Lia Häfliger sitzt vor ihrem Computer und schreibt auf ihrer Braillezeile.
Lia Häfliger schreibt im Unterricht mit Braillezeile am PC. / Bild: Sonnenberg Baar

Jacqueline Zehnder ist Lehrperson in Freienbach im Kanton Schwyz. In die von ihr unterrichtete sechste Klasse geht auch ein Kind mit einer Sehbehinderung. Tactuel wollte im Gespräch mit ihr wissen, wie sie als Lehrperson auf die besonderen Bedürfnisse der Schülerin vorbereitet wurde und wie die Zusammenarbeit zwischen B&U Betreuerin, Eltern und ihr funktioniert.

von Nina Hug

tactuel: hatten Sie vor der Übernahme der Klasse schon Berührungspunkte mit dem Thema Sehbehinderung?

Jacqueline Zehnder: In meiner bisherigen schulischen Karriere konnte ich noch keine Erfahrungen mit sehbehinderten Kindern sammeln. Eine gewisse Sensibilität brachte ich vielleicht mit, weil meine Grossmutter mit zunehmendem Alter fast erblindet ist.

tactuel: Wie haben Sie sich auf die Übernahme der Schülerin vorbereitet?

Jacqueline Zehnder: Da ich in einem kleineren Schulhaus arbeite, wusste ich schon früh, dass die Schülerin zu mir in die Klasse kommen würde, und kannte sie schon ein wenig. Lehrpersonen, welche schon mit dem fraglichen Kind gearbeitet hatten, teilten ihre Erfahrungen mit mir, wovon ich stark profitieren konnte. In der konkreten Vorbereitung fand dann ein Gespräch mit dem abgebenden Klassenlehrer, dem ebenfalls das Kind abgebenden Betreuer vom SONNENBERG in Baar, mit der neuen Betreuerin vom SONNENBERG sowie den Kindeseltern und mir statt. Da konnte ich alle meine ungeklärten Fragen stellen.

Lia Häfliger überquert mit dem weissen Stock einen Fussgängerstreifen.
Zebrastreifen und Leitlinien helfen, den Schulweg selbständig zu bewältigen. / Bild: Sonnenberg Baar

tactuel: Welche Fragen hatten Sie an die Eltern und die betreuenden Fachpersonen?

Ich bin offen an das Gespräch gegangen und habe mir zunächst berichten lassen, was sie mir mitgeben möchten für den Umgang mit der Schülerin. Der abgebende Klassenlehrer hat von seinen Erfahrungen berichtet. Das war viel Wert. Und der Betreuer vom SONNENBERG hatte schon grosse Vorarbeit geleistet. Er hatte zum Beispiel mit der Schülerin alle Lehrmittel vom kommenden Schuljahr angeschaut und beurteilt, ob sie Vergrösserungen braucht oder nicht. Die Eltern und Fachpersonen haben mir dann zum Beispiel mitgegeben, dass es hilfreich wäre, wenn ich die Arbeitsblätter für die Schülerin jeweils auf A3 kopiere. Und ich bin über die Hilfsmittel, die die Schülerin einsetzt, informiert worden.

tactuel: Haben die Eltern auch Wünsche an Sie herangetragen?

Jacqueline Zehnder: Auf Wunsch der Eltern hat die Betreuerin vom SONNENBERG eine Sensibilisierungssequenz in meiner Klasse durchgeführt. Obwohl die Klasse die Schülerin schon länger kannte und auch über ihre Sehbeeinträchtigung informiert war, empfand ich diese Stunden als sehr wertvoll. Es war wichtig für die Klasse zu erfahren, was für Herausforderungen sehbeeinträchtigte Menschen im Alltag meistern müssen und hat sicherlich Verständnis in den Kindern geweckt. Fragen konnten geklärt werden und ausserdem haben ich und die Kinder auch sehr bewundert, was das Kind trotz erschwerter Umstände im Schulalltag leisten kann.

tactuel: gibt es Themen, die für das betroffene Kind schwierig sind im integrativen Unterricht?

Jacqueline Zehnder: Eine Herausforderung sehe ich hinsichtlich des Einsatzes von Hilfsmitteln im schulischen Alltag. Die betroffene Schülerin kommt scheinbar problemlos ohne diese zurecht und leistet Erstaunliches. Es ist aber so, dass diese Leistungen (wie zum Beispiel das Erkennen von kleinen Symbolen auf einer Landkarte) sie eine viel grössere Anstrengung kosten als ihre KlassenkameradInnen. Der Einsatz von vergrösserten Kopien, Lupen oder einem Bildschirmlesegerät könnte hier helfen Kräfte zu sparen. Als Klassenlehrperson ist es nicht immer einfach zu entscheiden, wann man das Kind zum Einsatz solcher Hilfsmittel auffordern und wann man ihm die Entscheidung selbst überlassen soll. Die Schülerin zieht es oft vor, auf diese Hilfsmittel zu verzichten.

tactuel: wie gehen Sie mit dem Wunsch des Kindes um?

