Eine durchaus subjektive Betrachtung mit der Beschränkung
auf zwei Aspekte

In den vergangenen 30 Jahren hat sich ein fast flächendeckendes Netz kantonaler Beratungsstellen etabliert, welche neben den anderen Rehabilitationsdisziplinen meist auch eine Low Vision-Beratung anbieten. 2012 wurde auch der erste eidgenössisch anerkannte Lehrgang für Rehabilitationsfachleute im Sehbehindertenwesen mit Schwerpunkt Low Vision erfolgreich abgeschlossen.

von Arnd Graf-Beilfuss

Eine beschlagene Fensterscheibe trübt die Sicht nach aussen, aber ein kleiner Spalt steht offen und offenbart helle Abendröte und Wiesen.

Die Betreuung und Beratung sehbehinderter Menschen ist eine konzentierte Aktion einer ganzen Reihe von Fachbereichen. Keine der im Low Vision-Umfeld tätigen Fachbereiche wird in der Regel die erforderlichen Massnahmen allein durchführen können. Deshalb ist eine gut funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich. Was auch fachterminologisches Verständnis aus anderen Berufsrichtungen voraussetzt.

Ein Wort für die Prüfung der Kontrastwahrnehmung

Es geht mir an dieser Stelle nicht um die wiederholte Definition des Kontrasts, oder die Beschreibung des probaten technischen Vorgehens, wie die Kontrastwahrnehmung ermittelt werden kann. Hierzu gibt es bereits eine ganze Reihe von Publikationen einschliesslich der SZBLIND-Kursunterlagen, in denen die einzelnen Schritte bis hin zur Auswertung und Einschätzung der praktischen Einschränkungen minutiös wiedergegeben werden.

Seit vielen Jahren ist die Prüfung des Kontrastsehens im Low Vision-Bereich recht gut verankert und gehört zu den obligatorischen Prüfungen, wenn es um die Einschätzung der Sehleistung geht. Die Wahrnehmung für schwache Kontraste ist bei vielen Menschen beeinträchtigt, ob als Folge des fortgeschrittenen Alters, oder einer Sehbehinderung. Veränderungen in der Kontrastwahrnehmung beeinfl ussen wiederum sehr nachhaltig den Lichtbedarf, die Mobilität und somit viele Aktivitäten im Alltag. Vor allem aber wird die Lesefähigkeit und damit die selbständige Lebensführung und Lebensqualität beeinträchtigt. So ist es durchaus möglich, dass eine betroffene Person – trotz eines Visus von 0.4 oder gar 0.5 – wegen einer stark reduzierten Kontrastwahrnehmung dennoch nur sehr mühsam lesen kann, oder z. B. bei Spaziergängen auffallend häufig stolpert.

Leider hat die Prüfung der Kontrastwahrnehmung noch nicht bei allen Berufsgruppen, die mit sehbehinderten Menschen tätig sind, einen vergleichbaren Stellenwert. Stattdessen wird nach wie vor die Feststellung des Visus als «DER Nachweis » für die Leistungsfähigkeit des Auges  betrachtet. Das ist zwar berechtigt, wenn nur eine Aussage zum retinalen Aufl ösungsvermögen unter weitgehend photopischen Bedingungen (dem Tagessehen) getroffen werden soll. Schliesslich repräsentiert dieser aus der Prüfung mit Sehtestmaterialien im hohen Kontrast hervorgegangene Wert lediglich etwa 5 Prozent der in der Retina vorhandenen lichtempfindlichen Rezeptoren.

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In der Abbildung sieht man gleich grosse fünf Sehzeichen (Landoltringe). Einzig deren Kontrast (Intensität) nimmt nach rechts hin ab. Aus zunehmender Distanz ist es bei heller werdenden Sehzeichen immer schwieriger, die Lage der Öffnung eindeutig zu benennen. Hier wird deutlich, dass das Auflösungsvermögen allein kaum als brauchbare Grösse geeignet ist, denn dann müsste die Ausrichtung aller fünf Sehzeichen problemlos erkannt werden.

Die im Sehbehindertenwesen angewandte Methode ist ausgesprochen praxisorientiert und einfach anwendbar. Grundsätzlich werden Visus stufen mit üblichen Optotypen im hohen und im niedrigen Kontrast miteinander verglichen. Die Differenz der Visus-, respektive Logstufen ist Ausdruck der reduzierten Kontrastwahrnehmung.

Optische Ursachen für eine Kontrastminderung
Der Korrektionszustand

Es erstaunt nicht, dass eine reduzierte Kontrastwahrnehmung der betroffenen Person in der Regel deutlich schneller registriert und nachhaltiger in den Auswirkungen befunden wird, als ein leicht abnehmender Visus. Jede Fachperson, die eine Brillenglasbestimmung durchführt, macht sich dieses Wissen um die Bedeutung des Kontrastumschlags zunutze und fragt explizit danach. Denn eine leichte Überkorrektion in Richtung Plus wird meist deutlich drastischer empfunden, als ein (altersbezogen) reduzierter Visus. Dass immer noch Betroffene ohne, oder mit nur unzureichend korrigierter Fehlsichtigkeiten zu finden sind, erstaunt daher sehr.

