Interview mit David Mayne

Nahansicht einer Person, die auf einer beleuchteten Laptop-Tastatur tippt. Auf dem Bildschirm des Laptops sind mehrere Zeilen Codes und Befehle in einem Terminalfenster sichtbar.
Das APEX-Programm in den USA bildet blinde und sehbeeinträchtigte Kursteilnehmende
für Berufe in der Netzwerkadministration und Cybersecurity aus. / Bild: Shutterstock.com

Von Michel Bossart, Redaktion tactuel

David Mayne lebt im US-Bundesstaat Michigan, ist 58 Jahre alt – und selbst seit 15 Jahren sehbeeinträchtigt. 2020 gründete er das APEX-Programm, um blinde und sehbehinderte Menschen für Berufe in der Netzwerkadministration und Cybersecurity auszubilden. Im Interview spricht er über seine Motivation, Hürden beim Einstieg – und warum er sich eine Ausweitung nach Europa gut vorstellen kann.

David Mayne / Bild: zVg

David, vielen Dank, dass Sie mit uns sprechen. Lassen Sie uns mit einer einfachen Frage beginnen: Was ist das APEX-Programm?
Kurzgefasst ist es ein Programm, das blinde und sehbeeinträchtigte Kursteilnehmende für Berufe in der Netzwerkadministration und Cybersecurity ausbildet.

Wie kam das Programm zustande? Gab es einen bestimmten Moment oder Auslöser, der Sie und Ihr Team dazu brachte, zu sagen: Das ist notwendig?
Ich habe das Programm 2020 ins Leben gerufen. Es richtete sich anfangs vor allem an Veteranen der US-Armee und deren Angehörige. Dann habe ich die Zahlen der «National Federation of the Blind» gelesen und ich war schockiert: 70 Prozent aller blinden und sehbeeinträchtigten Personen im Erwerbsalter in den USA sind arbeitslos. Meine eigene Sehbeeinträchtigung war ein zusätzlicher Antrieb, das Programm auf diese Zielgruppe auszuweiten. Das dauerte ungefähr ein Jahr. 2023 war es dann so weit: Der Kurs für Netzwerkadministration und Cybersecurity ist nun mithilfe von Screenreadern auch für diese Zielgruppe zugänglich.

Kurz zusammengefasst: Was sind die Hauptziele des APEX-Programms?
Die hohe Arbeitslosenquote unter den Sehbeeinträchtigten zu reduzieren und ihnen eine Karrieremöglichkeit zu bieten. Denn nach der Ausbildung begleiten wir die Absolventen so lange, bis sie eine Arbeitsstelle gefunden haben und helfen auch bei der Integration.

Können Sie erklären, wie genau die Ausbildung abläuft?
Das Programm ist in drei Hauptphasen gegliedert und dauert insgesamt zehn Wochen. In den ersten vier Wochen geht es um die Grundlagen der IT-Sicherheit. Die Teilnehmenden bereiten sich auf das CompTIA Network+ Zertifikat vor. Wir bieten zwei Wochen Unterricht mit Fachpersonen, danach folgen zwei Wochen mit Übungsprüfungen, Video-Tutorials und Quizfragen. Insgesamt investieren die Teilnehmenden rund 20 Stunden pro Woche – plus Hausaufgaben, um die wichtigsten IT-Grundlagen zu vertiefen. In den Wochen fünf bis acht geht es mit dem CompTIA Security+ Modul weiter. Hier steigen wir tiefer in Themen wie Bedrohungserkennung, Risikomanagement und Incident Response ein. Auch hier: erst Unterricht, dann intensives Üben. Die letzten zwei Wochen sind sehr praxisnah. Wir arbeiten mit echter SIEM-Software – also Programmen zur Sicherheitsüberwachung und Ereignisverwaltung. Die Teilnehmenden verbringen rund 50 Stunden in einer Art interaktivem Labor und lernen, wie man Log-Dateien analysiert, Sicherheitsvorfälle einordnet und Berichte erstellt. Es geht nicht nur um Theorie – sondern um konkrete, anwendbare Kompetenzen.

Was passiert nach dem Ausbildungsabschluss?
Nach den zehn Wochen sind die Teilnehmenden ideal vorbereitet, um die CompTIA Network+ und Security+ Prüfungen abzulegen. Diese Zertifikate sind international anerkannt und zeigen, dass man in der Lage ist, mit aktuellen Cyber-Bedrohungen professionell umzugehen. Sie schaffen die Voraussetzungen für den Einstieg in die Branche. Aber wir lassen die Leute nicht einfach mit einem Zertifikat in der Hand stehen. Unser Ziel ist eine nachhaltige Platzierung. Wir prüfen gemeinsam, wo jemand fachlich und menschlich am besten hinpasst. Dabei arbeiten wir eng mit den Unternehmen zusammen, die gezielt nach Talenten suchen – und offen dafür sind, auch Menschen mit Sehbeeinträchtigung eine Chance zu geben. So entsteht für beide Seiten eine Win-win-Situation.

Welche Jobs sind das typischerweise?
Sie können zum Beispiel im Helpdesk-Bereich, in der Netzwerkadministration oder der Cybersecurity arbeiten. Die meisten wollen in die Cybersecurity, auch weil diese Jobs besser bezahlt sind.

Wie viele Studierende haben das APEX-Programm bereits abgeschlossen?
Derzeit beenden der 9. und der 10. Student das Programm. Vier Personen konnten bereits erfolgreich vermittelt werden. Zwei Absolventen haben sich entschieden, selbstständig Arbeit zu suchen und für die anderen suchen wir noch weiter.

