In St. Gallen lässt der Milestone Busse «zwitschern»
von Ann-Katrin Gässlein

Seit 1. Januar 2012 ist das Informations- und Navigationssystem PAVIP Transport des Ingenieurbüros Bones in St. Gallen in Betrieb. Ein Jahr lang testen geschulte Personen die Ansagen von Busnummern und Haltestellen, Verspätungsmeldungen und das akustische Lokalisieren von Fahrzeugen.

Einmal auf dem Milestone 312 installiert, funktioniert PAVIP Transport auf raffinierte Weise:
Sobald ein Bus einfährt, werden Nummer und Zielrichtung gemeldet. Nun folgt die «Anbindung» an den Bus: «PAVIP sendet ein Signal und verknüpft sich mit der Box, die in allen Bussen installiert wurde», erklärt Domenica Griesser, Präsidentin der Sektion Ostschweiz des SBV, Testperson für PAVIP und Sozialarbeiterin bei obvita Sehberatung für Erwachsene. Mit gespitzten Ohren weiss der PAVIP- Nutzer, wo er den ausgewählten Bus suchen muss; es verhält sich «wie bei einem Blind Date», lacht Domenica Griesser. Denn mit Hilfe des Milestone kann der Fahrgast nun ein akustisches Signal auslösen, das wie das Zwitschern von Vögeln klingt. Dieses hilft dem sehbehinderten Fahrgast, das Fahrzeug zu lokalisieren. Der Buschauffeur wiederum weiss, dass sich ein PAVIP-Benutzer «angebunden» hat und kann ihm die Wagentüre öffnen. Dadurch entfällt das mühsame Suchen nach dem Türöffner. Im Wageninneren lassen sich alle Haltestellen der entsprechenden Linie abrufen, und der Ausstiegswunsch wird wiederum mittels Druckknopf beim Chauffeur platziert.

Technische Schönheitsfehler

Um PAVIP – das sich als Standard-System für den öffentlichen Verkehr etablieren will – in der Schweiz zu testen, wurde bereits 2006 vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderung EBGB ein Beitrag für die Pilotanlage gesprochen. Der Rest wird vom SBV finanziert, der das ganze Projekt auch leitet. Nachdem zunächst Bern als Versuchsstadt im Gespräch war, konnten schliesslich die Verkeh

rsbetriebe St. Gallen (VBSG) sowie obvita Sehberatung für Erwachsene als Partner gewonnen werden. Die VBSG erklärten sich bereit, die Geräte in den Bussen zu installieren, die obvita Sehberatung für Erwachsene wiederum schult blinde und sehbehinderte Personen im Umgang mit PAVIP und gibt die Geräte an die Nutzerinnen und Nutzer ab.

PAVIP – die Abkürzung steht für «Personal Assistant for Visually Impaired People» – ist eine Plattform zur Erhöhung der Autonomie und Mobilität sehbehinderter und blinder Menschen, und sein Grundgerät, der Milestone, wird bereits als Audio- Guide, elektronischer Kiosk und zur Identifi kation von Medikamenten erfolgreich genutzt. Allein das
Modul «Transport» hat seine Tücken: «PAVIP meldet ‹Bus fährt ein› – aber diese Ansage kann sich manchmal auch auf einen abfahrenden Bus beziehen », weiss Domenica Griesser zu berichten. Das Zwitschern überhört man leicht i

m Chaos am Busbahnhof oder am Marktplatz; einige Busse halten trotz Anbindung nicht, und nach Einschätzung einiger Testpersonen eignet sich das System vor allem für Ortskundige. Den grossen Vorteil von PAVIP sieht SBV-Geschäftsführer Kannarath Meystre in der Integration im Milestone 312. Der Milestone ist bekannt und etabliert unter den Blinden und Sehbehinderten. Das kann auch Sandra Menghini, Leiterin der Sehberatung von obvita Sehberatung für Erwachsene, bestätigen: «Die ‹digital natives› haben kein Problem, PAVIP sofort anzuwenden.» Da neben gebe es aber auch die Gruppe der Blinden und Sehbehinderten, die zunächst im Umgang mit dem Milestone geschult werden mussten. «Es hängt stark vom Alter ab, ob man noch mit einer neuen Technologie lernen will und kann. Um ‹nur mit dem Bus zu fahren› fragen diese Personen vielleicht lieber schnell andere Reisende.»

Konkurrenz durch Smartphones?
Und kann die rasante Entwicklung im technologischen Bereich für PAVIP zur Konkurrenz werden? Wäre nicht schon heute das iPhone die bessere Alternative? «Nur wenig Blinde und Sehbehinderte nutzen Smartphones schon heute», meint Daniel Pulver, Bereichsleiter Kommunikation, Marketing und Interessenvertretung beim SBV. Man müsse dies fördern, dürfe aber nicht einseitig investieren. «Im Blinden- und Sehbehindertenwesen müssen wir verschiedene Sprachen sprechen.»
Smartphones haben gegenüber PAVIP eindeutige Vorteile: Es müssen beispielsweise keine teuren Geräte in den Bussen vor Ort installiert werden und der Abruf von Fahrplänen ist schweizweit möglich. Auf der anderen Seite kann nur PAVIP direkt mit dem Bus kommunizieren und kann aktuelle Informationen, wie etwa kurzfristige Kursänderungen oder Sonderfahrten, abrufen.

 

Und wie schätzt der SBV selbst die Zukunft von PAVIP in der Schweiz ein? «Wenn sich die Pilotanlage in St. Gallen bewährt, suchen wir das Gespräch mit anderen Verkehrsbetrieben», meint Daniel Pulver. Dabei werden auch die Kosten eine Rolle spielen: Zwar werden künftige Bus-Installationen voraussichtlich günstiger ausfallen als die Entwicklung des ganzen Systems, die einen sechsstelligen Betrag kostete, aber gratis ist PAVIP Transport in Zukunft sicher nicht zu haben.