Transportunternehmen rüsten ihre Billetautomaten um

Seit über zehn Jahren führen Vertreter und Vertreterinnen des Sehbehindertenwesens Gespräche mit den Verkehrsbetrieben in der Schweiz. Jetzt werden Ticketautomaten aufgerüstet und der Billetkauf für blinde und sehbehinderte Menschen ermöglicht: mit Vier Quadranten-Monitoren am Automaten, anforderbarer Unterstützung via Handy oder mit einem Ticket, das über eine kostenlose Nummer bestellt wird.

Von Gerd Bingemann und Zoran Georgiev

Ein blinder Mann tastet die Nummer des Automaten nach und ruft die Hotline des Transportunternehmens an.

Am Billetautomaten lässt sich der Touchscreen jetzt umgehen.
Bild: Ann-Katrin Gässlein

Anlass für die Gespräche waren die Pläne der Transportunternehmen – vor allem der SBB, des ZVV und der RhB – für den Kauf von Billets im grösseren Stil Automaten zu entwickeln. Seit 2012 ist die Nachrüstung dieser Automaten ein wichtiges Thema, denn auch für sehbehinderte und blinde Menschen muss der Billetkauf möglich und barrierefrei sein.

Erste Lösungsvorschläge für den Billetkauf

In einer ersten Phase stellten die Transportunternehmen verschiedene Lösungspakete zur Diskussion: Vier Quadranten-Lösung am Ticketautomaten – dabei wird der Berührungsbildschirm des Ticketautomaten in vier gleich grosse Quadranten aufgeteilt; in jedem ist ein bestimmtes Ticket hinterlegt, der Kaufprozess geschieht durch Sprachbestätigungen der Bildschirmberührungen. Telefontickets – dabei werden alle Tickets über ein Festnetz- oder ein Mobiltelefon gekauft; eine einmalige Registrierung ist erforderlich, der Anruf gratis, die Bezahlung geschieht mittels Kreditkarte oder gegen Rechnung. Und die Automaten-Hotline: Kundinnen und Kunden, die beim Automaten stehen, können mit einem Anruf an die am Automaten angegebene Telefonnummer ihren Ticketwunsch und den Standort des Automaten bekanntgeben. Die Identifikation des Automaten wird durch eine Nummer am Automaten selber ermöglicht. Aufgrund dieser Angaben wird das Ticket durch Fernbedienung des betreffenden Automaten bereitgestellt und nach Abschluss des Zahlungsvorgangs ausgegeben.

2013 waren die ersten Prototypen im Einsatz: Getestet wurden Fernsprechverbindungen am Automaten. Diese stellten sich als umstrittener Lösungsansatz heraus. Das Sehbehindertenwesen plädierte für eine Ausrüstungslösung mit drei Elementen für den Billetkauf:

  • Anforderbare Unterstützung via Handy (statt Sprechverbindung) am Automaten selbst, wobei die ID und die Telefonnummer des Automaten in Braille und Reliefschrift angebracht werden
  • Vier Quadranten-Monitor mit Sprachausgabe Telefonticket über die kostenlose Nr. 0800 181 181 11.

Erste Automaten ausgerüstet

Die ersten Automaten mit Telefon-Helpline wurden am 1. Dezember 2015 eingeweiht. Diese Automaten sind nun auch mit Nummernschildern versehen: Sie befinden sich unabhängig vom Automatentyp jeweils an der Oberkante des Displays und enthalten eine Telefonnummer sowie eine Automaten-ID in visueller Reliefschrift. Per Handy kann man diese Gratisnummer (0800 114477) anrufen und die ID des zu nutzenden Automaten durchgeben. So wird der Automat vom Call-Center Handicap identifiziert und per Fernzugriff gemäss den Wünschen des sehbehinderten Kunden gesteuert. So kann der Bezug von Tickets und anderen Dienstleistungen vor Ort ermöglicht werden. Den Touch-Screen kann man so umgehen. Bezahlen lässt sich bar, mit EX-Karte, Post- oder Kreditkarte direkt am Automaten, der dann das gewünschte Ticket ausspuckt.

Reliefschrift statt Braille

Es zeigte sich im Prozess der Nachrüstung, dass unterschiedliche Automatenausführungen nicht gleich viel Platz boten. Die Schweizerische Fachkommission „Sehbehinderte im öff. Verkehr“ (SÖV) entschied sich daher für eine visuell und taktil vernünftig erkennbare Reliefschrift mit kontrastreichem Hintergrund und verzichtete aus Platzgründen darauf, eine zu kleine Reliefschrift plus Braille zu platzieren. Im Vergleich zu blindenschriftkompetenten Bahnkundinnen und –kunden können damit zahlenmässig mehr sehbehinderte Reisende erreicht werden. Ausserdem sind die Alternativen zum Kauf eines Tickets per Telefon gegen Rechnung oder via Smartphone erprobt. Bis Mitte 2016 soll der Umrüstungsprozess bei der SBB beendet sein. Beim ZVV läuft aktuell die Ausschreibung und Beschaffung der Schilder.

Nach etwas Aufregung um den Verzicht der Braille-Beschriftung ist es nun ruhig geworden. Blinde und sehbehinderte Bahnkundinnen und –kunden haben Zeit, sich an die neuen Angebote zu gewöhnen. Dazu trägt auch bei, dass der Ticketkauf nach wie vor online, am Bahnschalter oder gegen Rechnung möglich ist, und dass es zudem Handytickets, Streckenabonnements, Generalabonnements mit Behindertenrabatt und das Reisen mit sehender Begleitung (via Behindertenbegleiterkarte kostenlos) gibt.

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Was ist eigentlich die SöV?

Die Schweizerische Fachkommission „Sehbehinderte im öffentlichen Verkehr“ (SöV) setzt sich zum einen aus betroffenen Nutzerinnen und Nutzern des öffentlichen Verkehrs und zum anderen aus Fachpersonen aus den Bereichen O&M und Low Vision zusammen. Ergänzt wird die SÖV durch einen Vertreter von Inclusion Handicap sowie einem erfahrenen Mitarbeiter der ehemaligen Fachstelle BÖV. Sie arbeitet mit Anbietern von Dienstleistungen des Öffentlichen Verkehrs zusammen, wo es um die Zugänglichkeit für Reisende mit Sehbehinderung geht – insbes. natürlich bei der Durchsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes auf diesem Gebiet. Dies vor allem in Form von Beratungen, Anwendertests und Begleitungen von Projekten wie Neuanschaffungen und Renovationen von Rollmaterial, Konzepten oder Bahnhofsumbauten. SöV-Mitglieder sind auch beim Behindertenbeirat SBB und dessen Facharbeitsgruppen (Infrastruktur, Rollmaterial und Kundeninformation) sowie in der Schweizerischen Fachkommission für sehbehinderten- und blindengerechtes Bauen engagiert.