Das klingt alles wunderbar. Gab es auch Rückschläge?
Rückschläge vielleicht nicht; aber Schwierigkeiten durchaus: Unsere Kursteilnehmer müssen nicht viel Mathematik können, aber ein paar Sachen halt schon: Umrechnungen zwischen Binärzahlen und Hexadezimalzahlen zum Beispiel. Doch wie bringt man das jemandem bei, der keine Wandtafel sieht? Es dauerte gut zwei Monate, bis ich einen Weg gefunden hatte…

Warum fokussieren Sie die Ausbildung auf Cybersecurity?
Ich selbst habe diesen Hintergrund und leitete verschiedene Cybersecurity-Teams in den USA und in Grossbritannien.

Viele Hilfsmittel, die von blinden und sehbeeinträchtigten Personen verwendet werden, sind internetbasiert. Gibt es da besondere Schwachstellen oder Risiken, die damit verbunden sind?
Nein, blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen sind nicht grundsätzlich stärker gefährdet als sehende. Die gängigen Angriffsvektoren – zum Beispiel Phishing-Mails – funktionieren bei allen ähnlich. Ein Screenreader liest eine E-Mail zwar vor, aber er klickt nichts an. Entscheidend ist, ob die Person die Inhalte kritisch beurteilt – und das ist eine Frage der Schulung, nicht der Sehkraft.

Wie passen Sie Schulungen an Teilnehmende an, die auf Bildschirmlesegeräte oder andere Hilfsmittel angewiesen sind?
Unser Ziel ist, dass der Kurs für alle zugänglich ist – ohne Kompromisse bei den Inhalten. Eine sehende Person könnte das Training absolvieren, ohne zu merken, dass es barrierefrei gestaltet ist. Wir bieten alle Materialien sowohl als Text wie auch als Audio an. Grafiken oder visuelle Elemente werden mit aussagekräftigen Beschreibungen oder Transkripten ergänzt. So können alle im eigenen Tempo arbeiten – sei es mit Screenreader oder im Hörmodus. Wir haben auch Alternativen für Teilnehmende, die mit Screenreadern noch Mühe haben – zum Beispiel, wenn jemand erst kürzlich erblindet ist. In solchen Fällen kann es sein, dass sie gleichzeitig mit der Technik und dem Stoff kämpfen müssen. Dann nehmen wir bewusst Tempo raus, bis sie bereit sind, weiterzugehen.

Wie erfährt man von APEX? Arbeiten Sie zum Beispiel mit Schulen, Selbsthilfegruppen oder Rehabilitationszentren zusammen?
Es sind hauptsächlich Non-Profit-Organisationen, mit denen wir die Zusammenarbeit suchen. Wir haben das Glück, dass Kirk Adams mit an Bord ist. Er ist der ehemalige CEO der «American Foundation for the Blind» und hat immer noch unzählige Kontakte, die wir nutzen können.

Treten Unternehmen aktiv an Sie heran, um APEX-Absolventen einzustellen? Oder gehen solche Partnerschaften eher von Ihnen aus?
Im Moment ist es noch eine Mischung. Wir haben bereits ein paar Unternehmen, mit denen wir fest zusammenarbeiten – sie nehmen regelmässig unsere Teilnehmenden für Praktika auf. Das ist auch remote, von überall in den USA, sehr gut möglich. Gleichzeitig bauen wir dieses Netzwerk aktiv weiter aus. Wir führen Gespräche mit Arbeitgebern, stellen unsere Absolventen persönlich vor und zeigen, welches Potenzial in ihnen steckt.

Steht das APEX-Programm derzeit nur US-Amerikanern offen?
Nein, wir hatten schon jemanden aus Irland und jemanden aus Kanada. Die Herausforderung bei ausländischen Studierenden ist es jeweils, die Finanzierung zu gewährleisten. In den USA haben wir dazu gute Verbindungen zu staatlichen Stellen und NPO, die die Kurskosten bezahlen.

Sehen Sie Potenzial für eine internationale ­Expansion – zum Beispiel nach Europa?
Auf jeden Fall. In Europa suchen wir derzeit eine NPO, die die Ausbildungskosten übernehmen würde. Es wäre schön, wenn es APEX überall in Europa gäbe!

Ist die Sprache das Problem? Der Kurs ist ja in Englisch…
Auch hier laufen bereits in Gespräche, damit der Kurs in andere Sprachen übersetzt werden kann. Das ist relativ einfach machbar.

Was motiviert Sie persönlich, diese Arbeit fortzusetzen?
Es ist einfach das Richtige für mich. Hundertprozentig. Als ich von dieser unglaublich hohen Arbeitslosenquote gelesen habe, hat es mir das Herz gebrochen. Ich weiss, dass ich das Richtige tue und fände es schön, wenn andere es mir gleichtun würden.

Wenn Sie eine Sache in der heutigen Tech-Branche ändern könnten, um sie inklusiver zu machen, was wäre das?
Ich würde Arbeitgeber darin schulen und ermutigen, wie einfach es eigentlich ist, blinde oder sehbehinderte Menschen einzustellen. Viele glauben, das sei kompliziert oder teuer – aber das stimmt schlicht nicht. In meiner Firma zum Beispiel arbeitet ein blinder Analyst täglich im Büro – und wir mussten fast nichts anpassen, um das möglich zu machen. Es braucht oft keine grossen Umbauten, sondern einfach den Willen. Ich bin überzeugt: Es gibt so viele brillante und talentierte Menschen mit Sehbeeinträchtigung – 70 Prozent Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe kann mir niemand mit einem Mangel an Fähigkeiten erklären. Das Problem ist, dass viele Unternehmen Behinderung übersehen oder unter- bzw. überschätzen, statt das Potenzial zu erkennen. Es ist keine riesige Herausforderung – man muss nur damit anfangen.

Hinweis: Dieses Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.