Das fünfte Netzwerktreffen der Fachstelle «Kultur inklusiv»

Das fünfte Netzwerktreffen der Fachstelle «Kultur inklusiv» von Pro Infirmis drehte sich um die Voraussetzungen für eine nachhaltige inklusive Ausrichtung der Schweizer Museen. Über 100 Vertreterinnen und Vertreter von Museen aus der ganzen Schweiz besuchten die Fachtagung. Zum Programm gehörte neben einem Podiumsgespräch und vier Praxisbeispielen auch ein Marktplatz mit rund 20 Anbietern von Zugangshilfen.

Von Carol Lagrange

Von links nach rechts auf einem Podium sitzend: Dani Suter, Véronique Lombard, Nicole Grieve, Fabienne Eggelhöfer und Christian Lohr Seit 2013 organisiert die Fachstelle Kultur inklusiv von Pro Infirmis ein Netzwerktreffen, an dem verschiedene Kulturinstitutionen zusammenkommen. Ziel der Fachstelle ist es, die Inklusion zu fördern und denjenigen Institutionen, die sich für inklusive Projekte stark machen wollen, mögliche Ansätze aufzuzeigen. Ausserdem verleiht die Fachstelle das Label «Kultur inklusiv» an Schweizer Kulturinstitutionen, die sich nachhaltig für Inklusion und eine kulturelle Teilhabe ohne Barrieren einsetzen. Der Anlass fand 2019 zum ersten Mal auf nationaler Ebene statt und wurde simultan auf Deutsch, Französisch und in die deutsche Gebärdensprache verdolmetscht.

Die Herausforderungen für ein barrierefreies Kulturangebot
Eine Podiumsdiskussion zur kulturellen Teilhabe der Menschen in der Gesellschaft machte den Auftakt zum Netzwerktreffen. Fabienne Eggelhöfer, Chefkuratorin des Zentrums Paul Klee, zeigte sich hocherfreut, dass zahlreiche Besucherinnen und Besucher mit kognitiven Beeinträchtigungen die Ausstellung «Touchdown» mit und über Menschen mit Downsyndrom im Museum Paul Klee besuchten. Nun gehe es darum herauszufinden, wie die gemeinsame Interaktion von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zur Regel werden könne.
Dani Suter, Leiter von Augusta Raurica in Augst, war der zweite Museumsvertreter auf dem Podium. «Barrierefreiheit muss zu unserem Alltag werden. Doch ohne finanzielle Mittel und den Einsatz des Personals ist das nicht möglich», erklärte er. Dani Suter räumt der Inklusion oberste Priorität ein: Die geplanten Inklusionsmassnahmen in der antiken Römerstadt sind in einem Handbuch zum Qualitätsmanagement enthalten, das sein Team erarbeitet hat. Die Massnahmen sind auch in die Jahresziele seiner Mitarbeitenden eingeflossen. Zudem hat er eine Teilzeitstelle für eine Projektleiterin zur Förderung der Inklusion geschaffen. Die Projektleiterin berät das gesamte Team.

Danach sprach Véronique Lombard, Verantwortliche Unité Publics et programmation culturelle der Stadt Genf, als Vertreterin der staatlichen Kulturförderung über die positive Situation in Genf. Das Departement für Kultur und Sport habe sich Inklusionsziele gesetzt. Verschiedene Publikumsgruppen sollen gezielt angesprochen werden und aktiv teilhaben. Dazu sollen zusätzliche Personen angestellt werden, die diese Publikumsgruppen betreuen. Ausserdem sollen mit zusätzlichen finanziellen Mitteln einzelne Projekte gezielt gefördert werden. Frau Lombard hob hervor, dass man die für eine Publikumsgruppe entwickelte Massnahme idealerweise an die Bedürfnisse mehrerer Gruppen anpassen können sollte. Wichtig sei, dass bei jedem Kulturprojekt Inklusion mitgedacht und das Publikum miteinbezogen werde. «Wir sind zwar noch nicht am Ziel, aber immerhin auf gutem Weg», meinte sie zuversichtlich.
Christian Lohr, Nationalrat aus Kreuzlingen, der selbst mit einer körperlichen Beeinträchtigung lebt, ergriff das Wort und erklärte, dass für ihn die grösste Herausforderung nicht darin bestehe, über Menschen mit Behinderung zu sprechen, sondern mit ihnen zusammenzuarbeiten, um Lösungen für eine Inklusion zu finden.

