Den Berufswunsch Mechaniker kann sich der von einer starken Seheinschränkung betroffene Men Flütsch nur erfüllen, wenn er mit Low-Vision Fachpersonen, Berufsbildnern und der obvita Sozialinformatik für ihn geeignete Vergrösserungshilfsmittel am Arbeitsplatz platzieren kann. Die Geschichte der gemeinsamen Suche nach einer technischen Lösung zeigt, wie wichtig die Offenheit für unkonventionelle Kombinationen von Hilfsmitteln und die Berücksichtigung der konkreten Bedürfnisse der Betroffenen für den Erfolg sind. 

von Franziska Schärli, Fachfrau Kommunikation, obvita 

Men Flütsch positioniert mit Hilfe des iPads das zu bearbeitende Metallteil.Men Flütsch ist 18 Jahre alt und hat eine starke Seheinschränkung. Laut Berufsberatung war eine KV-Ausbildung die beste Wahl für ihn. Die im Sommer 2016 begonnene KV-Ausbildung brach er nach zwei Monaten ab – die Arbeit im Büro war einfach nicht das Richtige für ihn. Obwohl er als Kind nicht unbedingt handwerklich begabt war – durch seine Seheinschränkung gelang ihm das nie so richtig – hatte er immer Freude am Bearbeiten von Metall. Nach dem Lehrabbruch liess er sich erneut beraten und dabei wurde ihm klar, dass er etwas Handwerkliches lernen möchte. Er hat genaue Vorstellungen: er will im Bereich Mechanik arbeiten.

Bei den Arbeitsversuchen während der Schnupperlehre bei obvita zeigte sich, dass Men Flütsch durchaus handwerklich begabt ist. Allerdings schränkt ihn bei der Arbeit an den Maschinen die Sehbehinderung stark ein, da er aus Sicherheitsgründen mit seinen Augen nicht so nahe an das Werkstück herangehen kann, dass er den Arbeitsvorgang genau beobachten kann und die Sehbehinderung das Kontrollieren der fertigen Metallteile erschwert.

Die für Men Flütsch verantwortlichen Low-Vision-Fachpersonen und der Berufsbildner kontaktierten die obvita Sozialinformatik mit dem Ziel, eine Lösung zu finden, um Men Flütsch eine Ausbildung im Bereich Mechanik zu ermöglichen.

Eine unkonventionelle Lösung

Erste Abklärungen der Sozialinformatik ergaben, dass eine traditionelle Lösung mit Dokumentenkamera und Notebook für dieses spezifische Arbeitsumfeld nicht in Frage kommt. Die Kamera bei der Maschine am richtigen Ort zu platzieren war schwierig und Metallstaub und Öl verunmöglichten das tadellose Funktionieren dieser Hilfsmittel. Auch der Einsatz eines iPads als Lupenersatz brachte keine befriedigende Lösung, da die Positionierung des Gerätes vor dem Werkzeug wie dem Bohr- oder Fräskopf den direkten Blick auf den Arbeitsvorgang verhinderte.

Die Rehaspezialisten der Sozialinformatik entschieden sich für einen unkonventionellen Versuch: Sogenannte Actioncam’s wie die GoPro sind einerseits wasserdicht und verfügen über ein umfangreiches Zubehör an Befestigungsmöglichkeiten und Schutzhüllen. Somit funktionieren sie trotz Verunreinigung. Das Bild einer solchen Kamera kann drahtlos auf ein iPad Pro mit 12.9-Zoll-Bildschirm übertragen werden. Der Schwenkarm bringt das iPad ergonomisch in Sichtdistanz des Lernenden und die eingebauten Vergrösserungsmöglichkeiten des Tablets ermöglichen, dass einerseits die Kamera optimal vor dem Werkstück positioniert werden kann – andererseits der iPad-Bildschirm, welcher ebenfalls in einem wasserdichten und abwaschbaren Gehäuse sitzt, ergonomisch optimal im Sichtfeld nahe bei den Augen liegt. Die eingebauten Vergrösserungsmöglichkeiten des iPad’s erleichtern dabei Men Flütsch die Kontrolle des Arbeitsvorganges während der Bearbeitung enorm. Für die Kontrolle des Werkstücks nach dem Bearbeitungsvorgang eignet sich hingegen ein traditionelles Bildschirmlesegerät oder eine Leselupe deutlich besser. Für den mobilen Einsatz – beispielsweise in der Berufsschule – bringt das iPad wieder deutliche Vorteile.

Begleitung durch Berufsagogen

Zurzeit testet Men Flütsch mit Hilfe der Ausbildungsverantwortlichen diesen unkonventionellen Lösungsansatz in der Abteilung Mechanik. Die Berufsagogen von obvita werden in den nächsten Wochen auswerten, welche Vor- und Nachteile der Einsatz der «smarten» Hilfsmitteln bringt und wo noch Anpassungen vorzunehmen sind. Auch die Sehberatung von obvita begleitet den Prozess und unterstützt sie mit fachlichen Hinweisen in Bezug auf die Sehbehinderung und mögliche Verbesserungen bei der Ausbildung und im Alltag.

Men Flütsch freut sich, dass er im Sommer seine Lehre als Mechanikpraktiker bei obvita beginnen darf. «Da sieht man am Abend genau, was man gemacht hat. Und das Material Metall gefällt mir einfach», meint er. Zu den Hilfsmitteln sagt er: «Sie helfen mir auf jeden Fall. Wir müssen einfach noch ausprobieren, wie’s optimal funktioniert oder was noch angepasst werden muss. Ich bin aber optimistisch, dass es funktionieren wird.»