? Das sind Standardfragen. Die bin ich mehr als gewöhnt. Aber nach dem dritten Mal Ausgehen wird es wichtigere Themen geben als das. Ich brauche beim Ausgehen ein bisschen mehr Unterstützung als normale Menschen. Da lernt man mit der Zeit mit umzugehen.

Bei meinen Dates verabrede ich mich fast immer an Bushaltestellen. Da weiß ich den Weg und man kann sich nicht verfehlen. Bei neuen Orten, die ich noch nicht kenne, muss die Frau mich zur Haltestelle zurückbringen. Oft sind die Frauen am Anfang unsicher, wenn sie mich führen. Das ergibt sich aber nach der Zeit.“
Axel, 50 Jahre, sehbehindert

Zitiert aus: szblind.ch und Vice.com