Aussenansicht des Eingangs SONNENBERG, Heilpädagogisches Schul- und Beratungszentrum.
Im Sonnenberg Baar wird ein neues Weiterbildungsmodell angewendet.
Bild: SONNENBERG BAAR

Im Heilpädagogischen Schul- und Beratungszentrum Sonnenberg haben tagtäglich viele Betreuungs- und Lehrpersonen mit sehbeeinträchtigten Kindern und Jugendlichen zu tun. Damit sie auf diese anspruchsvolle Arbeit optimal vorbereitet werden können, wurde ein neues Weiterbildungs-modell, ein sogenanntes Levelmodell eingeführt. Lucia Furrer-Odermatt ist Leiterin des Reha-Teams und erklärt die Hintergründe.

Von Michel Bossart

Der Sonnenberg in Baar ist eine der grössten sonderpädagogischen Dienstleistungsorganisation für Menschen mit Sehbehinderung, Blindheit oder zusätzlicher Mehrfachbeeinträchtigung in der Schweiz. Sie bietet Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit besonderem Bildungsund Unterstützungsbedarf ein vielfältiges Angebot an Dienstleistungen wie Abklärung, Schulung, Betreuung, Pflege, Beratung, Therapie, Begleitung oder Beschäftigung. Hierzu beschäftigt der Sonnenberg 280 Mitarbeitende. Das Ziel des Sonnenberg ist es, dass alle Mitarbeitenden eine spezifische Weiterbildung im Hinblick auf die Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderung erhalten. Denn nicht alle Angestellten bringen dieses sehr spezifische Wissen bereits bei Anstellungsbeginn mit.

Mit Reha durch den Alltag
Die Rehabilitationsabteilung des Sonnenbergs hilft jungen Menschen dabei, die durch die Sehbeeinträchtigung bedingten Einschränkungen zu kompensieren, damit sie ein möglichst selbständiges und sicheres Leben gestalten können. Lucia Furrer-Odermatt leitet das Reha-Team und sagt: «Reha ist ein etwas verwirrender Name, denn er trifft eher auf Menschen zu, die einmal sehend waren und dann durch eine Krankheit oder ein Ereignis in diesen neuen Zustand mit einer Sehbeeinträchtigung gekommen sind. Viele unserer Kinder sind aber geburtsbeeinträchtigt. Das abschauende Lernen ist erschwert oder unmöglich. Die Kinder müssen alle Handlungen – seien sie noch so alltäglich – minuziös erfahren und erarbeiten.» Weil die Kinder nie sehend waren, setze das eine andere Art von Beschulung voraus und sei auch für die Mitarbeitenden ein anderes Arbeiten. «So ist es zum Beispiel wichtig, dass alle, die mit dem betroffenen Kind arbeiten, dies auf die gleiche Art und Weise tun. Sonst verwirren wir das Kind mehr, als dass wir es auf die Herausforderungen des Lebens vorbereiten», gibt Furrer-Odermatt zu bedenken.
Alle Betreuungspersonen – seien es Lehrpersonen oder zum Beispiel Sozialpädagoginnen oder Sozialpädagogen – haben in ihrer Erstausbildung nicht unbedingt so eng mit Sehbeeinträchtigten gearbeitet und müssen darum im Hinblick auf den Schwerpunkt «Sehen» geschult werden. Denn einem sehenden Kind kann man ohne weiters sagen: «Geh und hol den Apfel dort auf dem Tisch» und das Kind versteht, was man von ihm will. Furrer- Odermatt erklärt: «Für ein sehbeeinträchtigtes Kind ist eine solche Anweisung eine Herausforderung. Man muss mit ihm erarbeiten, wie es sich von A nach B bewegen kann, wie sich ein Apfel anfühlt und so weiter.»

