Jean Baldo ist gelernter Telefonist, Hotelfachmann und Erwachsenenbildner. Heute arbeitet er als Rezeptionist und im Service in der blindekuh in Zürich. Sein beruflicher Werdegang und seine weiteren Pläne machen klar: Er lässt sich nicht davon behindern, dass er von Geburt an blind ist. Tactuel hat mit ihm über seinen Weg in der Gastrobranche, seine künftigen Ziele und das Thema berufliche Integration gesprochen.

Von Nina Hug

Jean Baldo an seinem Arbeitsplatz mit BraillezeileHerr Baldo, Sie haben im Fünf-Sterne-Hotel Waldhaus in Sils Maria während 14 Jahren als Telefonist und Concierge gearbeitet. Welcher Weg hat Sie dorthin geführt?

Ich habe in Baar die Blindenschule Sonnenberg besucht und in Baar an der Handelsschule den KV Abschluss gemacht. Daran habe ich ein Jahr bei der Sehbehindertenhilfe in Basel angehängt, wo
ich eine Telefonisten-Ausbildung bei der Swisscom machen konnte und mich in Informatik weiterbildete.

Eine Lehrerin der Sehbehindertenhilfe kam kurz vor dem Abschluss auf mich zu und fragte, ob ich das Engadin kennen würde. Ich bejahte, dass ich mit meinen Eltern dort viele Male skifahren
war. Ob ich auch Sils Maria kenne und das Hotel Waldhaus? Nein, das Hotel kannte ich nicht. Dann sei es höchste Zeit, dass ich mich dort bewerbe, meinte sie lachend. Das Hotel Waldhaus
hatte kurz zuvor eine moderne Telefonanlage bekommen und suchte einen Telefonisten. Die Anlage konnte man mit unterstützender Technologie für sehbehinderte Menschen ausbauen. Ich
bin also dorthin gefahren und habe mich vorgestellt. Nach einem zweistündigen Gespräch stand fest, dass das Waldhaus mich anstellen wollte.

Wie haben Sie das Bewerbungsverfahren damals erlebt?
Meine Anstellung beim Hotel Waldhaus war nur möglich, weil das Hotel als Familienbetrieb geführt wird und so offen war für die Anstellung einer blinden Person. Herr und Frau Dietrich sowie
Herr Kienberger wollten mich gerne persönlich kennenlernen. Danach haben sie sich für meine Anstellung eingesetzt und überzeugten das Team. Der damalige Concierge – mein Vorgesetzter
– war zum Beispiel anfangs sehr skeptisch. Er hatte Vorbehalte, ob ich es schaffen würde, mich in den Betrieb einzufügen. Doch schon nach zwei Tagen kam er zu mir und entschuldigte
sich bei mir für seine Skepsis.

Sie haben sich mit dem Einstieg ins Hotel Waldhaus für eine Karriere im Gastrogewerbe entschieden. Wie ging es für Sie nach der Anstellung dort weiter?

Ich blieb während acht Saisons als Telefonist im Waldhaus. Dabei habe ich gemerkt, dass mir das Gastgewerbe liegt. Ich suchte nach einer Möglichkeit mich in dem Bereich weiterzubilden. Eine
Frau von GastroSuisse empfahl mir, mich bei der Hotelfachschule in Zürich zu bewerben. Von Herrn Nussbaumer, dem Leiter der Schule bekam ich eine positive Rückmeldung. Aber er wollte persönlich mit mir besprechen, ob die Ausbildung die richtige Entscheidung für mich sei. Nach dem Gespräch involvierte er auch alle Dozenten und ich durfte zwei Tage lang schnuppern. Dann
stand für alle Beteiligten fest, dass ich die Ausbildung absolvieren konnte. Allerdings wollte das Bundesamt für Berufsbildung das Diplom nicht anerkennen. Ich wollte ja nicht irgendein Zertifikat
dafür haben, dass ich dabei gewesen bin, sondern ein richtiges Diplom. Das Problem für das Bundesamt lag darin, dass ich die praktische Ausbildung in der Küche nicht machen konnte. Doch
die Leitung der Schule hat sich sehr für mich eingesetzt und so startete ich. Kurz vor der Abschlussprüfung kam dann auch der Brief vom Bundesamt, dass sie mein Diplom anerkennen
würden. Auch ohne Ausbildung in der Küche. Wichtig ist ja, dass ich weiss wovon, im Hotelfach die Rede ist und dass ich an den Diskussionen mit meinen Vorgesetzten teilhaben kann. Ich muss
schliesslich nicht als Koch arbeiten.