Der Irrglaube, dass eine Brille, die nicht spontan die Sehschärfe anhebe, nicht nütze und daher weggelassen werden könne, ist nicht zielführend. Bereits durch eine unzureichende, oder gar fehlende Korrektion einer Fehlsichtigkeit werden durchaus vermeidbare Einschränkungen in der Kontrastwahrnehmung bei gleichzeitiger Zunahme der Blendung verursacht. So sollte bei ametropen (fehlsichtigen Personen) trotz einer Sehbehinderung immer ein bestmöglicher Korrekturzustand angestrebt werden. Zudem hat die Brille eine nicht zu unterschätzende Schutzfunktion. Hier sind alle Fachleute zur Aufklärung aufgefordert.

Medizinische Aspekte

Die medizinischen Ursachen sind vielfältig. Bereits ein beginnender grauer Star, Glaskörpertrübungen bis hin zu Erkrankungen, die im weiteren Verlauf zu einer Sehbehinderung führen, verursachen funktionale Störungen in der Retina –  zentral, aber vor allem auch in der Peripherie, die für die Kontrastverstärkung massgeblich ist. Rückschlüsse auf reale Einschränkungen im Alltag lassen sich erst unter Einbezug der Information aus der Prüfung der Kontrastwahrnehmung ziehen. Der dafür erforderliche Zeitaufwand ist derart gering, dass das Argument, hierfür sei keine Zeit, nicht gerechtfertigt ist. Gerade weil die Kontrastwahrnehmung so eng an den Lichtbedarf gekoppelt ist und weitreichende konsequenzen für die Selbständigkeit und Lebensqualität der betroffenen Personen hat, kommt der Beleuchtungsberatung eine besondere Bedeutung zu.

Die Beleuchtungsberatung

Auch in diesem Bereich fand in den letzten Jahren eine stete Entwicklung statt. Gerade das Verständnis für die Notwendigkeit der Verbesserung der allgemeinen Beleuchtungssituation sehbehinderter, oder auch generell älterer Menschen, bekam einen besonderen Stellenwert. Die physiologischen und auch patho-physiologischen Veränderungen sowie der damit verbundenen Folgen sind allen Fachleuten bekannt. Bereits der im Alter meist deutlich kleineren Pupillendurchmesser verursacht einen teilweise mehrfach höheren Lichtbedarf als im mittleren Lebensalter. Katarakte oder auch Sehbehinderungen tun ein Weiteres. Gleichsam ist die Optimierung der  Beleuchtung für Betroffene die einfachste und nachhaltigste Massnahme zur Verbesserung der Lebensqualität. Für eine erfolgreiche Rehabilitation ist jedoch die Berücksichtigung beleuchtungstechnischer Erfordernisse angesichts dieser sehr häufig an das Alter gekoppelten Veränderungen eine der Grundvoraussetzungen für die Erhaltung der Selbständigkeit und Lebensqualität. Die schon in Vergangenheit vollständig in die Low Vision-Versorgung integrierte Lichtberatung sowie die Schulung zur Einrichtung der oft abgegebenen Arbeitsplatz- und Leseleuchten macht nun einen Schritt weiter in Richtung einer umfassenderen Beleuchtungsberatung.

Die Beleuchtungsberatung sehbehinderter Menschen ist für fast alle involvierten Berufsgruppen eine besondere Herausforderung. Auch hier ist eine fachübergreifende Zusammenarbeit nötig, damit allen Fachleute ausserhalb des Sehbehindertenwesens (Elektriker, Architekten, etc.) die spezifischen Kriterien für eine sehbehindertengerechte Beleuchtung kennen. Um zu vermitteln, hat die SZBLIND-Koordinationsstelle für beleuchtungsfragen in Zusammenarbeit mit der Firma Lichtbau in Worb eine erste Reihe von vier Merkblättern zu spezifischen Situationen für die sehbehindertengerechte Beleuchtung herausgegeben. Diese können beim SZBLIND bestellt oder auf der SZBLIND-Internetseite heruntergeladen werden.

Die Umsetzung der Beleuchtungsberatung für sehbehinderte Menschen liegt in den Händen der Institutionen des Sehbehindertenwesens. Doch werden die vorhandenen Weiterbildungs-angebote für die Low Vision-Fachpersonen noch etwas zögernd genutzt. Hier sind die einzelnen Institutionen gefordert.

Zwar wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten sehr viel erreicht, doch gibt es in einigen Bereichen durchaus noch Entwicklungspotentiale. Manche, wie die allgemeine Prüfung der Kontrastwahrnehmung sind wünschenswert, andere, wie die Beleuchtungsberatung sind «auf dem Weg». Weitere Themen, etwa die systematische Beratung und Versorgung mehrfachbehinderter Menschen, sind immer noch recht weit davon entfernt, ein selbstverständlicher Teil unserer täglichen Low Vision-Arbeit zu sein. Nehmen wir also alle drei genannten Bereiche als Ansporn, zu konsolidieren, voranzubringen und zu entwickeln.