Wenn beim eigenen Kind eine Sehbehinderung diagnostiziert wird, stellt dies meist auch das Leben der Eltern beziehungsweise der gesamten Familie auf den Kopf. Tactuel wollte wissen, welche Unterstützungsangebote es für Eltern in dieser Situation gibt und hat bei Jasmin Rüegg, Begründerin der Online-Plattform „Eltern sehbehinderter Kinder – elsebeki“ und bei Yala Mona, Elternberaterin beim Verein visoparents, nachgefragt.

Von Nina Hug

Frau Rüegg, ihre Tochter hat eine Sehbehinderung. Wie haben Sie die Zeit nach der Diagnose erlebt?
Unsere Tochter war drei Monate alt, als bei ihr ein Pendelnystagmus und eine Optikus Hypoplasie (verkleinerter Sehnerv) diagnostiziert wurde. Für uns als Eltern war das im ersten Moment ein grosser Schock. Wir standen vor einem grossen Berg von Fragen. Zum Beispiel: Wieviel wird unsere Tochter einmal sehen können? Was bedeutet das für unsere Familie? Wie können wir unsere Tochter unterstützen?
WirFamilienfoto der Familie Rüegg fühlten uns alleine gelassen mit all den Fragen. Bei einem zweiten Gespräch mit der Augenärztin konnten wir zwar einige Fachfragen klären und später erhielten wir viele Antworten auch durch die heilpädagogische Früherziehung Thurgau. Aber der Austausch mit anderen betroffenen Eltern hätte uns sehr geholfen.
Wir kannten in unserem Umfeld niemanden, den wir hätten fragen können, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Zum Beispiel, wie findet man einen guten Augenarzt, bei welchem Optiker eine gute Brille? Wir haben viel im Internet gesucht und dort auch Foren gefunden. Allerdings nicht in der Schweiz, sondern in Deutschland.
Schnell haben wir festgestellt, dass wir uns mit den deutschen Eltern gut über die Krankheit und deren Folgen austauschen konnten. Aber es gab noch viele Fragen die länderspezifisch sind, zum Beispiel die IV betreffend.

Ihre Tochter ist mittlerweile neun Jahre alt. Was hat Sie dazu bewegt, die Online-Plattform elsebeki.ch zu starten?
Gegründet haben wir die Plattform „Eltern sehbehinderter Kinder – elsebeki“, als mein Mann eine Weiterbildung zum Projektmanagement absolvierte. Er erhielt die Aufgabe Projektideen einzureichen. Weil wir uns mit der Thematik der Sehbehinderung unserer Tochter oft allein gefühlt haben, entstand die Idee, selber eine Austauschplattform zu gründen und dies als Projekt einzureichen.
Wir haben Kontakt mit vielen Institutionen und Organisationen aufgenommen, die sich um sehbehinderte Kinder kümmern. So haben wir sehr viel Feedback bekommen, dass der Austausch unter den Eltern fehle und so ein Forum sehr willkommen sei. Wir waren ganz euphorisch, dass die Plattform wirklich rege genutzt wird.

Wie funktioniert die Plattform?
Zentrales Element der Seite ist das Forum. Hier können Benutzer ein Thema eröffnen und ihre Fragen an die Community stellen. Die Fragen werden publiziert und jeder kann darauf Antworten. So soll unkompliziert ein Austausch stattfinden können.
Allerdings ist der erwartetet grosse Austausch bisher ausgeblieben. Es ist wohl eine Hemmschwelle da, die eignen Probleme in einem Forum zu erläutern oder persönliche Antworten zu geben. Per Mail werden wir mehr angeschrieben. Wir haben auch eine geschlossene Facebook-Gruppe gegründet, wo der Austausch besser läuft als im Forum.

