Lebenskämpfe mit Emotionen

Von Valentin Arens

Das Elena-Ferrante-Fieber hat doch noch den deutschen Sprachraum erfasst. Spät, wenn man bedenkt, dass die internationale Aufmerksamkeit schon vor Jahren ein Ausmass erreicht hat, die ihresgleichen sucht. Der riesige Hype um sie entwickelte sich wohl auch deshalb, weil sie ihre wahre Identität partout nicht preisgeben will. Nun ist «Meine geniale Freundin», der erste Band der umjubelten Neapeltetralogie erschienen, die anderen sollen in Kürze folgen. Die Neapelsaga handelt von der lebenslangen Freundschaft zweier Frauen, beginnend in ihrer Kindheit und Jugend als rivalisierende, zwischen Liebeleien und Eifersucht oszillierende Mädchen. Beide kämpfen um Unabhängigkeit und um Gleichberechtigung in einer Zeit männlich dominierter, sozialer Repression.

In ihrem 2002 erschienen Roman «Tage des Verlassenwerdens» schildert Ferrante detailgenau die ins Wahnhafte drehenden Gedanken einer Frau, die völlig überraschend von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen wurde. Der Roman entwickelt eine soghafte Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Die nur schwer erträgliche Geschichte aber führt in ein wunderbares Happy End.

Der Schriftsteller Francis Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda waren das amerikanische Vorzeigepaar der 1920er Jahre. Sie waren Königin und König des Jazz Age, Stars der Roaring Twenties. Das Paar lebte ein intensives Jetset-Dasein bis zum grossen Börsencrash. Danach erlitt sie einen mentalen Zusammenbruch, während er sich in Hollywood als Drehbuchautor verdingen musste. An diesem Tiefpunkt seiner Karriere setzt Stuart O’Nans biografischer Roman «Westlich des Sunset» ein. Die Hommage an den grossen Kollegen zeigt dessen bitteren Abstieg während der Glanzzeit Hollywoods, zeigt mitfühlend einen erschöpften aber nicht nachlassenden Textarbeiter.

  • Ferrante, Elena: Neapolitanische Saga [1]: Meine geniale Freundin. Berlin: Audible, 2016. Ausleihe: DS 33943
  • Ferrante, Elena: Tage des Verlassenwerdens. München: List, 2003. Ausleihe: DS 34259
  • O’Nan, Stuart: Westlich des Sunset. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2016. Ausleihe: DS 34565

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Liebe inmitten mystischer Religiosität

Die streitbare türkische Bestsellerautorin Elif Shafak hat mit „Die vierzig Geheimnisse der Liebe“ einen erstaunlich erbaulichen Roman geschrieben. Im Angesicht der prekären Verhältnisse in ihrem Land, stellt sie dem reaktionären Islam der heutigen, konservativen Regierung den sanften, toleranten Islam des Sufismus gegenüber, der in der Türkei eine grosse Tradition hat. Eingepackt ist diese brisante Aussage in eine wohl absichtlich nahe am Kitsch gelegene Geschichte um eine betrogene Ehefrau, der ein Manuskript eines Romans in die Hände fällt mit dem Titel „Süsse Blasphemie“. Darin wird die berühmte Liebesgeschichte aus dem 13. Jahrhundert nacherzählt zwischen dem Prediger Rumi und dem jungen Derwisch Schams. Die persönliche Begegnung mit dem Verfasser des Werks führt zum Ausbruch aus ihrem konventionellen Dasein.

  • Shafak, Elif: Die vierzig Geheimnisse der Liebe. Berlin: Kein & Aber, 2014. Ausleihe: BG 25949