Lesen mit den Fingern – Einblicke in die Brailleschriftdruckerei
Peter Hänggi

Wie entsteht ein Braille-Druck? Peter Hänggi betreibt in Reinach BL eine kleine Blindenschriftdruckerei – und das in einem Zimmer seiner Wohnung. Mit Präzision, Leidenschaft und Hightech-Druckern verwandelt er Texte in fühlbare Punkte. Ein Besuch bei jemandem, der die Brailleschrift nicht nur liest, sondern auch druckt.
Von Michel Bossart, Redaktion tactuel
Wie unterscheidet sich eine Druckerei für Schwarzschrift von einer für Brailleschrift?
Der Geruch ist ein Merkmal, denn Druckerschwärze riecht zwar nicht unangenehm, aber intensiv. Die Grösse der Druckmaschine ist ein weiterer Unterschied. Brauchen herkömmliche Druckereien ganze Hallen, um die Maschinen unterzubringen, kommt Peter Hänggi mit einem Zimmer in seiner Wohnung in Reinach BL aus. Zwei Drucker stehen da: Die Index Everest druckt Einzelblätter in verschiedenen Formaten bis A3, ein- oder zweiseitig, und schafft rund 300 A4-Seiten pro Stunde. Für grössere Aufträge nutzt er die 100 Kilogramm schwere Index FanFold-D. Sie schafft bis 1000 Seiten pro Stunde. Hänggi sagt: «Sie druckt zwar schnell, wegen des Endlosformats muss ich nach dem Druck aber die Seitenstreifen und die Seiten von Hand trennen. Das ist zeit- und arbeitsintensiv.»
Braille ist praktisch
All das tut er in einer Geschwindigkeit und mit einer Sicherheit, die einen vergessen lassen, dass Hänggi blind ist. Die Sehkraft hat der heute 59-Jährige schon als Junge verloren. Er habe sich anfangs schwergetan, die Brailleschrift zu lernen. Erst als er nichts mehr gesehen habe und es nicht mehr anders ging, machte er sich ans Lernen. Er sagt: «Die Motive habe ich mit den Fingern schnell erkennen können. Das Lesen braucht aber viel, sehr viel Übung.» Heute ist er ein leidenschaftlicher Braille-Vielleser und meint: «Ich war IT-Instruktor und Reha-Lehrer. Wenn man viel und oft schreiben muss, ist die Brailleschrift praktischer für das Durch- und Gegenlesen als ein Screenreader.» Das ist allerdings Ansichtssache: «Ich lese lieber von Hand», sagt er bestimmt.
Wenn Hänggi mit der RTFC-Software einen Drucksatz vorbereitet, bewegt er mit der rechten Hand die Pfeiltasten und mit der linken liest er auf der angeschlossenen Braillezeile. Gleichzeitig spricht die Sprachausgabe und kommt mit Hänggis Tempo dennoch kaum nach. Er lacht: «Ich muss vorwärts machen, sonst wird man ja nie fertig…».
39 Hämmer stanzen die Punkte
Für ein Druckerzeugnis in Brailleschrift lädt er ein Dokument in Schwarzschrift hoch und definiert dann die Einstellungen für die Brailleausgabe: 6-Punkt- oder 8-Punkt-Schrift? Kurzschrift? Wie viele Zeichen pro Zeile sollen gedruckt werden? Wie viele Zeilen pro Blatt? Braucht es Seitenzahlen? Einseitiger oder doppelseitiger Druck? «Wenn zum Beispiel ein Dokument in Schwarzschrift ein Inhaltsverzeichnis hat, dann muss ich es löschen und nachher eines in Brailleschrift erstellen.» Denn sonst wäre die Leserschaft verwirrt, weil die Seitenzahlangaben falsch wären: «Eine Seite Schwarzschrift ergibt gut und gerne drei bis vier Seiten in Blindenschrift», erklärt Hänggi. Wenn die Formatierung sitzt, drückt Hänggi auf «Start» und die drei Druckköpfe mit je 13 Hämmern der Index FanFold-D beginnen die Braillebuchstabenpunkte geräuschvoll zu stanzen – bis zu 400 Buchstaben sind das pro Sekunde.

Herausforderungen des Brailleschriftdrucks
Der Blindenschriftdruck habe Hänggi schon immer interessiert, meint er. Vor 25 Jahren bot sich die Gelegenheit, den Drucker der Blindenführhundeschule in Allschwil zu übernehmen und für diese deren Druckaufträge zu erledigen. «Das war eine interessante Aufgabe und brachte mich dazu, auch für andere Institutionen kleinere Aufträge auszuführen», erzählt Hänggi. Regelmässig druckt er nun zum Beispiel die Unterlagen und Mitteilungen für die Mitglieder des sbv, heftet die Unterlagen mit dem Spiralbinder zusammen und erledigt auch den Versand.
Im Laufe der Zeit seien die Drucker stetig weiterentwickelt worden. Heute könne man auf gewissen Maschinen auch Jumbo-Braille – eine extra grosse Brailleschrift – drucken, was vor allem für Leselernende nützlich ist. Es gibt aber auch Aufträge, die er ablehnen muss. Nicht weil er nicht wolle, sondern weil die Technik noch nicht so weit ist. Zum Beispiel? «Jemand wollte mal die Bibel auf Arabisch drucken lassen. Dazu ist aber die Software nicht geeignet, da die arabische Sprache nicht Teil von RTFC ist», erklärt er.
Die Brailleschrift wurde vor 200 Jahren erfunden, befindet sich aber seither in einem steten Wandel. Gerade was Modifikationen bei der Kurzschrift betreffe, hinke er als Leser etwas hinterher, bedauert Hänggi. Auch wünscht er sich, dass man für Texte, die in Brailleschrift umzuwandeln sind, Standards für die Schwarzschriftanlieferung definieren würde, da das Druckgut – je nach dem – relativ mühsam umformatiert werden muss.
Hat Braille eine Zukunft?
Hänggi kann sich ein Leben ohne die Brailleschrift nicht vorstellen und empfiehlt allen mit einer starken Sehbeeinträchtigung, diese unbedingt zu lernen. Er stelle zwar auch fest, dass die Jungen heute vermehrt darauf verzichten, weil sie lieber mit Sprachausgaben arbeiten. Aber: «Braille hat einen grossen Vorteil für alle, die im Beruf mit Tabellen arbeiten müssen: Es ist doch viel einfacher, die Tabelle mit den Fingern zu lesen, als alles im Kopf zu behalten!» Doch die Brailleschrift könnte auch verschwinden, befürchtet er. Dies auch, weil bereits heute die Nachfrage nach Büchern in Brailleschrift stetig abnimmt.
Doch solange es geht, möchte Hänggi, der seit ein paar Jahren eine IV-Rente bezieht – seine Brailleschriftdruckerei mit Kleinaufträgen weiterbetreiben und so seinen ganz persönlichen Beitrag zum Überleben der 200-jährigen Brailletradition leisten.