Frau Mona, Sie sind Elternberaterin beim Verein visoparents. Was unterscheidet Ihre Arbeit von der Anlaufstation elsebeki.ch?
Die Eltern- und Fachberatung von visoparents bietet Beratung und Unterstützung für Eltern blinder, sehbehinderter und mehrfachbehinderter Kinder an. Wir zeigen den Eltern Angebote auf, vernetzen sie mit Fachstellen und Ärzten, beraten sie in Erziehungsfragen oder begleiten sie im Umgang mit den Behörden. Wir sind aber auch für Fachpersonen da, die mit sehbehinderten Kindern oder mehrfachbehinderten Kindern arbeiten.
Elsebeki empfinde ich als eine super Ergänzung zu unserem Angebot. Wenn ich das erste Mal mit Eltern rede, gebe ich die Info zu elsebeki.ch weiter. Jasmin und Marcel Rüegg sind zudem auch regionale Ansprechpartner von visoparents im Thurgau.

In welchen Situationen kommen die Eltern zu visoparents?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche Eltern kommen direkt nach der Diagnose der Sehbehinderung ihres Kindes. Diese Eltern haben meist einen riesengrossen Wissensbedarf. Sie kommen regelmässig wieder, wenn neue Entwicklungsabschnitte anstehen. Leider erfahren manche Eltern erst spät vom Angebot von visoparents und bedauern, nicht früher informiert worden zu sein.
Andere Eltern kommen erst, wenn es brennt, zum Beispiel in Übertrittsituationen von einer Schule in eine andere oder wenn die Kinder in der Pubertät sind. Da kann es sein, dass wir nur einmal miteinander zu tun haben.
Der Austausch mit einer unabhängigen Person ist für die Eltern extrem wichtig. So kann ich zum Beispiel auch unterstützen, indem ich für sie unangenehme Fragen mit den Behörden direkt kläre – denn die Eltern haben noch lange mit den Behördenvertretern zu tun. Da ist es manchmal ratsam, wenn die unangenehmen Themen von Dritten angesprochen werden.

Wie gross ist die Hemmschwelle, sich an eine Fachberatungsstelle zu wenden?
Häufig haben die Eltern das Gefühl, ihr Problem sei zu klein. Manchmal höre ich von Eltern erst, wenn sie wirklich nicht mehr weiter wissen. Sie sagen dann, sie hätten sich nicht getraut, sich zuvor an visoparents zu wenden. Diese Ängste sind vollkommen unbegründet. Zu uns kann jeder mit jeder Frage kommen. Ganz unabhängig davon, ob man Vereinsmitglied ist oder nicht. Die Beratung ist zunächst kostenlos (für Nichtmitglieder 4 Stunden, für Mitglieder 6 Stunden im Kalenderjahr). Ab der 5. bzw. 7. Beratungsstunde entstehen Kosten von 80 CHF pro Stunde. Es wird jedoch niemand abgewiesen wenn die Finanzierung eine Herausforderung darstellt.

Visoparents bietet auch einen moderierten Elternaustausch an.
Ja, der Elterntreff „Sehen Plus“ findet alle zwei Monate jeweils an einem Mittwochabend statt. Er ist kostenlos und offen für alle Eltern, die ein sehbehindertes Kind haben, unabhängig vom Alter und der Schulform, die es besucht. In dieser Runde können alle Fragen gestellt werden. Es kommt auch oft vor, dass sich die Eltern in dieser Runde kennenlernen und dann weiter privat austauschen. Da die meisten dieser Eltern sehr eingespannt sind, sind viele froh, wenn sie einfach mal bei einer Frage einer anderen betroffenen Familie per Whats App schreiben können und dann schnelle Rückmeldungen mit persönlichen Empfehlungen zurückkommen.

Kasten: Förderangebote und spezialisierte Schulen

In der Schweiz gibt es einige Schulen, die mit einem spezifischen Angebot Kinder und Jugendliche mit Blindheit oder Sehbehinderung ausbilden. Daneben gibt es ambulante Beratung- & Unterstützung für Kinder mit einer Sehbehinderung oder Blindheit an öffentlichen Schulen sowie in heilpädagogischen Einrichtungen. Zudem gibt es noch die heilpädagogische Früherziehung, die Kinder mit einer Sehbehinderung oder Blindheit ab Geburt bis in die erste Klasse begleiten. Alle Adressen dieser Einrichtungen finden Sie auf www.szblind.ch/kontakte

In der Liste wählen Sie je nach Interesse den Bereich Schulen, Beratungsstellen für heilpädagogische Früherziehung oder Beratung und Ambulante Beratung und Unterstützung in Schulen (B+U).