Die SIBU resümiert: Homeoffice und Homeschooling funktioniert.

Als der Bundesrat im März 2020 die ausserordentliche Lage ausgerufen hatte, Schulen und Universitäten auf Fernunterricht umstellen mussten und flächendeckend Homeoffice verordnet wurde, fragten sich die Fachleute der Schweizerischen Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld (SIBU): wie sollen Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung damit klarkommen? Mit einem Jahr Abstand stellen wir fest: Homeoffice hat erstaunlich gut geklappt!

Von Petr Chudozilov, Leitung Fachbereich Unterstützung, Schweizerische Fachstelle für Sehbehinderte im beruflichen Umfeld

Eine kleine Umfrage unter den von der SIBU begleiteten Auszubildenden, Studierenden und Arbeitnehmenden hat ergeben, dass in dieser Zeit die Anzahl der verschiedenen Kommunikationsplattformen als grösste Herausforderung angesehen wurde: von einem auf den anderen Tag hatte man mit Zoom, Teams, Skype, Webex und anderen Anwendungen zu tun. Sogar an der gleichen Ausbildungsstätte oder am gleichen Arbeitsplatz war man unter Umständen plötzlich mit verschiedenen Anwendungen konfrontiert, die innert kürzester Zeit beherrscht werden mussten.

Barrierefreiheit der eingesetzten Tools

Es hat sich rasch gezeigt, dass die meisten dieser Programme für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung relativ gut zugänglich und bedienbar sind, wobei für diejenigen, die mit einer Sprachausgabe arbeiten der intuitive Moment der graphischen Gestaltung fehlt: Hier ist eine ausführliche erste Einführung unabdingbar. Da sich die Einsatzgebiete dieser Tools in der Ausbildung jedoch rasch sehr dynamisch weiterentwickelten, war die Durchführung von strukturierten Schulungen kaum möglich, vielmehr mussten immer wieder gemäss individuellem Bedarf weitere Funktionen erschlossen werden.

Insbesondere im breit eingesetzten Tool Microsoft Teams ist die Zugänglichkeit von einigen wichtigen Funktionen mit der Sprachausgabe als eine grosse Herausforderung zu bezeichnen. So sind der Down- und Upload von Dokumenten oder der Direktzugriff auf Bereiche wie „Aufgaben“ in einem Kanal zwar technisch möglich, aber nur mit einer aufwändigen und komplexen Navigation zugänglich, die gut trainiert werden muss. Selbst dann ist der Zugriff im Vergleich zu der mausbasierten Bedienung viel zeitaufwändiger, was beim Mithalten im Klassenverbund während einer Online Schulung eine zusätzliche Hürde darstellt. Auch die Bedienung der zahlreichen Bestätigungsfelder ist deutlich erschwert. Neben der Unterstützung durch Fachleute griffen viele Betroffene auch spontan zur Selbsthilfe. So berichteten uns Auszubildende von Gruppenchats, in denen Problemstellungen diskutiert und Erfahrungen ausgetauscht wurden.

Fernschulungen als Herausforderung

Eine weitere grosse Herausforderung für die SIBU war die Durchführung von Fernschulungen für Sehbehinderte. Obwohl im Supportbereich schon lange mit dem Fernwartungstool TeamViewer gearbeitet wird, stellte sich für die Trainingsfachleute der SIBU die Frage, inwiefern solche Schulungen – insbesondere mit der Sprachausgabe – zielführend möglich sind. Da jedoch beispielsweise der an die SIBU ausgegliederte Unterricht Information, Kommunikation und Administration (IKA) in kaufmännischen Ausbildungen zwingend weitergeführt werden musste, wurden hier umgehend erste Versuche mit Zoom und einer parallel dazu eingesetzten zweiten Kommunikationsquelle gestartet und erfolgreich weiterentwickelt. Dieses System hat sich im IKA-Unterricht rasch etabliert und konnte von den allermeisten Auszubildenden bald routiniert und effizient eingesetzt werden.