Erkenntnisse aus Inklusionsprojekten
Im weiteren Tagesverlauf wurden vier nachhaltige inklusive Projekte vorgestellt. Sie dienten als Beispiele für Museen, die selber inklusiver werden möchten. Massnahmen, die vorgestellt wurden waren: Einbeziehen von Inklusion in eine Organisationsstruktur, indem eine zusätzliche Stelle geschaffen wird; Sensibilisierung des Museumspersonals; den Kulturvermittler oder die Kulturvermittlerin auf dieselbe Stufe stellen wie den Kurator oder die Kuratorin; bei verschiedenen Projekten Menschen mit Behinderung mit einbeziehen; mit Organisationen Kontakte knüpfen, die sich für Betroffene einsetzen.

Sehbehinderung und Hilfsmittel für eine bessere Zugänglichkeit
Während dreier Zeitfenster konnten sich die Tagungsteilnehmenden auf dem «Marktplatz» mit rund 20 Anbietern von Zugangshilfen aus der Schweiz und dem Ausland vertieft unterhalten. Die Marktplatz-Anbieter informierten unter anderem über Audiodeskription, taktile Hilfsmittel, Orientierungshilfen, barrierefreie Kommunikation, Gebärdensprache und Leichte Sprache. Sechs dieser Anbieter haben speziell auf Menschen mit Sehbehinderung zugeschnittene Angebote präsentiert: Hörfilm Schweiz stellte sein Angebot rund um die Audiodeskription für Museen sowie seine Beratungsdienstleistungen vor. Die Apfelschule erläuterte an ihrem Stand die Bedeutung von Smartphones und Tablets für die Barrierefreiheit in Museen. Das vor drei Jahren gegründete Berliner Unternehmen MindTags führte sein via App nutzbares GPS-Navigationssystem vor, dank dessen sich alle Publikumsgruppen in einem Museum orientierten können. So können die Ausstellungsexponate beispielsweise mit Sendern versehen werden, und die Besucherinnen und Besucher erhalten über die App relevante Informationen dazu. Auch die Blindenschule Zollikofen war vor Ort, um ihre taktilen Hilfsmittel für Museen vorzustellen. Das vor einigen Jahren in Frankreich gegründete Unternehmen Tactile Studio bietet in Frankreich, Deutschland, England, Österreich, Italien und Kanada in Zusammenarbeit mit Organisationen aus dem Sehbehindertenwesen taktile Stadtführer an. Darüber hinaus berät es Museen und bietet diesen taktile Hilfsmittel mit Braillebeschriftung oder Grossbuchstaben an. Schliesslich zeigte der in der Westschweiz aktive Verein L’art d’inclure ein taktiles Flachrelief und lancierte damit eine Diskussion zu inklusiven Formaten deskriptiver Museumsbesuche.

Kästchen:
Das Label «Kultur inklusiv» richtet sich sowohl an langjährige Pioniere der inklusiven Kultur als auch an Kulturakteure, die sich neu auf diesen Weg begeben möchten. Die Labelträger setzen für sechs Publikumsgruppen (auditiv, visuell, motorisch und kognitiv beeinträchtigte Menschen sowie Personen mit psychischen Problemen und altersbedingten Einschränkungen) nachhaltig individuell festgelegte Massnahmen in den fünf Handlungsfeldern des Labels (kulturelles Angebot, inhaltlicher Zugang, baulicher Zugang, Arbeitsangebote, Kommunikation) um. Zusätzliche Informationen finden sich auf der Website https://www.kulturinklusiv.ch/de unter der Rubrik «Die Labelträger».

Weitere Auskünfte zur Partnerbetreuung Deutschschweiz und Tessin erteilt Sara Stocker per Mail stocker@kulturinklusiv.ch oder unter 058 775 15 52.