Editorial 4/2025
Akzeptieren heisst nicht aufgeben
Liebe Leserin, lieber Leser
Akzeptanz und Resilienz – grosse Worte, die im Alltag von Menschen mit einer (Hör-)Sehbeeinträchtigung sehr persönlich werden. In dieser Ausgabe zeigen drei Stimmen, was sie bedeuten kann: eine Betroffene, eine Sozialarbeiterin und ein Psychologe. Drei Wege – ein gemeinsames Ziel: weiterleben, trotz allem.
Celine van Till, Spitzensportlerin und Politikerin, steht für die Kraft des Neubeginns. Nach einem schweren Unfall lernte sie, neu zu gehen, zu sehen und ihr Leben zu gestalten. «Rien n’est définitif», sagt sie – nichts ist endgültig. Ihre Geschichte zeigt: Akzeptanz heisst nicht, sich abzufinden, sondern mutig weiterzugehen.
Astrid von Rotz, Fachbereichsleiterin Sozialarbeit SZBLIND, kennt andere Seiten. Sie spricht von Momenten, in denen «alles rot blinkt» – wenn Verständigung nicht mehr gelingt oder Einsamkeit droht. Für sie beginnt Akzeptanz dort, wo man wieder kleine Brücken baut: zwischen Menschen, zwischen Bedürfnissen, zwischen Hilfe und Eigenständigkeit. Ihr Ziel: dass die innere Ampel von Rot auf Orange – oder sogar auf Grün – springt.
Der Psychotherapeut Stefan Rehmann beschreibt diesen Weg als Wellenbewegung. Auf Widerstand folgen Trauer, Orientierung, Zuversicht – und manchmal Rückschläge. Entscheidend ist für ihn, die eigene Handlungsfähigkeit zu spüren. Selbstwirksamkeit nennt er das: zu erleben, dass man trotz Einschränkung gestalten, entscheiden und Einfluss nehmen kann.
Alle drei zeigen: Akzeptanz ist keine einmalige Entscheidung. Sie wächst im Alltag – im Austausch mit anderen und in der Bereitschaft, Neues zu versuchen. Und sie lebt von Beziehungen, die Halt geben.
Auch Kinder können das lernen. Das Forschungsprojekt Emoti-Sens der Universität Genf zeigt, wie blinde Kinder mithilfe von Tönen und Tastobjekten Gefühle erkennen und ausdrücken lernen. Eine schöne Erinnerung daran, dass emotionale Bildung Teil der Inklusion ist – und dass wir alle dabei lernen können.
Akzeptanz und Resilienz sind mehr als persönliche Stärke. Sie entstehen im Miteinander. Wenn wir offen bleiben, zuhören und Brücken schlagen, wird aus der Einschränkung vielleicht kein Verlust – sondern ein neuer Zugang zum Leben.
Ich wünsche Ihnen eine anregende und bereichernde Lektüre.
Kathrin Schellenberg, Chefredaktorin tactuel