Jacqueline Zehnder: Die Eltern wünschen sich einen vermehrten Einsatz der Hilfsmittel im Unterricht. Die Meinung des Kindes zu respektieren ist mir aber ebenfalls wichtig und daher versuche ich, sie nicht zu stark zum Einsatz der Hilfsmittel zu drängen. Wo möglich, versuche ich durch vergrösserte Kopien zu unterstützen. Bei Aufgaben, welche ein hohes Mass an Genauigkeit erfordern, beispielsweise das Zeichnen von Figuren in der Geometrie, empfehle ich ihr, das Bildschirmlesegerät einzusetzen. So klappt es eigentlich ganz gut.

tactuel: Wie viel mehr Aufwand ist es für Sie, eine Schülerin mit Sehbehinderung zu unterrichten?

Kinder spielen auf einem Spielplatz in einem Sandkasten. Eine Lehrerin zeigt einem Kind Gegenstände.
Beim Spielen draussen muss die Lehrperson die Bedürfnisse sehbehinderter Kinder berücksichtigen. / Bild: Blindenschule Zollikofen

Jacqueline Zehnder: Die heutige Technik unterstützt das integrative Unterrichten sehr. Zum Beispiel hat jedes Kind ein iPad und die betroffene Schülerin hat ein anderes Modell, welches besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Sie kann sich damit vieles selbst vergrössern.

Ein wirklicher Mehraufwand entsteht in der Vorbereitung nicht. Wichtig ist vor allem, in den verschiedensten, vielleicht nicht alltäglichen Situationen, an ihre Bedürfnisse zu denken. Bei einem Abschreibetext soll zum Beispiel auf eine grosse Schrift und auf guten Kontrast geachtet und am besten der Text zusätzlich diktiert werden. Bei der Planung einer Schulreise muss man berücksichtigen, dass für ein sehbeeinträchtigtes Kind andere Gefahren lauern könnten, als für den Rest der Klasse. Im Werkunterricht sieht es ähnlich aus. Toll ist, dass die Schülerin sehr gut selbst einschätzen kann, welche Arbeiten für sie möglich sind und dass sie sich bei mir meldet, wenn sie Unterstützung braucht.

tactuel: Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit im Dreieck zwischen Schule, Eltern und sehbehindertenspezifischer Fachperson ein?

Jacqueline Zehnder: Die Zusammenarbeit mit dem SONNENBERG schätze ich sehr. Wir sind wöchentlich im Austausch. Im November fanden beispielsweise Elterngespräche statt, wo der Übertritt in die Oberstufe besprochen wurde. Die B&U Betreuerin meiner Schülerin war sofort bereit, ebenfalls am Gespräch teilzunehmen, um nötige Abklärungen mit der neuen Schule gleich selbst in die Hand zu nehmen. Da die Kinder für die Oberstufe an zwei verschiedenen Standorten ausserhalb des Dorfes Freienbach eingeteilt werden, wird der Schulweg ab kommendem Sommer länger sein. Die Eltern machen sich natürlich viele Gedanken, wie das für die Tochter sein wird. Ich bin sehr froh, dass die Betreuerin vom SONNENBERG hier Unterstützung bietet und den Übergang in die Oberstufe für das Kind bestmöglich vorbereitet.

tactuel: Würden Sie sich noch zusätzliche Sensibilisierung der Lehrerinnen und Lehrer an den Regelschulen wünschen?

Jacqueline Zehnder: Natürlich ist es wünschenswert, Lehrpersonen auf die verschiedensten Arten von besonderen Bedürfnissen zu sensibilisieren. Toll wäre, wenn im Rahmen der Ausbildung zur Lehrperson in diesem Bereich bereits ein theoretisches Wissen und bestenfalls einige reale Erfahrungen gesammelt werden könnten. Ein Workshop, wie er mit meiner Klasse zur Sensibilisierung durchgeführt wurde, führt auch bei Erwachsenen zu mehr Verständnis. Solche praktischen Erfahrungen bleiben einem besser und länger erhalten als ein Kapitel aus einem Lehrbuch.