Obwohl sich solche Fernschulungen grundsätzlich als technisch gut durchführbar erwiesen haben, viele Chancen bieten und weiterentwickelt werden müssen, sind sich sowohl die Trainingsfachleute der SIBU als auch die Auszubildenden darin einig, dass der persönliche Kontakt als der zentrale Aspekt einer Schulung hiermit nicht ersetzt werden kann.

Zunehmender Einsatz von Tablets

Die durch das Homeschooling beschleunigte Digitalisierungsoffensive hat die Fachleute der SIBU zudem mit einer weiteren Entwicklung konfrontiert: dem zunehmenden Einsatz von Tablets – insbesondere des iPads – im Unterricht. Da Arbeitsblätter, Skripte und Lehrmittel zunehmend digital und nicht mehr auf Papier zur Verfügung stehen, gewinnt die digitale Bearbeitung dieser Dokumente rasch an Bedeutung. Die neue Generation von handlichen, einfach zu bedienenden Tablets eröffnet den sehbehinderten Nutzerinnen und Nutzern in Kombination mit der dazugehörigen Tastatur und dem Pencil zahlreiche interessante Möglichkeiten: die rasche Erstellung von Notizen, das Schreiben und Zeichnen auf dem Bildschirm, das einfache Einscannen von Papierdokumenten sowie deren anschliessende Texterkennung und Bearbeitung, das Zoomen von Dokumenten, der Einsatz der Sprachausgabe in diversen Apps, die rasche Verfügbarkeit von Lehrmitteln und Nachschlagewerken usw.

Der inzwischen weit verbreitete Einsatz des Tablets bei den von uns begleiteten Menschen scheint jedoch den Einsatz des Notebooks nicht zu verdrängen, sondern zu ergänzen, denn die beiden Geräte werden häufig parallel eingesetzt. So werden auf dem einen Gerät beispielsweise Homeschooling-Sessions verfolgt oder Lehrmittel geöffnet und auf dem anderen Gerät parallel dazu Notizen erstellt. Der Einsatz einer Cloud ermöglicht das Beiziehen von digitalen Unterlagen auf beiden Geräten sodass diese zunehmend zu einem umfassenden Lese- und Schreibsystem verschmelzen, das situationsadäquat flexibel eingesetzt werden kann. Die SIBU verfolgt diese Entwicklungen aktiv, prüft deren Eignung für die betroffenen Anwender und integriert diese laufend in ihr Schulungsprogramm.

Soziale Aspekte des Homeschoolings

Waren unsere Fachleute im Frühjahr 2020 vor allem mit technischen Hürden sowie den langen Lieferzeiten und hohen Preisen von Notebooks und Grossbildschirmen konfrontiert, so stehen ein Jahr später die fehlenden sozialen Kontakte, der fehlende informelle Austausch am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Studium zunehmend im Vordergrund.

Insbesondere die von der SIBU begleiteten Studierenden berichten häufig von der fehlenden Motivation sowie der Schwierigkeit, den Alltag zu strukturieren oder sich zu vernetzen. In einer Zeit, in der viele Betriebe auf Kurzarbeit umstellen oder sogar Entlassungen vornehmen müssen, wird es für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung noch schwieriger, Praktikums- oder Arbeitsplätze zu finden. Die Fachleute der SIBU sind in diesem Kontext also nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die psychosoziale Begleitung stark gefordert.

Und doch staunen wir immer wieder, wie in dieser schwierigen Situation die Solidarität spielt, wie Hoch- und Berufsschulen unkompliziert Hand zu pragmatischen Lösungsansätzen für Sehbeeinträchtigte bieten, Arbeitgebende Flexibilität zeigen, Ämter unkonventionelle Herangehensweisen ermöglichen und die von uns begleiteten Menschen mit grosser Kreativität und hohem Engagement neue Lösungen finden. Mittelfristig könnten die Errungenschaften des Homeoffice –die Digitalisierung der Arbeit- und Ausbildungswelt, die flexibleren Arbeitszeiten und die reduzierten Arbeitswege – kombiniert mit der Präsenz am Arbeitsplatz mit all den dazugehörigen sozialen Kontakten den Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung grosse Chancen eröffnen.