Neues Konzept wird erprobt
Damit sich alle Lehr- und Betreuungspersonen auf die besonderen Herausforderungen im Umgang mit sehbeeinträchtigten Kindern optimal vorbereiten können, erprobt der Sonnenberg seit diesem Schuljahr ein neues internes Weiterbildungskonzept. «Natürlich wurden unsere Mitarbeitenden schon vorher mit Konzept geschult», lacht Furrer-Odermatt. Weil es aber nicht auf Papier festgehalten worden war, beschloss die Leitung das nun nachzuholen und zu präzisieren, um so der Ausbildung eine klare, einheitliche und zeitgemässe Struktur zu geben. Zurzeit werde das neue Konzept in der Praxis erprobt, und geschaut, ob die Theorie hält, was sie verspricht. Bestimmt gebe es nach dieser Praxiserfahrung noch einige Anpassungen, meint Furrer-Odermatt. Doch um was geht es denn genau?

Fünf Bereiche, ein Levelmodell
Kinder und Jugendliche werden im Sonnenberg in fünf Bereichen geschult: – Blindenschrift (Braille)
– Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT)
– Lebenspraktische Fähigkeiten (LPF)
– Low Vision (LV)
– Orientierung und Mobilität (O+M)

Im neu eingeführten Levelmodell werden auf Stufe 0 alle Mitarbeitenden des Sonnenbergs auf Begegnungen und den Umgang mit sehbeeinträchtigten Kindern geschult und sensibilisiert. Diese Weiterbildung ist obligatorisch und dauert zwei Stunden. Auf Level 1 werden alle neuen Lehr- und Betreuungspersonen, die im konkreten Arbeitsfeld mit Sehbeeinträchtigten zu tun haben, in den fünf oben genannten Reha-Fachgebieten weitergebildet. «Dabei ist es wichtig, dass der erste Teil der Ausbildung vor dem Schulstart nach den Sommerferien stattfindet», sagt Furrer-Odermatt. Der zweite Teil erfolge dann im zweiten Semester. Ziel sei nämlich, dass alle Mitarbeitenden im ersten Anstellungsjahr Level 0 und Level 1 abgeschlossen haben. Ab dem zweiten Anstellungsjahr – oder wenn sinnvoll – kommt Level 2 dran: Alle Mitarbeitenden erhalten in den fünf Reha-Fachthemen eine Vertiefung, abgestimmt auf ihr Wirkungsfeld. «Dabei wird besonders grossen Wert auf die Selbsterfahrung gelegt. Es geht darum, die Bedürfnisse von sehbeeinträchtigten Menschen ganzheitlich zu verstehen», erklärt Furrer-Odermatt. Die insgesamt acht Ausbildungstage auf Stufe 2 finden in den Bereichen Low Vision und LPF (je drei Tage) und O+M (zwei Tage) statt. «Ob acht Ausbildungstage auf Level 2 ausreichend sind oder angepasst werden müssen, wird die Erfahrung zeigen», sagt Furrer-Odermatt.
Weiterbildungstage in ICT und Braille kommen für diejenigen Mitarbeitenden hinzu, für die diese Fachkenntnisse in ihrem Berufsalltag wichtig sind, wie Klassenlehrpersonen und Assistenzen. Bei Level 3 handelt es sich dann um eine eidgenössische Ausbildung zur Rehabilitations-fachkraft für sehbehinderte und blinde Menschen im entsprechenden Vertiefungsgebiet (LPF, LV oder O+M). Diese Ausbildung muss extern absolviert werden. Verantwortliche für die Ausbildung von Rehabilitations-fachkräften aus der Schweiz (SZBLIND), Österreich (Odilien-Institut, Graz) und Deutschland (IRIS, Hamburg und blista, Marburg) haben in den vergangenen Jahren intensiv daran gearbeitet, gemeinsame Curricula und Konzepte für eine berufsbegleitende Qualifizierung von Rehabilitations-fachkräften zu entwickeln und aufeinander abzustimmen. Seit 2017 besteht damit ein länderübergreifendes Weiterbildungskonzept für den deutsch-sprachigen Raum. Die gemeinsam entwickelten Curricula gewähren zusätzlich einen länderübergreifenden Standard in der Qualifizierung. «Level 3 ist für Personen gedacht, die langfristig mit sehbeeinträchtigten Menschen arbeiten werden», sagt Furrer-Odermatt und fügt an: «Mit dieser Spezialisierung kann man dann auch in einer Beratungsstelle für Betroffene arbeiten.»