Das Leben von sehbehinderten Menschen, oder Menschen die im Verlaufe ihres Lebens sehbehindert werden, birgt neben der schmerzvollen Einsicht und Integration der neuen Behinderung in den Alltag der Betroffenen selbst, oft unterschiedlichste Ausgangslagen, die von Selbsthilfeorganisationen abgefedert und neu gelenkt werden.

von Antonietta Fabrizio

Ein älteres sehbehindertes Ehepaar.

Zwei zum Fest gekleidete stark sehbehinderte Menschen erfreuen sich über einen bevorstehenden Ausflug: Vielerlei Angebote für sehbehinderte Menschen helfen dabei die Lebensfreude zu erhalten. Bild: Dane Brian.

Ein Ehepartner wird stark sehbehindert und denkt, er könne in der Beziehung und in seinem Umfeld nichts mehr beitragen. Diese Gedanken bedrücken ihn sehr und er leidet in der Folge an schweren Depressionen. Mit dem Augenlicht verliert er alles, denkt er, weil er auf den Verlust fokussiert, statt auf seine kompensatorischen Fähigkeiten, fällt er in ein sehr tiefes Loch, weiss Helga Gruber.

Seit vielen Jahren arbeitet Frau Gruber beim Schweizerischen Blinden und Sehbehindertenverband im Vorstand der Sektion Freiburg, berät betroffene Menschen und findet praktische Lösungen: «Er will die gleichen Puzzleteile zusammensetzen, die er früher zusammensetzte, obschon er die kleinen Teile nicht mehr sieht und obwohl es sehr schöne Puzzles gibt, mit grösseren Teilen».

Eine stark sehbehinderte Frau bleibt mental klar. Die kognitiven Fähigkeiten ihres Mannes aber nehmen mit den Jahren stark ab. Über 20 Jahre lang hat er sie unterstützt. Wie kann sie ihn jetzt unterstützen? Wie soll sie es schaffen, jetzt plötzlich die Zahlungen bei der Post selbstständig zu erledigen, oder am Kochherd zu stehen? Ist das nicht zu gefährlich?

Tagtäglich werden Selbsthilfeorganisationen und ihre Regionalgruppen und Sektionen mit solchen Fragen konfrontiert. Zusammen mit ihrem Mann leistet Frau Gruber jährlich circa 800 Stunden ehrenamtliche Arbeit, beantwortet solche Fragen und organisiert für sehbehinderte Menschen angepasste Angebote, Ausflüge und Feiern, damit sehbehinderte Menschen sich nicht isolieren.

Ein betroffenes Ehepaar findet Trost und neue Unternehmungslust in der Selbsthilfegruppe. Es findet neue soziale Kontakte und führt wieder ein glückliches Leben. Schliesslich bekommt der Ehemann eine Hörbehinderung und will nicht mehr in die Gruppe, weil er den Gesprächen sowieso nicht mehr folgen kann. Er bleibt lieber zu Hause und liest ein Buch.

Und was passiert, wenn einer der beiden Partner ins Heim möchte und der andere nicht? Helga Gruber kennt viele Antworten, und weiss, dass es oft bereits genügt, wenn man betroffenen Menschen zuhört und Ihnen mit einfachen Tricks weiterhilft. Je nach Ausgangssituation verändern sich die assistiven Bedürfnisse sehbehinderter Menschen komplett. Fragen zur weiteren Lebensform und Pflege müssen geklärt und dabei berücksichtigt werden, dass zu einer gesunden Lebensweise auch möglichst viel Selbständigkeit gehört. «Am allerwichtigsten ist es aber, die neue Situation anzunehmen, denn erst dann, kann man ein gutes Leben weiterleben», erklärt Frau Gruber.

Frau Gruber ist von Geburt an stark sehbehindert. Zunächst konnte sie die Schwierigkeiten mit der Mobilität mit simplen Tricks selber meistern. Doch mit zunehmendem Alter wird es auch für sie immer schwieriger. Frau Gruber dachte schon immer, sie hätte ein gutes Gedächtnis und hat rasch gelernt andere Sinne oder Fähigkeiten kompensatorisch einzusetzen.