Hörbuch-Tipp


Rivka Galchen: Jeder weiss, dass deine Mutter eine Hexe ist
Im Mai 1615 wird Katharina Kepler, die Mutter des Astronomen Johannes Kepler, zum Vogt bestellt, wo sie auf Ursula trifft. Die beschuldigt Katharina, sie mit einem Hexentrunk vergiftet zu haben. Sowohl der Vogt als auch Ursulas Bruder bestehen darauf, dass Katharina den Zauber rückgängig mache. Katharina ist erst belustigt, dann verärgert, dann bekommt sie es mit der Angst zu tun: Wie soll sie eine eingebildete Verwünschung rückgängig machen, die sie nicht verursacht hat? Erfolglos versucht sie den Anwesenden die Absurdität ihrer Forderung klarzumachen. In Windeseile verbreitet sich die Neuigkeit, und so manche Person, die einen Groll auf Katharina hegt, schliesst sich der Aussage an, dass sie eine Hexe sei.
Rivka Galchen schafft es, mit nur wenigen Sätzen die unterschiedlichen Charaktere ihrer Figuren lebendig werden zu lassen. Katharina ist eine intelligente und bodenständige Hauptfigur, die einen durch ihre schroffe Ehrlichkeit im Angesicht von Ungerechtigkeit und Dummheit für sich einnimmt. Als unabhängige Frau, die nach dem Verschwinden ihres Mannes im Krieg gut allein klarkommt und deren Kinder in der Welt erfolgreich sind, stösst sie auf Neid und Missgunst. Obwohl der Roman auf Tatsachen beruht, weist er viele Analogien zur Gegenwart auf. Die ein Eigenleben entwickelnden Gerüchte erinnern an heutige Verschwörungstheorien. Auch Frauenfeindlichkeit ist ein Thema: Hexerei-Anschuldigungen waren um 1600 das Mittel der Wahl, um unkonventionelle und störende Frauen gesellschaftlich und juristisch abzustrafen. Die in die Handlung eingestreuten Zeugenaussagen bringen aber die Wahrheit ans Licht: Katharina ist keine arme Frau und arbeitet hart. Viele, die sie anklagen, schulden ihr Geld oder haben etwas aus dem Besitz Katharinas zu erwarten, sollte sie schuldig gesprochen werden.

Galchen, Rivka: Jeder weiss, dass deine Mutter eine Hexe ist Hamburg: Rowohlt, 2024.
Ausleihe: DS 60370

Braille-Tipp


Gudrun Eiden: Nach uns das Leben
Der Männerchor, der einst über achtzig Mitglieder zählte, ist auf zwölf geschrumpft und bereitet seinen letzten Auftritt vor. Den Männern – jeder von ihnen weit über dem Pensionsalter – geht der Abschied nah. Die gemeinsame Zeit, die Gespräche und der Zusammenhalt werden ihnen fehlen, denn Hugo, Hans, Robert und Otto kämpfen im Alltag mit ganz unterschiedlichen Bürden: mit der Krebserkrankung der Frau, einer körperlichen Behinderung oder der psychologischen Last, als Mann von häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Doch stets haben sie sich in der Vergangenheit gegenseitig den Rücken gestärkt. Die Schicksalsschläge, die Gudrun Eidens Figuren zu erleiden haben, sind happig, aber niemals reisserisch oder derb erzählt. Das Unglück wird mit Mitgefühl beschrieben und mit Würde ertragen. Der Ausblick ist versöhnlich und zuversichtlich. Die Männer wollen sich weiterhin treffen, auch ohne Chor, und auch künftig füreinander da sein.

Eiden, Gudrun: Nach uns das Leben München: Penguin, 2024. 2 Bd. 249 S.
Ausleihe: BG 41532

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