Hörbuch-Tipp


Anna Metcalfe: Chrysalis
Elliot lernt sie im Fitnessstudio kennen, wo sie in unpassender Kleidung auftaucht und dem Trainer ihren Plan kundtut, stärker, massiger, stabiler zu werden. Elliot ist fasziniert von dieser Frau und ihrem Plan, sich zu verwandeln. Es entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte zwischen ihnen. Bis sie ihn verlässt. An ihrem letzten Abend erzählt sie ihm von ihrem Exfreund Paul, der sie misshandelt habe. Nicht körperlich. Paul habe einfach immer mehr die Kontrolle über ihr Leben gehabt, sie manchmal tagelang in einer Rumpelkammer eingeschlossen.
Ihre Mutter Bella kennt sie ganz anders. Als Kind und Jugendliche litt sie unter unkontrollierbarem Zittern, das ihren Körper erfasste und die beiden erfolglos von Arzt zu Arzt führte.
Ihre Arbeitskollegin Susie ist von ihr genauso gefesselt wie Elliot und bietet ihr Unterschlupf an. Sie erfindet seltsame Yoga-Übungen, die sie nach ihrem Auszug bei Susie online als Videos postet und damit bald tausende Follower um sich schart. Während die einen ihr vorwerfen, ein Guru zu sein und sektenartige Anhänger heranzuzüchten, sehen die anderen in ihr eine Erlöserin.
Die in Deutschland geborene, britische Autorin Anna Metcalfe entwirft in ihrem Debütroman ein faszinierendes Bild einer komplexen Persönlichkeit. Die durchgehend namenlos bleibende Frau wird ausschliesslich aus den drei Blickwinkeln von Elliot, Bella und Susie beschrieben. Das macht den Reiz des Romans aus, denn jeder kennt nur bestimmte Facetten von ihr. Allen dreien gemeinsam ist die Faszination für eine Person, die es tatsächlich schafft, ihre alte Haut abzustreifen und sich in jemand anderes zu verwandeln. Ob nicht auch das nur eine Show für ihre digitale Anhängerschaft ist, ob diese Selbstfindung am Ende nicht nur Selbstinszenierung ist, bleibt unbeantwortet. Die Namenlose erklärt sich nicht, bleibt eine Projektionsfläche, deren Faszination sich auch der Leser nicht entziehen kann.

Metcalfe, Anna: Chrysalis
Hamburg: Rowohlt, 2023. Ausleihe: DS 614

Braille-Tipp


Lukas Maisel: Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete
Stanislaw Petrow springt am 25. September 1983 für einen kranken Kollegen ein und übernimmt die Nachtschicht auf einer Sowjetischen Raketenabwehrbasis. Um null Uhr fünfzehn zeigt das System an, dass eine amerikanische Atomrakete gestartet wurde und in 27 Minuten Moskau erreichen wird. Stanislaw vertraut seinem Bauchgefühl und entscheidet, dass es sich um einen Fehlalarm handelt – trotz weiterer Warnsignale. Damit verhindert er den Dritten Weltkrieg.
Obwohl vielen diese wahre Geschichte zumindest in Einzelheiten bekannt ist, schafft es der 1987 geborene Zürcher Autor Lukas Maisel, eine ungeheure Spannung aufzubauen. Seine in leichten Sätzen verfasste Darstellung von Petrows beschaulichem Alltag macht dem Leser klar, dass hier kein Superman Gewaltiges geleistet hat, sondern ein normaler Familienvater, der Kopf und Kragen riskierte, um seinem Verstand und Gewissen grösseres Gewicht einzuräumen als seinem blindem Gehorsam. Ein Buch, das einen nachdenklich und ehrfürchtig zurücklässt.

Maisel, Lukas: Wie ein Mann nichts tat und so die Welt rettete
Hamburg: Rowohlt, 2025. 1 Bd. 91 S. Ausleihe: BG 42267

Information


Alle vorgestellten Bücher sind ausleihbar bei der SBS Schweizerische Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte: nutzerservice@sbs.ch, Telefon 043 333 32 32, www.sbs.ch

Wir machen zudem auf die App «SBS Leser Plus» aufmerksam, die den mobilen Zugriff auf die Online-Bibliothek ermöglicht. Vor Kurzem ist eine neue Version mit verbesserter Benutzeroberfläche und zusätzlichen Funktionen erschienen. Weitere Informationen im App-Store von Apple.