Sport in der Freizeit ist Teil von Inklusion

Die Geschichte von Blindspot nahm ihren Ausgang bei einem Wintersportlager für Jugendliche mit und ohne Sehbehinderung oder Blindheit. Unter dem Motto „Unmögliches möglich machen“ führt die Nonprofit-Organisation heute mehrere erfolgreiche Projekte mit viel Herzblut und will Inklusion als Haltung in der Gesellschaft verankern.

Von Ann-Katrin Gässlein

Kinder und Jugendliche in sommerlicher Sportkleidung bei einem Camo von Blindspot. Bild: zVg„Alle Menschen profitieren von Inklusion“, so Jonas Staub, Geschäftsleiter von Blindspot. „Ein junger Mensch mit Sehbehinderung, der sich nur unter seinesgleichen bewegt und von der Welt ‚draussen‘ abgeschirmt wird, hat kaum Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln. Seine Umwelt schont ihn aus Rücksichtnahme, er selbst hat vielleicht Angst vor Zurückweisung – so entsteht aber Leben in einer Blase.“

Inklusion bedeutet Gewinn für alle

Inklusion bedeute, diese Entwicklung ins Gegenteil zu verkehren. Wenn Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung einfach das tun, was ihnen wirklich Spass mache, stellen sie fest, dass sie mehr verbindet als trennt. „Jugendliche ohne Behinderung, die seit Jahren bei uns dabei sind, gehen miteinander einfach entspannt um. Sie sind nicht fürsorglich, sondern behandeln andere Jugendliche mit Behinderung ganz normal, machen Witze und albern untereinander.“ Alle profitieren von einer vielfältigen Gruppe und erhöhen ihre Sozialkompetenzen)

Diesem Gedanken lag die Gründung von Blindspot im Jahr 2005 zugrunde. Als erstes Projekt lancierte Jonas Staub (Sozialpädagoge und Geschäftsführer Blindspot) mit Gleichgesinnten ein Wintersportcamp für Jugendliche mit und ohne Sehbehinderung. Bis heute finden die Wintersportprogramme, vornehmlich in Saas Fe, statt und haben nichts an Beliebtheit eingebüsst. Sie bestehen aus einem Camp für Kinder, einem für Jugendliche und vier Wintersportwochenenden. Im Wintercamp sind Guides dabei – Schneesport-Profis, die Zusatzausbildungen absolviert haben, um blinde und sehbehinderte Menschen beim Wintersport zu begleiten. „Guides müssen selbst sehr gut Ski oder Snowboard fahren können, denn sie müssen sich voll und ganz auf die begleitete Person konzentrieren“, weiss Jonas Staub. „Die Guides übernehmen vor allem die Funktion der Augen. Den Sport an sich treibt die Person mit Sehbehinderung oder Blindheit aber selbst.“ In allen Projekten arbeitet Blindspot mit Profis zusammen, welche Experten ihrer Sportart und methodisch-didaktisch erfahren sind. Oft ist viel mehr möglich, als allgemein gedacht wird – eigentlich fast alles, was den Kindern und Jugendlichen Spass macht.

Schon ein Jahr nach der Gründung erweiterte Blindspot sein Angebot und öffnete sich auch gegenüber Kindern und Jugendlichen mit anderen Behinderungen. 2009 lancierte die Organisation mit diversen nationalen und regionalen Partnern aus dem Jugend-, Kultur-, Gesundheits- und Sozialbereich das Sommerprojekt „Cooltour“. Während acht Tagen verbringen jährlich etwa 80 Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung eine erlebnisreiche Zeit: Sie schlafen in 6er-Zelten, kochen und essen zusammen, besuchen Kurse wie Boxen, Skaten, Breakdance – und stellen dabei fest, dass Menschen mit und ohne Behinderung eigentlich mehr verbindet als trennt: „Ich habe gelernt, das Leute mit Behinderung eigentlich dasselbe machen können. Und dass die Behinderung erst zu einem Problem wird, durch die Aussenwelt“, berichtet eine Cooltour-Teilnehmerin ohne Behinderung.

Im Zeltlager engagieren sich das Blindspot-Personal und zahlreiche Freiwillige – junge Erwachsene in pädagogischer Ausbildung, Zivildienstleistende und andere. „Es ist immer eine emotionale und lehrreiche Zeit für uns alle“, lächelt Jonas Staub. Viele Eltern berichten, dass ihre Kinder aktiviert und euphorisch aus den Ferien zurückkämen: „Marco geht mehrmals pro Jahr in ein Lager, aber wenn er aus eurem Lager zurückkommt, ist er wie eine aktivierte Bombe. Er platzt fast von Ideen, Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit“, berichtet eine Mutter. 2016 wurde Cooltour mit dem „PrixPrintemps“ ausgezeichnet und erhielt anlässlich der Verleihung zusätzlich den Zuschauerpreis.

Beratung von Schulen und Einrichtungen

Mittlerweile haben sich die Aufgaben der NPO vervielfacht. Neben den Freizeitaktivitäten führt Blindspot das Projekt „Inklusion macht Schule“: Es besteht darin, Organisationen aus dem Behinderten- und Nichtbehindertenbereich, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen, zusammen zu bringen und den Austausch zu fördern. Konkret gehört beispielsweise dazu, dass bei der Evaluation von neuen Spielplätzen eben auch Schülerinnen und Schüler mit Behinderung gefragt werden. Oder dass Regelschulen und Sonderschulen, die in unmittelbarer Nähe liegen, einen gemeinsamen Sporttag veranstalten.“ Inklusion ist nicht einfach eine Idee, sondern eine Haltung – und wir wollen, dass sich diese Haltung in unserer Gesellschaft durchsetzt“, so Jonas Staub.

Für die Zukunft hegt die Förderorganisation Ambitionen. 2016 kaufte sie ein zentral gelegenes Haus im Länggassquartier in Bern und baute es in ein inklusives Restaurant namens „Provisorium 46“ um. Junge Erwachsene mit Behinderung haben hier die Möglichkeit, während einer individuell festgelegten Zeit Kompetenzen für den ersten Arbeitsmarkt zu erwerben. Neben fachlichen Fertigkeiten wird der Fokus auf die zwischenmenschlichen Kompetenzen und den Sozialraum gelegt, damit die Inklusion ganzheitlich wird. Die Projektteilnehmenden arbeiten Hand in Hand mit Gleichaltrigen ohne Behinderung. Das Haus soll ausgebaut werden – barrierefrei zuallererst, dann sind Sitzungs- und Konferenzräume im Keller sowie Wohnungseinheiten für junge Menschen mit und ohne Behinderung in den oberen Geschossen vorgesehen. Auch hier ist das Ziel: Die Selbstbestimmung junger Menschen mit Behinderung mitten in der Gesellschaft zu fördern.

Weitere Informationen: www.blindspot.ch und www.provisorium46.ch