Wie die meisten seltenen Krankheiten ist auch die Retinitis pigmentosa Gegenstand verschiedener Studien, die zahlreiche neue Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten eröffnen sollen. Das Fortschreiten der Krankheit verhindern oder einen Teil der visuellen Wahrnehmung wiederherstellen – das sind zwei Strategien, auf die man mit der Unterstützung der Fondation Voir et Entendre im Rahmen verschiedener Forschungsansätze und -projekte am Institut de la Vision in Paris setzt.
Von Dr. Serge Picaud, Institut de la Vision, Paris

Forscherinnen und Forscher pipettieren im Labor des Institut de la Vision

Bild: William Deschamps, Fondation de la Vision

Retinitis pigmentosa ist eine seltene, genetisch bedingte Erkrankung, von der etwa 1 von 4’000 Personen betroffen ist. Es handelt sich um die häufigste Form der genetischen Netzhautdegeneration. Beim Auftreten einer Retinitis pigmentosa sterben zuerst die Stäbchen und dann die Zapfen allmählich ab. Durch die Degeneration der Fotorezeptoren (Sehzellen) kommt es zu den pigmentartigen Ablagerungen, die der Krankheit ihren Namen gaben. Im weiteren Verlauf der Erkrankung fällt das periphere Gesichtsfeld zunehmend aus, was zum Tunnelblick und schliesslich zum Verlust der zentralen Sehschärfe führt. Der Krankheitsverlauf ist im Allgemeinen langsam und erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte. In der Regel wird Retinitis pigmentosa bei einer Augenkontrolle diagnostiziert, die oftmals aufgrund eingeschränkter Nachtsicht oder einer Abnahme der Sehschärfe vorgenommen wird. Zu den gängigen Untersuchungen zählen das ERG (Elektroretinogramm), mit dem sich Funktionsstörungen der Stäbchen und Zapfen nachweisen lassen, die Spiegelung des Augenhintergrundes zwecks Erkennung von Pigmentablagerungen sowie die Gesichtsfeldkontrolle, die Aufschluss über das Ausmass der Sehbeeinträchtigung gibt.

Retinitis pigmentosa ist eine erblich bedingte Erkrankung, die je nach genetischer Prädisposition in unterschiedlicher Ausprägung weitergegeben wird. Mitglieder einer Familie, in der eine Person betroffen ist, können sich testen lassen, wenn eine entsprechende Genveränderung gefunden wurde.

Verschiedene Teams am Institut de la Vision in Paris führen ehrgeizige Forschungsprojekte durch, um künftig neue Behandlungsmöglichkeiten für Retinitis pigmentosa anbieten zu können. Die zur Behandlung dieser Krankheit entwickelten therapeutischen Ansätze könnten dereinst auch für die Behandlung anderer Fotorezeptoren-Erkrankungen wie der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) eingesetzt werden. Je nach Stadium der Erkrankung können unterschiedliche Strategien in Betracht gezogen werden. Für die Behandlung im Anfangsstadium der Krankheit, wenn die Netzhaut noch nicht stark betroffen ist, werden derzeit zwei vielversprechende Therapieansätze verfolgt, um den Sehverlust zu stoppen: Beim ersten kommt die Gentherapie zum Einsatz, mit der sich eine genetische Anomalie korrigieren lässt, und beim zweiten wird die Neuroprotektionsstrategie unter Nutzung des RdCVF-Faktors (Rod derived Cone Viability Factor) angewandt, mit der die noch funktionsfähigen Fotorezeptoren geschützt werden sollen.

Das Retina-Implantat eignet sich für PatientInnen im letzten Krankheitsstadium, in dem die Fotorezeptoren zwar bereits abgestorben, der Sehnerv aber noch funktionsfähig ist. Das System besteht aus folgenden Komponenten: dem auf der Oberfläche der Netzhaut implantierten Teil – eine Matrix mit mikroskopisch kleinen Elektroden, einer Brille mit integrierter Kamera und einem tragbaren Mikroprozessor, der die empfangenen Informationen in elektrische Impulse umwandelt. Dieses System ersetzt die Fotorezeptoren, indem es die visuellen Informationen in elektrische Impulse umwandelt, die dann über den Sehnerv ans Gehirn weitergeleitet werden. Das Institut de la Vision ist in Zusammenarbeit mit einem seiner Start-ups auch an der Entwicklung einer neuen Generation künstlicher Netzhäute beteiligt, und die ersten sogenannten IRIS II-Netzhautprothesen mit 150 Elektroden haben mittlerweile die europäische CE-Kennzeichnung (CE) erhalten. Ferner arbeitet das Institut de la Vision zusammen mit Pixium Vision und der Stanford Universität an der Entwicklung eines neuen Prototyps einer künstlichen Netzhaut, die ImplantatträgerInnen eine höhere Auflösung bringen, Gesichtserkennung sowie das Lesen von Texten und unabhängige Mobilität ermöglichen soll.

Bei der Optogenetik handelt es sich um einen alternativen Ansatz zur Verwendung von Netzhautprothesen bei erblindeten PatientInnen. Bei dieser Technik kommen Opsine zum Einsatz. Dabei handelt es sich um lichtempfindliche Proteine aus Algen, die man auch in den Fotorezeptoren vorfindet. Nachdem diese Proteine in die Neuronen eingebracht wurden, fangen sie das Licht auf und können dieses in elektrische Signale umwandeln und so die Signalwege in der Netzhaut reaktivieren. Zellen, die von Natur aus nicht lichtempfindlich sind, werden somit in echte Fotorezeptoren umgewandelt. In Kombination mit auf Brillen angebrachten biomimetischen Kameras und Lichtstimulation wird man mithilfe dieses therapeutischen Ansatzes die Sehfähigkeit bis zu einem gewissen Grad wiederherstellen können. Die Optogenetik befindet sich derzeit noch in der präklinischen Entwicklungsphase, dürfte aber rasch die klinische Versuchsphase am Menschen erreichen.

Eine weitere Behandlungsalternative bei fortgeschrittener Retinitis pigmentosa bieten Stammzellen. Forscher sind dabei, zelltherapeutische Ansätze zu entwickeln, bei denen aus pluripotenten Stammzellen gewonnene Netzhautzellen transplantiert werden. Bei diesen Verfahren gewinnen die Forscher aus Hautzellen des PatientInnen die verschiedenen Arten retinaler Stammzellen (Fotorezeptoren- und Pigmentepithelzellen), die dann ins Auge injiziert werden, damit sie dort die entsprechenden nicht mehr funktionsfähigen Zellen ersetzen. Einige Tätigkeiten des Institut de la Vision werden von der Banque Publique d’Investissement (BPI; Öffentliche Investitionsbank) sowie von der Fondation Voir et Entendre finanziert. Bei einem der neuen Projekte geht es um die Wiederherstellung der visuellen Wahrnehmung bei PatientInnen, bei denen beispielsweise aufgrund eines Glaukoms oder einer diabetischen Retinopathie die funktionelle Verbindung zwischen Auge und Gehirn nicht mehr funktioniert.