Lange war ich nicht mehr Auto gefahren. Einmal habe ich mich wieder hineingesetzt, bin in den Eichtunnel mit starker Linkskurve gefahren und konnte einige Sekunden gar nichts sehen, beim Wechsel von hell auf dunkel. Sofort habe ich abgebremst, mein Mann schimpfte  und meinte: Machst du einen Blindflug – wobei er recht hatte! Einige Sekunden später bin ich wieder normal weiter gefahren, sowie sich meine Augen ans Licht gewöhnt hatten.

Von Heidi Lattmann

Manchen Betroffenen bleibt mit AMD nur ein kleiner Sehrest. Bild: photocase.com

Manchen Betroffenen bleibt mit AMD nur ein kleiner Sehrest.
Bild: photocase.com

Mein erster Augenarzt konnte nichts sagen; als ich mir eine Zweitmeinung einholte, erfuhr ich: AMD. Die Augen würden schlechter werden, bis ich irgendwann  fast nichts mehr sehen werde. Drei Monate stand ich unter Schock. Das musste ich erst mal verdauen. Ich war 64 bei der Diagnose; in meiner Familie war AMD bislang noch nicht vorgekommen.

Jetzt kann ich damit leben. Ich weiss zwar, dass ich je länger je weniger sehen werde, aber ich werde nicht blind. In der Mitte, gerade aus, ist ein toter Punkt. Bei Zeitungslesen muss ich immer den Kopf etwas bewegen, um alle Buchstaben zu erwischen. In meiner Sicht sind die Hausmauern gewellt, die Strassenlampen stehen nicht gerade. Ich habe mich aber daran gewöhnt, dass alles etwas krumm steht. Menschen auf der anderen Strassenseite erkenne ich nicht, auch wenn ich sie sehe. Doch alle Freundinnen und Kolleginnen, die mich sehen, rufen und winken – dann erkenne ich sie an der Stimme. Spätabends kann ich nicht mehr alleine nach Hause, weil ich in der Dunkelheit fast nichts mehr sehe. Meist habe ich eine Taschenlampe dabei, denn wenn alles die gleiche Farbe – grau – hat, sehe ich Unebenheiten und Erhöhungen nicht und stolpere über alles.

Lange habe ich Sport getrieben und bin immer noch recht fit, das kann mich auffangen. Für Fahrten mit dem Bus und dem Zug habe ich das GEA. Es kommt nämlich vor, dass ich nicht genau sehe, wohin der Zug fährt, die grünen Farben mit den Zahlen erkenne ich – je nach Lichtverhältnis – nicht mehr. Wenn die Sonne scheint, sowieso nicht. Ich steige auch immer wieder in den falschen Bus und bin dann plötzlich Richtung Kriens unterwegs, obwohl ich doch die Nummer 7 wollte, statt der 1. Doch dann steige ich einfach aus und wechsle die Strassenseite. Solche Sachen passieren jetzt einfach öfter. Das Billet zum Autofahren habe ich abgeben, auch Velo fahre ich nicht mehr, da wechseln Licht und Schatten zu schnell für mich.

Gegen AMD kann man nichts machen. Ich trage immer eine Sonnenbrille, zusätzlich einen Schattenhut, wenn ich wandern gehe; ich nehme Vitamine, vom Augenarzt verschrieben, welche die Krankenkasse aber nicht bezahlt, und esse viel frisches Gemüse, Salat und Obst. Aber das ist schliesslich für jeden Menschen gut. Meinen Haushalt mache ich noch selbst. Wenn ich die Wäsche zusammenlege, kommen die blauen T-Shirts immer auf die weissen, damit ich sie später von den schwarzen unterscheiden kann. Am Herd habe ich auf die schwarzen Schalter, weisse Punkte auf die höchste Nummer geklebt. Das hilft mir bei der Wahl der Wärme. Wenn ich in die Ferien verreise, nehme ich den Blindenstock mit, und zwar den leichtesten, den man zusammenlegen kann. Wenn ich am Flughafen in Amsterdam nicht sehen kann, welches Laufband ich nehmen muss, helfen mir die Leute, wenn sie den Blindenstock sehen. Hilfe, die ich sonst nicht bekommen würde.

Man muss die Krankheit akzeptieren, das ist die einzige Möglichkeit. Doch alle meine Kolleginnen haben so ihre Krankheiten. Ich habe eben etwas mit den Augen. Ansonsten bin ich gesund, kann noch verreisen und war im Frühjahr sogar in Namibia. Viele Tiere habe ich gesehen, ausser jenen, welche zu weit entfernt waren. Da halfen mir meine Mitreisenden und zeigten mir die Richtung, wo ich fotografieren sollte. Meine Fotokamera hatte ja gute ,,Augen“. Zu Hause bei meinem Sohn und den vier Enkeln schauten wir die Bilder auf seiner Grossleinwand an, und es machte grosse Freude! Ich hoffe, dass ich solange es geht, noch Reisen unternehmen kann. Man weiss ja nicht, wann es schlechter wird, oder ob es noch eine Weile so bleibt mit den Augen.