In der Zeit an der Hotelfachschule haben Sie die blindekuh kennen gelernt. Wie wichtig war die blindekuh für Sie als Ausbildungsbetrieb?
In meinem ersten Praktikum beim Flughafenrestaurant konnte ich im Personalbüro arbeiten. Danach brauchte es eine Ausbildungsstätte für den Service. Da bot sich die blindekuh natürlich
an, mit den spezifisch für blinde und sehbehinderte Menschen ausgelegten Servicearbeitsplätzen. Hier wurde ich dann auch im Service geprüft. Der Fachlehrer für Getränkekunde kam ins
Restaurant und machte sich seine Notizen so gut es ging im Dunkeln. Er monierte lediglich, dass die Beratung zur Weinbegleitung der Speisen zu kurz komme. Das liegt aber daran, dass die Gäste
der blindekuh in der Regel schon beim Lesen der Speisekarte im Hellen überlegen, welchen Wein sie trinken wollen.

Nach der Ausbildung sind Sie für weitere zehn Jahre ins Hotel Waldhaus zurückgekehrt. Konnten  Sie neue Aufgaben übernehmen?

Ja, das Hotel Waldhaus hat mich aktiv zu sich zurückgeholt. Sie übergaben mir mehr Aufgaben und ich konnte auch Stellvertretungen für den Concierge übernehmen. Er hatte mich darin bestärkt
die Hotelfachschule zu machen. Nach zwei Jahren in dieser Funktion machte ich eine Weiterbildung zum Erwachsenenbildner. Das Interesse dafür war schon während der Hotelfachschule geweckt worden. In einer Praktikumsarbeit mussten wir darüber schreiben, wie wir Leute instruieren. Diese Praktikumsarbeit hat mir sehr viel Spass gemacht. Mit dieser Weiterbildung in Didaktik habe ich dann Schulungen für das Personal im Hotel Waldhaus übernommen. Zum Beispiel zum Thema «korrektes Telefonieren » oder «Gästereklamationen professionell behandeln». Ich machte auch Schulungen in anderen Einrichtungen zum Umgang mit Reklamationen von Gästen. Und bei GastroSuisse schule ich noch immer Auszubildende in einem Modul zur Receptionisten-Tätigkeit.

Das klingt, als sei immer alles glatt gelaufen bei Ihren Arbeitsstationen. Haben Sie keine Zurückweisungen aufgrund Ihrer Behinderung erlebt?

Doch, natürlich habe ich auch schon verschiedene Absagen erlebt auf dem freien Arbeitsmarkt. Da heisst es dann zum Beispiel. Ah, sie arbeiten zurzeit bei der blindekuh – das ist doch genau der richtige Ort für sie. Oder: Sie haben ja die IV, da können sie ja die Rente beantragen, wenn Sie eine Absage von uns bekommen. Oder die Arbeitgebenden äussern konkrete Ängste nach dem Motto «Wenn wir Sie anstellen, kommen sicher hohe Kosten für die Einrichtung des speziellen Arbeitsplatzes auf uns zu».
Es ist viel Unwissen da, auf Seiten der Arbeitgeberinnen und -geber. Das Team und der oder die Vorgesetzte auf Seiten des Arbeitgebenden müssen offen und neugierig sein für die Anstellung
sehbehinderter Menschen, sonst geht es nicht.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Seit fünf Jahren arbeite ich nun ganzjährig zu 80 Prozent in der blindekuh. Aber ich möchte mich weiterentwickeln. Ich interessiere mich für eine Ausbildung im Bereich Coaching/Beratung.
Am Institut für systemische Impulse könnte ich diese Ausbildung machen, aber es fehlen mir noch die Praxisfälle, die ich in die Ausbildung einbringen müsste. So werde ich nun erst einmal meine Tätigkeit im Bereich der Schulungen ausbauen, um von dort Coaching-Fälle mit in die Ausbildung zu nehmen.

Kästchen

Die blindekuh wird 20

Das 1999 in Zürich eröffnete Dunkelrestaurant der Stiftung blindekuh, die blinden und sehbehinderten Menschen wertvolle Arbeitsplätze bietet, hat sich im Gastronomiemarkt etabliert. Mit ihren Betrieben in Zürich und Basel hat die Stiftung das Geschäftsjahr 2018 erneut mit schwarzen Zahlen abgeschlossen. Die Stiftung beschäftigt heute total 57 Mitarbeitende. 22 von ihnen sind blind oder sehbehindert. Im Restaurant blindekuh Zürich sind seit der Gründung 1999 bis heute 510 000 Gäste eingekehrt, in Basel (Eröffnung 2005) sind es bislang 185 000 Gäste. Der Gesamtumsatz
der Stiftung nach 20 Jahren beläuft sich auf 58,5 Millionen Franken.