Personen, die vom Usher-Syndrom betroffen sind und Beratung suchen, können sich unter anderem an die Fachstelle für hörsehbehinderte Menschen des SZBLIND wenden. Im Zürcher Büro arbeitet Regula Stoll. Sie spricht über die Herausforderungen von Betroffenen und deren Umfeld und über die Wichtigkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation.

von Michel Bossart

Das Bild zeigt die Hände einer Person auf einer Braillezeile.
Menschen mit Usher Syndrom sind auf Grund des eingeschränkten Seh- und Hörsinns auf taktile Informationen angewiesen. / Bild: SZBLIND

Ein Usher-Syndrom bedeutet immer eine Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit mit zusätzlicher Sehbeeinträchtigung. Charakteristische Sehbeeinträchtigungen sind: Nachtblindheit, Blendeempfindlichkeit, Gesichtsfeldeinschränkung und Gleichgewichtsstörungen. Das Sehvermögen nimmt dabei fortschreitend ab und löst bei Betroffenen und deren Angehörigen oft Sorgen und Ängste aus. Regula Stoll arbeitet beim SZBLIND auf der Fachstelle für hörsehbehinderte Menschen. Seit über 15 Jahren hilft sie betroffenen Personen dabei, ihren Alltag möglichst selbstständig, selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu bewältigen. Sie sagt: «Wir arbeiten immer im Tandem. Das heisst, bei Erstgesprächen ist jeweils auch eine Fachperson Rehabilitation dabei.» In diesen Gesprächen gehe es darum, sich kennenzulernen und zu hören: Welche Bedürfnisse hat die Person? Was beschäftigt sie? Gibt es Fragen? «Manchmal sind bei solchen Gesprächen auch Bezugspersonen wie Kinder, Partner oder Eltern dabei. Das ist gut so, denn diese Bezugspersonen haben oft ebenfalls Fragen und sind im Zusammenleben mit der vom Usher-Syndrom betroffenen Person auch gefordert», sagt Stoll und erklärt: «Personen mit dem Usher-Syndrom sind mit der Situation konfrontiert, dass ihr Sehvermögen im Lauf des Lebens bis zu einem gewissen Grad abnimmt. Das stellt sie vor verschiedene Herausforderungen, zum Beispiel psychologischer Natur oder im Beruf.» Geht es um das berufliche Umfeld, klärt Stoll zum Beispiel ab, ob es mehr Unterstützung oder gar einen Assistenzbeitrag braucht. Vielleicht ist auch eine Beratung bezüglich Hilfsmittel – zum Beispiel zu einem Langstocktraining oder zu Hilfsmitteln wie Lesegeräten oder vergrössernden Hilfsmitteln sowie Informationen zu Blindenführhunden ein Thema.
Doch da ist die psychologische Seite: Wie gehen eine betroffene Person und ihr näheres Umfeld mit der fortschreitenden Sehbeeinträchtigung um? Wie handhabt man die Ungewissheit, wann wieder ein Schub kommt? Wie verunsichernd ist das Unwissen, ob man ganz erblinden wird oder nicht?

Psychische Belastung für beide
Stoll erzählt von einem Paar, das gelernt hatte, mit der Schwerhörigkeit des Mannes zu leben. Doch mit der zunehmenden Sehbehinderung des Ehemannes sahen sich die beiden Partner vor neue Herausforderungen gestellt. Durch die Abnahme des Sehvermögens des Ehemanns, konnte dieser nicht mehr allein aus der Wohnung gehen, musste seine Hobbys aufgeben und konnte seine Freundschaften nicht mehr pflegen. Dadurch geriet er in eine schwere Depression.
Aus der SELODY-Studie, die von 2019 bis 2021 im Auftrag von SZBLIND von der Universität Zürich und der Fachhochschule Westschweiz durchgeführt worden war, ist bekannt, dass Sinnesbehinderungen vermehrt auch das Umfeld, die Mitmenschen betrifft. Nebst der grundsätzlichen Sorge um das Wohlergehen ihres Mannes und die Auswirkungen seiner Stimmungslagen auf das Familienleben, fühlte sich die Partnerin nämlich ebenfalls eingeschränkt: Auch sie konnte ihre gewohnten Aktivitäten und Freundschaften nicht mehr pflegen. Sie litt unter der bedrückenden Situation und wusste nicht, wie sie ihrem Mann helfen konnte.
«In einem Beratungsgespräch schilderten die Ehepartner uns ihre Schwierigkeiten, ihre Gefühle und ihren starken Willen, füreinander da zu sein», erzählt Stoll. Sie fährt fort: «Der Ehemann wollte sich nicht mehr so isoliert, untätig und nutzlos fühlen. Die Ehefrau wollte mehr Freiraum.» Ihr würde es nichts ausmachen, die Alltagsaufgaben zu übernehmen, aber sie leide unter dem Gefühl, vollumfänglich für die Aktivitäten, die sozialen Kontakte und somit auch für das psychische Gleichgewicht ihres Mannes verantwortlich zu sein.
«Es tat diesem Paar gut, mit jemandem reden zu können. Gemeinsam konnten wir einige Lösungen erarbeiten», sagt Stoll. So komme nun zum Beispiel eine erfahrene Psychologin zur Unterstützung des Paares auf Hausbesuche. Freunde und Freiwillige Mitarbeitende begleiten den Mann regelmässig zu Spaziergängen und seinen Hobbies. Auch nehme er an Anlässen von «Bildung und Freizeit » des SZBLIND teil. «Und seine Frau kann die freigewordene Zeit für sich nutzen und fühlt sich auch psychisch entlastet», erzählt Stoll.
Was für Personen mit dem Usher-Syndrom gilt, gilt für alle von einer Höhrsehbehinderung oder Taubblindheit betroffenen Personen: Die Beeinträchtigungen haben Einschränkungen zur Folge. Diese betreffen die zwischenmenschliche Kommunikation, den Zugang zu Informationen sowie Einschränkungen in der Orientierung und Mobilität. Stoll sagt: «So müssen zum Beispiel die Alltagsaufgaben neu verteilt werden und soziale Kontakte und Aktivitäten angepasst werden. Vieles ist komplizierter und benötigt mehr Zeit. Beide Partner müssen entscheiden, was wirklich wichtig ist, damit sie nicht in einen Kreislauf aus Überforderung und Erschöpfung geraten.»
Doch wenn es gelinge, die Herausforderung der zwischenmenschlichen Kommunikation anzunehmen, so werde diese oft klarer und bewusster angewandt und könne für die Beziehung sogar ein Gewinn sein, schliesst Stoll.